Schwerpunkt Retaxierung

Ressourcenstehlend

Apotheken kämpfen gegen Retaxierungen

Es gehört vermutlich in allen Apotheken zur Tagesordnung: Retaxierungen zu verhindern und sich mit ihnen herumzuschlagen, wenn sie die Apotheken erreichen. Sei es, weil Formalitäten nicht eingehalten wurden, ein Vermerk zur Dosierung fehlt oder ein Rabatt­vertrag nicht beachtet wurde. Besonders ärgerlich sind Retaxierungen aber dann, wenn sie unberechtigterweise vorgenommen werden. Zur Einstimmung in unseren Schwerpunkt auf den folgenden Seiten soll dieser Beitrag anhand von vier tatsächlich geschehenen Beispielen erläutern, wie Apotheken in solchen Fällen handeln können und wann ein Einspruch erfolgreich sein kann. | Von Thomas Noll

Bekanntermaßen müssen Apotheken nach der Abgaberangfolge des Rahmenvertrags vorrangig Rabattarzneimittel abgeben. Die Nichtabgabe eines Rabattarzneimittels muss dokumentiert werden und wenn dies unterlassen wird, folgt in der Regel eine Retaxierung.

Doch nicht in jedem Fall ist der Austausch auf ein Rabattarzneimittel zulässig, dies sollte nicht nur Apotheken, sondern auch den Krankenkassen bekannt sein, damit keine unberechtigten Retaxationen ausgesprochen werden, die allen Beteiligten einen großen und vor allem unnötigen Mehraufwand verursachen.

Foto: DAZ / Alex Schelbert

Nach der Abgaberangfolge des Rahmenvertrags müssen Apotheken vorrangig Rabattarzneimittel abgeben. Die Nichtabgabe eines Rabattarzneimittels muss dokumentiert werden.

Fall 1: Austausch bei Mometason erforderlich?

Doch was führt in der Praxis zu Retaxierungen von Apotheken? In unserem ersten Beispiel wurde einer Apotheke ein Rezept über „Momeallerg 50 µg/Sprühstoß 140 18 g PZN 12409645“ retaxiert, das im März dieses Jahres zulasten der BKK VerbundPlus (IK-Nummer: 107832012) ausgestellt worden war. Die Begründung der Retaxierung lautete „Nichtberücksichtigung Rabattvertrag“. Die betroffene Apotheke fragte beim DeutschenApothekenPortal (DAP) nach, ob diese Retaxierung gerechtfertigt war, denn zum Abgabezeitpunkt wurde in der EDV der Apotheke kein Rabattarzneimittel angezeigt.

Eine Überprüfung der Abgabesituation bestätigte die Aussage der Apotheke: Es standen nur nicht rabattierte Mometason-Nasensprays zur Auswahl. Das verordnete und abgegebene Präparat gehörte zudem zu den vier preisgünstigsten Präparaten und war somit abgabefähig. Bei der Krankenkasse wurde bei der Rezeptprüfung vermutlich ausgehend von dem Wirkstoff Mometason auf Rabattverträge geprüft und hier gab es durchaus ein rabattiertes Mometason-Nasenspray der verordneten Stärke und Packungsgröße, nämlich MometaHEXAL (50 µg/Sprühstoß, 140 Sprühstöße, 18 g; PZN 05024809). Jedoch ist bei diesem Wirkstoff zu berücksich­tigen, dass es sowohl OTC- als auch Rx-Präparate gibt – die Präparate beider Gruppen sind verordnungsfähig, jedoch ist gemäß § 18 Abs. 2 Rahmenvertrag ein Austausch zwischen OTC- und Rx-Präparaten nicht erlaubt: „[…] (2) Zwischen Fertigarzneimitteln, die sich hinsichtlich der Verschreibungspflicht unterscheiden, ist ein Austausch nicht zulässig.“

Verordnet war im vorliegenden Fall ein OTC-Präparat, somit durfte die Abgabeentscheidung nur innerhalb der aut-idem-konformen OTC-Präparate getroffen werden. Ein Austausch auf ein Rx-Arzneimittel war/ist nicht erlaubt, was die Abgabe des Rabattarzneimittels hier ausschließt. Daher sollte die Apotheke unter Verwendung dieser Argumente Einspruch gegen die Retaxierung erheben – diese war nicht gerechtfertigt und sollte zurückgenommen werden.

