Arzneimittel und Therapie

Alzheimer-Antikörper Lecanemab lässt hoffen

Patienten in frühen Krankheitsstadien können profitieren

dab | Mit Spannung wurden die vollständigen Ergebnisse der Phase-III-Studie zu dem monoklonalen Anti-Amyloid-Antikörper Lecanemab gegen Alzheimer erwartet, nachdem die Hersteller Eisai und Biogen die vorläufigen Ergebnisse im September veröffentlicht hatten (s. DAZ 2022, Nr. 40, S. 31). Danach wurde das Fortschreiten kognitiver Störungen gegenüber Placebo moderat verlangsamt. Wie bewerten Experten die nun vorliegende Studie? Für welche Patienten kommt die Therapie infrage und für welche nicht?

Seit Jahren wurde mehr oder minder erfolglos an Arzneimitteln gegen Alzheimer geforscht. Zuletzt ließ im Juni 2021 die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA den umstrittenen monoklonalen Antikörper Aducanumab (AduhelmTM) in einem beschleunigten Zulassungsverfahren zu [2]. Für dieses Verfahren reichte es aus, dass Aducanumab den Surrogat-Endpunkt, nämlich die Reduktion der Beta-Amyloid-Plaques erreichte. Allerdings muss der klinische Nutzen in einer Studie nach der Zu­lassung belegt werden. Aducanumab kann in den USA bei Patienten mit milden kognitiven Beeinträchtigungen oder milder Demenz aufgrund von Alzheimer eingesetzt werden (frühe Alzheimer-Erkrankung). Die Europäische Arzneimittel-Agentur lehnte eine Zulassung von Aducanumab ab, da die Wirksamkeit bisher nicht überzeugend belegt werden konnte [3].

Ein weiterer Antikörper, der kürzlich in Studien zum Frühstadium der Alzheimer-Erkrankung auch nicht überzeugen konnte, ist Gantenerumab. Wie der Hersteller Roche mitteilte, wurde der primäre Endpunkt, das Fortschreiten der Erkrankung zu verlangsamen, in den beiden Phase-III-Studien GRADUATE I und II nicht erreicht [4]. Nun keimt mit einem weiteren Antikörper – Lecanemab – neue Hoffnung auf.

Foto: Orawan/AdobeStock

Angriffspunkt Beta-Amyloide

Lecanemab bindet hochaffin an lös­liche toxische Amyloid-Beta-Protofibrillen, um sie zu neutralisieren und zu eliminieren. Aducanumab und Gantenerumab richten sich gegen aggregiertes Amyloid. Damit unterscheiden sich die konkreten Angriffspunkte, aber alle drei genannten Wirkstoffe sind Anti-Amyloid-Antikörper. Der zugrunde liegende Therapieansatz dahinter ist die Amyloid-Hypothese. Dabei wird die Ablagerung von Beta-Amyloid(Aβ)-Peptiden im Gehirn als ein zentrales Ereignis in der Entwicklung der Alzheimer-Erkrankung gesehen [5]. Die Elimination dieser Amyloide soll daher den Krankheitsverlauf verzögern. In klinischen Effekten spiegelte sich das bisher nur in geringem Ausmaß wieder.

In der nun publizierten 18-monatigen multizentrischen, doppelblinden Phase-III-Studie Clarity AD mit Lecanemab wurden Alzheimer-Patienten im Frühstadium mit einem Alter von 50 bis 90 Jahren eingeschlossen. 898 Probanden erhielten Lecanemab und 897 Placebo. Von diesen Patienten schlossen 81,2% der Lecanemab-Gruppe und 84,4% der Placebogruppe die Studie ab.

Kognitiver Abbau wird verlangsamt

Der primäre Endpunkt war die Veränderung im Clinical-Dementia-Rating­(CDR)-Sum-of-Boxes(SB)-Score. Dieser hilft, die kognitive Einschränkung einzuschätzen. Die Skala reicht dabei von 0 bis 18 (je höher die Zahl, desto stärker die Einschränkung). Zu Studienbeginn lag der CDR-SB-Score im Mittel in beiden Studienarmen bei 3,2. Nach 18 Monaten betrug die adjustierte mittlere Veränderung des CDR-SB-Scores unter Lecanemab 1,21 versus 1,66 unter Placebo (Differenz = -0,45; 95%-Konfidenzintervall [KI] = -0,67 bis -0,23; p < 0,001). Das bedeutet, dass der Verlust kognitiver Fähigkeiten unter Lecanemab im Vergleich zu Placebo um 27% und damit moderat geringer war. Der Krankheitsverlauf wurde mit Lecanemab verzögert, aber nicht aufgehalten.

