Wirtschaft

„Wir sind aufeinander angewiesen“

Noweda-Chef Michael Kuck erwartet leistungsgerechte Vergütung von Großhandel und Apotheken

eda | Das „Marktdilemma“ des pharmazeutischen Großhandels ist einerseits, dass die Ertragsmöglichkeiten in der Branche gesetzlich limitiert sind, und andererseits, dass die Händler den Apotheken Rabatte gewähren müssen, um im Geschäft zu bleiben. Eine Lösung wäre nach Meinung von Handelsökonom Professor Andreas Kaapke, dass die Apotheken besser honoriert werden, damit diese auf die Rabatte der Großhändler verzichten könnten (siehe Beitrag "Quo vadis Großhandel?"). Wie stellt sich die Situation aus Sicht der betroffenen Großhändler dar? Welche Perspektiven und Chancen hat der pharmazeutische Großhandel, dieser Zwickmühle zu entkommen? Darüber sprachen wir mit Dr. Michael Kuck, Vorstandsvorsitzender der Großhandelsgenossenschaft Noweda.
Foto: Noweda

Als einen „Angriff auf die Versorgungssicherheit“ bezeichnet der Vorstandsvorsitzende der Noweda eG, Dr. Michael Kuck, die politische Untätigkeit der letzten Jahrzehnte im Hinblick auf die Anpassung der Vergütungen im Arzneimittelsystem.

DAZ: Herr Dr. Kuck, dem pharmazeutischen Großhandel schrumpfen seit Jahren die Umsatzrenditen. Wann wurde Ihrer Ansicht nach ein kritischer Schwellenwert unterschritten?
Kuck: In der Gesamtbetrachtung sind es vor allem die sich nach und nach verändernden Rahmenbedingungen, etwa die Zunahme der Hochpreisartikel, die wegen ihrer geringen Marge die wirtschaftliche Situation des Großhandels nachhaltig verschärfen. Dazu kommen die vielfältigen gesetzgeberischen Vorgaben wie zum Beispiel die EU-Fälschungsrichtlinie, die GDP-Leitlinien und die Datenschutzgrundverordnung, die neben hohen Startinvestitionen laufende Kosten in Millionenhöhe verursachen. Das alles geschieht vor dem Hintergrund einer gesetzlichen Großhandelsvergütung, die seit über zehn Jahren nicht mehr ange­hoben wurde. Entscheidend ist also weniger ein bestimmter Zeitpunkt, ab dem es kritisch wurde. Es ist vielmehr die eingeschlagene Richtung, die in eine Sackgasse führt und letztlich nicht weniger als ein Angriff auf die Versorgungssicherheit ist.

DAZ: Man könnte es so formulieren: Immer teurere Präparate erfordern ein aufwendigeres Handling, doch Geld gibt es dafür immer weniger. Weshalb verstehen politische Entscheider offenbar nicht, dass dieses Zusammenspiel so auf Dauer nicht funktioniert?
Kuck: Ich denke nicht, dass das ein Verständnisproblem ist. Die schwierige Situation des pharmazeutischen Großhandels ist zahlreichen Politikern immer wieder erläutert worden, sowohl von unserem Bundesverband Phagro als auch von den einzelnen Großhändlern. Mittlerweile gehe ich deshalb davon aus, dass hier ganz bewusst die Belastungsfähigkeit des Systems getestet wird. Das sieht ja im Apothekenbereich nicht anders aus. Zum Beispiel kann der ausländische Versandhandel seine Marktanteile zulasten der Apotheken nach wie vor in Ruhe ausbauen, weil die kostenträchtige Einhaltung angemessener Transporttemperaturen erst gar nicht kontrolliert wird. Das ist eine gesetzlich motivierte, krasse Schieflage zulasten der lokalen Apotheken. Patientensicherheit spielt offensichtlich nur in den Vor-Ort-Apotheken eine Rolle, denn da wird intensiv überwacht. Die Politik kennt alle diese Themen. Angegangen werden sie nicht. Dass wichtige und vor allem erforderliche Reformen und Maßnahmen nicht umgesetzt werden, zeichnet die Gesundheitspolitik der vergangenen Jahre oder sogar Jahrzehnte ja grundsätzlich aus. Der Apotheken- und Großhandelsmarkt ist da nur ein Beispiel von vielen. Schauen Sie sich den defizitären Pflegesektor an, die Abwanderung des ärztlichen Personals, unterfinanzierte Krankenhäuser, die Abhängigkeit von der Arzneimittelproduktion in Billiglohnländern und so weiter … Überall im Gesundheitssystem finden sich marode Strukturen. Erst in Akut­situationen wie der Corona-Pandemie zeigt sich dann das volle Ausmaß. Das bekommt nun allerdings auch die breite Öffentlichkeit verstärkt mit.