Foto: amixstudio / AdobeStock

Wenn explizit ein OTC-Präparat verordnet wurde, ist ein Austausch auf ein Rx-Arzneimittel nicht erlaubt – wie das Beispiel mit den Mometason-Nasensprays zeigt.

Fall 2: ERYPO mit anderen Epoetinen austauschen?

In unserem zweiten Fall wurden einer Apotheke im Januar dieses Jahres zwei Verordnungen über ERYPO-Fertig­spritzen vorgelegt: Einmal war „Erypo FS 5000 I.E./0,5 ml 6 Fertigspritzen N3 PZN 01420968 >>Dj<<“ zulasten der Novitas BKK (IK 104491707) verordnet, auf einem weiteren Rezept „Erypo FS 4000 I.E./0,4 ml 6 Fertigspritzen N3 PZN 06301286 >>Dj<<“.

Die Apotheke gab beide Präparate wie verordnet ab, da durch die EDV zum Abgabezeitpunkt keine Rabattverträge angezeigt wurden. Allerdings wurden beide Rezepte im Nachgang durch die Krankenkasse mit der Begründung retaxiert, dass ein vorliegender Rabattvertrag nicht berücksichtigt wurde. Die Apotheke überprüfte die Retaxationen und kam nach nochmaliger Eingabe in die EDV zu dem Schluss, dass die Abgabe korrekt war, und fragte beim DAP aufgrund des vorliegenden Sachverhaltes nach. Eine Überprüfung bestätigte die Annahme der Apotheke: Es gab zum Abgabezeitpunkt keine rabattierten, aut-idem-konformen Fertigspritzen. Es gibt zwar verschiedene Biosimilars im Markt, doch ein Austausch von Biologika ist gemäß § 9 Abs. 3a Rahmenvertrag an besondere Vorgaben gebunden: „[…]Wirkstoffgleich sind auch biotechnologisch hergestellte Arzneimittel, sofern diese auf das jeweilige Referenzarznei­mittel Bezug nehmend zugelassen sind und sich in Ausgangsstoffen und Herstellungsprozess nicht unterscheiden; die Verpflichtung der Apotheke zur Berücksichtigung dieser Arzneimittel bei der Auswahl besteht für in Anlage 1 in der jeweils gültigen Fassung als untereinander wirkstoffgleich aufgeführte Arzneimittel.“

Trifft diese Voraussetzung für ein Biologikum nicht zu, so besteht nur die Auswahl zwischen dem Original und ggf. im Handel befindlichen Importpräparaten. Für das verordnete Original sind keine Importe im Handel. Zudem ist nach Anlage 1 des Rahmenvertrags kein Austausch vorgesehen. Das galt für den Abgabezeitpunkt und ist auch heute (nachdem der G-BA-Beschluss zur automatischen Biologika-Substitution in Apotheken auf das kommende Jahr vertagt wurde) noch ebenso gültig. In Anlage 1 des Rahmenvertrags ist zwar der Wirkstoff Epoetin alfa mit verschiedenen austauschbaren Biologicals vertreten, jedoch ist das Original ERYPO hier nicht aufgeführt. Ein Austausch wäre demnach unter den aufgelisteten Biolo­gicals Abseamed, Binocrit und Epoetin alfa HEXAL erlaubt und im Rahmen von Rabattver­trägen auch verpflichtend, bei einer Verordnung ausgehend von ERYPO ist ein Austausch dagegen nicht zulässig. Daher ist diese Nullretax unberechtigt, die Apotheke sollte Einspruch einlegen.

Fall 3: Mehrkosten als Kostenfalle

Eine Apotheke gab im August 2021 zulasten der DAK (IK 105830016) anstelle des verordneten Nebivolol-Actavis (PZN 03161488) das zu dieser Zeit einzig verfügbare Original Nebilet ab. Die Abgabe wurde mit der Sonder-PZN und Faktor 3 dokumentiert.