Der sekundäre Endpunkt war die Amyloid-Last gemessen mittels Posi­tronen-Emissions-Tomografie (PET). Dieser wurde in einer Substudie an 698 Patienten untersucht. Dabei konnte Lecanemab innerhalb von 18 Mo­naten die Amyloid-Last im Vergleich zu Placebo signifikant senken (adjustierte mittlere Veränderungen: -55,48 Centiloid-Einheiten vs. 3,64 Centiloid-Einheiten; Differenz = -59,12, 95%-KI = -62,64 bis -55,60; p < 0,001).

Faktor Sicherheit

Schwerwiegende Nebenwirkungen betrafen 14,0% der Probanden in der Lecanemab-Gruppe im Vergleich zu 11,3% in der Placebogruppe. Darunter waren u. a. infusionsbedingte Nebenwirkungen (unter Lecanemab 1,2% vs. Placebo 0%), Vorhofflimmern (0,7% vs. 0,3%) und Synkopen (0,7% vs. 0,1%). Wichtige Nebenwirkungen im Zusammenhang mit Morbus Alzheimer und einer Amyloid-senkenden Therapie sind sogenannte Amyloid-related imaging abnormalities (ARIA). Das sind Effekte im Gehirn, die mittels Magnetresonanztomografie (MRT) detektiert werden können. Dabei unterscheidet man Hirnödeme (ARIA-E, E für Ödem) und Mikroblutungen (ARIA-H, H für Hämorrhagie). ARIA-E traten bei 12,6% der Probanden der Lecanemab-Gruppe und 1,7% der Placebogruppe auf. Häufiger waren ARIA-H mit 17,3% unter Lecanemab und 9,0% unter Placebo. Der überwiegende Teil der ARIA war asymptomatisch. In der Verumgruppe verstarben 0,7% und in der Placebogruppe 0,8% der Studienteilnehmer. Dabei wurde von den Studienautoren kein Todesfall auf Lecanemab oder eine ARIA zurückgeführt. Dagegen gibt es Medienberichte zu zwei Todesfällen in den USA nach Studienende, die mit Lecanemab im Zusammenhang stehen könnten [6].

Einschätzung der DGN

Die Deutsche Gesellschaft für Neuro­logie bezog in einer Pressemitteilung vom 30. November 2022 Stellung zu den Studienergebnissen zu Lecanemab und sprach von einem möglichen Meilenstein in der Alzheimer-Therapie [7]. Im Gegensatz zu den bisher untersuchten Antikörpern Aducanumab und Gantenerumab hätte Lecanemab einen spezifischeren Ansatzpunkt. Dazu erläutert Prof. Dr. med. Jörg B. Schulz, der Sprecher der Kommission Demenz der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN): „Möglicherweise haben wir nun einen Angriffspunkt gefunden, der einen Unterschied im klinischen Verlauf macht“. Die Daten seien „überzeugend und konsistent“. In Hinblick auf die CDR-SB-Scores der Verum- und Placebogruppe sei der Unterschied „beträchtlich“ gewesen. Bezüglich möglicher schwerer Nebenwirkungen hätte es in der Studie keine Überraschung gegeben. Die aufgetretenen ARIA seien „meist klinisch stumm“ geblieben. Allerdings müsse den Berichten zu den zwei Todesfällen in den USA nachgegangen werden. Dabei sei eine Frau infolge einer Hirnblutung nach Therapie mit einem rekombinanten Plasmino­gen­aktivator zur Therapie eines Hirninfarkts gestorben. Ein anderer Patient hätte eine Gehirnblutung unter Antikoagulation entwickelt und danach einen tödlichen Herzinfarkt erlitten. Es müsse auch untersucht werden, „ob die Alzheimer-Medikation das Risiko für solche Ereignisse erhöhen könnte“. Schulz ist zuversichtlich, dass die Zulassungsbehörden hier „sehr sorgfältig“ arbeiten. „Werden diese Zweifel an der Sicherheit ausgeräumt, hätten wir endlich ein wirksames Medikament gegen Alzheimer.“ Die DGN weist in ihrer Pressemitteilung darauf hin, dass ­Lecanemab nur in der Frühphase der Alzheimer-Erkrankung mit milden kognitiven Einschränkungen erfolgreich ist. Das Fortschreiten der Erkrankung könne verlangsamt, aber nicht rückgängig gemacht werden. Patienten mit ausgeprägterem Krankheitsbild und schwerer Demenz könnten von Lecanemab nicht profitieren.