„Sich aus einer politisch verursachten Situation alleine befreien zu wollen, ist kaum möglich.“

DAZ: Die Folgen zeigen sich auf dem Großhandelsmarkt, der inzwischen oligopolistische Strukturen aufweist. Erläutern Sie uns doch bitte, wie die Stimmung unter den Wettbewerbern ist.
Kuck: Der Wettbewerb ist bekanntlich seit Jahren sehr intensiv. Die Großhändler haben alle mit den gleichen Herausforderungen zu kämpfen, auch wenn ihre Intentionen unterschiedlich sind. In einem hart umkämpften Markt möchte jeder Großhandel möglichst viele Apotheken als Geschäftspartner gewinnen. Wir als apothekereigene Genossenschaft können dabei jedoch einen anderen Fokus als eine Kapitalgesellschaft setzen. Denn Noweda dient als Genossenschaft dem einzigen Zweck, die Apothekenmitglieder bei ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit zu unterstützen. Anders als bei Kapitalgesellschaften gibt es keine Dritten, die vom Unternehmen parti­zipieren. Der Erfolg der Noweda ist untrennbar an den Erfolg der inha­bergeführten Individualapotheke geknüpft. Deshalb setzen wir uns mit aller Kraft für die Individualapotheke ein. Letztlich sehen sich aber alle pharmazeutischen Großhandlungen, egal ob sie eine Konzernstruktur aufweisen, inhabergeführt sind oder als Genossenschaft auftreten, mit denselben Rahmenbedingungen konfrontiert. Die gesetzliche Großhandelsvergütung reicht schlichtweg nicht mehr aus, um die Unternehmen langfristig auf einer soliden wirtschaftlichen Basis zu halten.

„Es ist wichtig, dass sich Apotheken und Großhandel nicht von der Politik gegeneinander ausspielen lassen.“

DAZ: Wie haben Sie in den vergangenen Jahrzehnten aus eigener Kraft versucht, sich aus dieser angespannten Situation zu befreien?
Kuck: Sich aus einer politisch verursachen Situation alleine befreien zu wollen, ist kaum möglich. Uns bleibt letztlich nur, immer wieder auf die Missstände aufmerksam zu machen und gleichzeitig so effizient wie möglich zu wirtschaften. Investitionen werden in unseren Gremien grundsätzlich sehr intensiv geprüft, bevor sie freigegeben werden. Unser Aufsichtsrat besteht aus selbstständigen Apothekerinnen und Apothekern, zudem ist auch im Vorstand eine selbstständige Apothekerin vertreten, sodass wir unsere Ressourcen sehr zielgerichtet so einsetzen können, dass sie den größten Nutzen für unsere Apothekenmitglieder erbringen.

DAZ: Inwiefern ist es für den deutschen Pharmagroßhandel notwendig, sich abseits des Kerngeschäfts unternehmerisch zu betätigen, um wirtschaftlich rentabel zu bleiben? Welche Geschäfte betreibt Noweda abseits des deutschen Arzneimittelmarktes?
Kuck: Wir beleuchten fortwährend den Markt, um neben unserem Kerngeschäft weitere Einnahmequellen zu etablieren, die im Sinne des Unternehmens und damit der Apothekenmitglieder sind. Zu nennen sind diesbezüglich zum Beispiel Tochterunternehmen wie Steinweg Medical mit Leistungen rund um das Thema Verblisterung, Apoquick im Bereich des Hilfsmittelmarkts, aber auch Konzepte wie etwa unsere Eigenmarken.

DAZ: Am Ende des Tages werden die Arzneimittelpreise und damit die Wirtschaftlichkeit der Unternehmen im Gesundheitsmarkt durch gesetz­geberische Entscheidungen bestimmt. Wie lautet Ihr Appell an die neue Bundesregierung?
Kuck: Die Corona-Krise hat die große Bedeutung der Apotheken für die flächendeckende Gesundheitsversorgung der Bevölkerung und auch die Leistungsfähigkeit des pharmazeutischen Großhandels eindrucksvoll bewiesen. Es ist nicht übertrieben festzustellen, dass Deutschland ohne das etablierte System von Apotheken und Großhandel eine Versorgungskatastrophe erlebt hätte. Schauen wir auf Groß­britannien, dann sehen wir, welche dramatischen Folgen ein unterversorgtes Gesundheitssystem haben kann. Spätestens jetzt ist es an der Zeit, ganz genau hinzusehen und zu erkennen, dass eine adäquate und leistungsgerechte Vergütung des Großhandels und der Apotheken zwingend erforderlich ist, um diesen unverzicht­baren Teil unseres Gesundheitssystems dauerhaft auf Kurs zu halten und nicht zuletzt eine Basis zu schaffen, die auch künftige Krisen übersteht.

DAZ: Der Handelsökonom Professor Andreas Kaapke bezeichnet das Branchenproblem der Pharmagroßhändler im Hinblick auf die Gewährung von Rabatten an die Apotheken als ein „schweres Dilemma“. Die Apotheken seien auf die Großhandelsrabatte angewiesen. Würden Sie den Apotheken die Rabatte streichen, um selbst wirtschaftlich besser dazustehen, dann berauben Sie sich gleichzeitig Ihrer Geschäftsgrundlage. Kaapkes Vorschlag: Entweder bessere Rahmen­bedingungen für den Großhandel oder eine angemessenere Vergütung der Apotheken durch den Staat. Welche Option halten Sie für wahrscheinlicher unter der neuen Ampel-Koalition?
Kuck: Es ist wichtig, dass sich Apotheken und Großhandel nicht von der Politik gegeneinander ausspielen lassen, wie das in der Vergangenheit gerne versucht wurde. Wir sind auf­einander angewiesen und müssen letztlich gemeinsam dafür eintreten, dass genug Geld in das System fließt, um den notwendigen Versorgungsstandard in Deutschland weiterhin halten zu können. Und was den Vorschlag von Professor Kaapke angeht: Das eine schließt das andere nicht aus. Letztlich kommt es darauf an, dass sowohl Großhandelspartner als auch Apotheken gesund wirtschaften können, um die Arzneimittelversorgung der Bevölkerung langfristig und weiterhin qualitativ hochwertig zu sichern.

DAZ: Herr Dr. Kuck, vielen Dank für das Gespräch! |

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