Im Nachhinein erhielt die Apotheke leider eine Retaxierung. Die Begründung: „Abrechnung von Mehrkosten zu Lasten der KK sind nur bei Nichtverfügbarkeit eines Rabattartikels möglich. Zu dem abgegebenen AM gibt es keinen Rabattpartner.“

Und nach derzeit geltendem Recht hat die Krankenkasse mit dieser Begründung leider auch recht. Die Erstattung von Mehrkosten ist rahmenvertraglich an die Existenz eines Rabattartikels geknüpft. Existiert kein Rabattartikel, bleibt die Apotheke auf den nicht eingezogenen Mehrkosten sitzen. Zwar setzen sich die entsprechenden Standesvertretungen dafür ein, dass Mehrkosten im Falle einer Nichtlieferbarkeit grundsätzlich übernommen werden sollten, eine Einigung diesbezüglich gibt es allerdings noch nicht. Das Bundesamt für Soziale Sicherung verweist aber in einer öffentlichen Stellungnahme aus dem Januar 2022 auf die Unfreiwilligkeit der Inanspruchnahme eines Artikels über dem Fest­betrag im Falle von Lieferengpässen, weshalb auch Mehrkosten, die bei Artikeln, zu denen es keine Rabattartikel gibt, zu erstatten seien. Diese Stellungnahme beschleunigt hoffentlich den Prozess, in dem der Rahmenvertrag hinsichtlich dieser Regelung angepasst werden könnte.

Fall 4: Wann muss eine Dosierung aufs Rezept, was zählt als Dosierung?

Dass die Dosierungsanweisungen auf Rezepten eine Retaxgefahr darstellen können, haben Apotheken mittlerweile verinnerlicht. Zum Beispiel, weil sie eine Retaxierung dieser oder ähnlicher Art erhalten haben: Verordnet war „Xolair 150 mg IFE 10 St. N3 PZN 09175149 >>sub. Inj.<<“. Die erste Applikation wird bei diesem Arzneimittel durch den Arzt vorgenommen, und es handelte sich um die erste Verordnung für diesen Patienten. Das Arzneimittel wurde daher direkt an den Arzt abgegeben. Auf dem Fuße folgte jedoch die Retaxierung, die mit 5000 Euro Absetzung eine kleine bis mittelgroße Apotheke durchaus finanziell ins Schwanken bringen kann. Die Begründung der Retaxierung lautete: „Die AMVV [Arzneimittelverschreibungsverordnung] sieht die Dosierungsanweisung seit Nov. 2020 verbindlich vor.“ Da aber durch die anhaltenden Diskussionen zum Thema Dosierungsretaxierungen bekannt ist, dass keine Dosierungsanweisung anzugeben ist, wenn das Arzneimittel direkt an den Arzt abgegeben wird, handelt es sich in diesem Falle erneut um eine unberechtigte Retaxation. Die Apotheke hat jedoch einen nicht unerheblichen Mehraufwand an Büro­kratie, um das ihr zustehende Geld doch noch zu bekommen.

Ein kleiner Sonderfall existiert bezüglich der Dosierungsanweisungen bei Rezepturen. Denn hier geht die verpflichtende Angabe einer Dosierungsanweisung nicht (nur) auf die AMVV zurück, sondern gleichermaßen auf die Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO). Diese fordert die Dosierungs­anweisung nicht nur auf dem Rezept, sondern auch auf dem Abgabegefäß der Rezeptur. Damit das Apothekenpersonal nun diese Dosierung auf das Gefäß aufbringen kann, muss diese auch vorliegen. Auch schreibt die ApBetrO vor, dass Vermerke wie „nach Bedarf“ oder „Alternative Gesicht“ nicht zulässig sind. Es ist zwingend eine ausführliche Anwendungsbeschreibung wie „2 × täglich dünn auf das Gesicht auftragen“ erforderlich. Dosierungsretaxierungen wie diese sind also leider berechtigt. Daher empfiehlt es sich, bei Rezepturen stets die genaue Dosierungsanweisung beim Arzt zu erfragen und diese auf dem Rezept zu vermerken.

Was unterm Strich bleibt

Retaxierungen sind umso ärgerlicher, wenn diese unberechtigt erfolgen. Für Apotheken bedeuten sie einen nicht zu unterschätzenden Mehraufwand, nur um das ihnen zustehende Geld zu bekommen. Nicht ohne Grund fordern Apotheken daher immer häufiger eine Bearbeitungspauschale in Fällen einer unberechtigten Retaxation. Bis ein solches Entschädigungssystem eingeführt wird, bleibt allerdings nur, zähneknirschend die Retaxierungen zu bearbeiten. |

Autor

Thomas Noll, PTA und Autor, Deutsches Apotheken Portal, DAP

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.