Zum Weiterlesen

Die tröpfelnde Pipeline
Demenz: 126 Wirkstoffkandidaten, nur eine Zulassung
Von Dr. Tony Daubitz
DAZ 2022, Nr. 15, S. 34

Foto: Joa Souza/AdobeStock

Aufwand versus Nutzen

Prof. Dr. Stefan Teipel, u. a. Leiter der Forschungsgruppe Klinische Demenzforschung am Deutschen Zentrum für neurodegenerative Erkrankungen e. V. (DZNE), Rostock/Greifswald, sieht die Studie zu Lecanemab als „sehr ermutigend“. Dennoch müsse man auch bedenken: „Die Substanz wird alle zwei Wochen intravenös verabreicht, und initial wird alle drei Monate ein MRT-Scan gemacht. Das ist ein wahnsinniger Aufwand und eine große Belastung für die Patienten. Was gewinne ich in den 18 Monaten und was geht dadurch an Lebensqualität vielleicht auch verloren?“ Das müsse man gegeneinander abwägen [8]. |

Literatur

[1] van Dyck CH et al. Lecanemab in Early Alzheimer’s Disease. N Engl J Med 2022, doi: 10.1056/NEJMoa221294

[2] FDA Grants Accelerated Approval for Alzheimer’s Drug. Pressemitteilung der FDA, 7. Juni 2021

[3] Aduhelm: Withdrawal of the marketing authorisation application. Informationen der EMA, 22. April 2022

[4] Roche provides update on Phase III GRADUATE programme evaluating gantenerumab in early Alzheimer’s disease. Pressemitteilung von Roche, 14. November 2022

[5] Karran E, De Stropper B. The amyloid hypothesis in Alzheimer disease: new insights from new therapeutics. Nat Rev Drug Discov 2022;21(4):306-318, doi: 10.1038/s41573-022-00391-w

[6] Piller C. Second death linked to potential antibody treatment for Alzheimer’s disease. Nachricht von Science, 27. November 2022, www.science.org/content/article/second-death-linked-potential-antibody-treatment-alzheimer-s-disease

[7] Lecanemab verlangsamte das Fortschreiten der Alzheimer-Krankheit in frühen Stadien. Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, 30. November 2022

[8] SMC – Lecanemab bei Alzheimer im Frühstadium – Research in Context. Informationen des Science Media Centers, 30. November 2022

Das könnte Sie auch interessieren

Erkrankungsverlauf verlangsamt – aber nicht aufgehalten

USA: Lecanemab als erster Antikörper gegen Alzheimer regulär zugelassen

Demenz: 126 Wirkstoffkandidaten, nur eine Zulassung

Die tröpfelnde Pipeline

Anti-Amyloid-Antikörper verlangsamt kognitiven Verfall

Donanemab – dritter Alzheimer-Antikörper in den Start­löchern?

Zulassungsempfehlung für ersten therapeutischen Antikörper gegen Alzheimer

Never give up?

Weiterer Anti-Amyloid-Antikörper verlangsamt kognitiven Verfall

Ermutigende Ergebnisse bei Alzheimer

Aducanumab gibt sich im Kampf gegen Alzheimer nicht geschlagen

Totgesagte leben länger

Umstrittener Antikörper Aducanumab von FDA zugelassen

Meilenstein in der Alzheimer-Therapie?

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.