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Die Seite 3
Unfreiwillige Opferrolle
Gabriele Regina Overwiening hat ihre ABDA-Präsidentschaft in einer für den Berufsstand sehr bedeutenden Zeit begonnen. COVID-19- und Grippe-Impfungen sowie die honorierten, pharmazeutischen Dienstleistungen sind in den Apotheken angekommen bzw. stehen kurz vor ihrer Umsetzung. Außerdem könnte es unter Overwiening eine neue Approbationsordnung geben – ein Ereignis, das höchstens alle paar Jahrzehnte eintritt. Hinzu kommt, dass die Digitalisierung im Gesundheitswesen immer greifbarer wird: elektronische Rezepte, Medikationspläne und Patientenakten gewinnen an Bedeutung. Auch die Telepharmazie gilt es mit Leben zu füllen und entsprechende Angebote zu schaffen.
Die Corona-Pandemie wirkte bei all diesen Entwicklungen wie ein Katalysator. Der Berufsstand ist weiter in die öffentliche Wahrnehmung gerückt. Eine auffallend positive Stimmung herrschte bislang auch in der Politik, die immer wieder für die entsprechende gesetzliche Grundlage sorgte. So wurde jüngst bekannt, dass die Bundesregierung plant, viele Corona-Sonderregelungen für die Apotheken noch bis weit ins nächste Jahr zu verlängern (s. S. 10).
So viel Aufmerksamkeit und Unterstützung, wie die Apothekerinnen und Apotheker in den letzten beiden Jahren erfahren haben, gab es vorher nur selten. Gabriele Regina Overwiening profitiert davon. Sie darf als amtierende ABDA-Präsidentin sehr süße Früchte ernten und dem neuen Selbstverständnis der Apothekerinnen und Apotheker ein Gesicht geben.
Bei der Kammerversammlung in Nordrhein vor zwei Wochen blickte sie in die „dunkle“ Vergangenheit: Bis unmittelbar vor der Pandemie habe sich der Berufsstand in einer Art Schockzustand befunden. Im Hinblick auf das EuGH-Urteil von 2016 und das daraus resultierende politische Tauziehen um die Einführung eines Rx-Versandverbots meinte sie: „Wir hatten ein Trauma. Wir waren angstbesessen und fürchteten die Katastrophe.“ Die Apothekerschaft adressierte damals die Ordnungspolitik nach dem Motto: „Schützt uns!“ Aus Sicht der ABDA-Präsidentin habe die Opferrolle dem Berufsstand nicht gutgetan. Sie bevorzugt, offensiv und sicher die eigene Zukunft zu gestalten.
Mit dieser kritischen Rückschau auf die Standespolitik ihrer Vorgänger mag Overwiening ihr Profil kurzzeitig schärfen können, doch viel schneller als ihr womöglich lieb ist, wird sie bald mit ganz ähnlichen, vielleicht sogar viel größeren Herausforderungen konfrontiert werden. In Nordrhein führt die Apothekerkammer fast 30 Verfahren gegen Lieferdienste und Plattformbetreiber, die an den Grundpfeilern des Apothekenwesens sägen. Das Fremd- und Mehrbesitzverbot könnte wieder infrage gestellt werden. Und die Apothekerkammer Hamburg erwartet, dass die ABDA den Gesetzgeber endlich auffordert, das Packungshonorar gemäß der Inflation seit 2004 anzupassen (s. S. 62).
Alles kein leichtes Unterfangen und quasi zwangsläufig ein „Rückfall“ in klassische Standespolitik – gerade vor dem Hintergrund, dass Gesundheitsminister Karl Lauterbach am vergangenen Dienstag ankündigte, im Rahmen einer GKV-Finanzreform „Effizienzreserven“ bei den Apotheken heben zu wollen (s. S. 9). Dies sollte ein Weckruf an ABDA-Präsidentin Overwiening sein. Sehr bald könnte sie nämlich gefordert sein, die Apotheker aus einer neuen, unfreiwilligen Opferrolle zu befreien.
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