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Restless-Legs-Syndrom
Eisen und das Restless-Legs-Syndrom
Zwei Fallbeispiele aus der Praxis
Fall 1
Die 47-jährige Patientin kam vor ca. sechs Monaten in die Praxis des Allgemeinmediziners mit den Diagnosen Fibromyalgie, Depression, Lipödem, Restless-Legs-Syndrom, Eisenmangel-Anämie (Hämoglobin-Wert: 8,5 g/dl) bei Hypermenorrhoe (erstmals vor drei Monaten thematisiert).
Sicht des Allgemeinmediziners
Dr. Heiner Buschmann
Die Patientin nannte folgende bestehende Medikation:
- 40 mg Citalopram 40 1-0-0 (Psychiater),
- 100 mg Tilidin ret. 1-0-1
- 100 mg Eisenglycinsulfat (duodenale Freisetzung) 1-0-0
Änderung der Medikation: Im Laufe der Behandlung wurde der hoch dosierte selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) durch einen selektiven Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SSNRI) ersetzt. Die Patientin vertrug Duloxetin ebenso wenig wie 150 mg retardiertes Venlafaxin 1-0-0, dagegen wurden 75 mg retardiertes Venlafaxin 1-0-1 gut vertragen. Die Eisen-Dosierung wurde auf 100 mg 1-0-1 erhöht und abends wurde 0,18 mg Pramipexol angesetzt. Der Patientin wurde ein Vorstellung beim Gynäkologen zur Hysterektomie geraten.
Hintergrund: Stark serotonerge Antidepressiva können eine RLS-Symptomatik auslösen oder verschlechtern und werden in der Leitlinie deshalb als Mimics bezeichnet. Außerdem können sie die Blutungsneigung und damit auch die Eisen-Verluste erhöhen. Pramipexol gehört zu den Mitteln der ersten Wahl beim Restless-Legs-Syndrom.
Follow-up: Innerhalb von fünf Tagen nach der Therapieänderung kam es zu einer Besserung der RLS-Symptomatik. Die Hysterektomie erfolgte vor sechs Wochen. Mittlerweile konnten Pramipexol und Eisen abgesetzt werden. Der Patientin geht es gut, auch die Psyche stabilisiert sich.
Sicht des Apothekers Dr. Markus Zieglmeier
Der Fall zeigt die Bedeutung von Eisen beim RLS. Das vom Psychiater gewählte Antidepressivum Citalopram 40 mg erscheint aus drei Gründen als ungünstig: 1. Die serotonergen Effekte – man könnte es als ein unterschwelliges Serotonin-Syndrom bezeichnen – können die Restless-Legs-Symptomatik verstärken oder gar vortäuschen (Mimics). 2. Der Eingriff in serotonerge Mechanismen der Thrombozytenaggregation kann die Blutungsneigung erhöhen. Es ist denkbar, dass die Entleerung der Eisen-Speicher bei Hypermenorrhö durch hoch dosiertes Citalopram noch beschleunigt wurde. Insofern ist die Hysterektomie auch als radikal kausaler Lösungsansatz für das RLS zu sehen. 3. Der rein serotonerge Wirkansatz – und damit der Verzicht auf eine Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmung (unter anderem in den absteigenden hemmenden Schmerzbahnen) – ist auch ein Verzicht auf koanalgetische Wirkungen, die bei der Fibromyalgie der Patientin wertvoll wären. Dieses Problem wurde durch die Umstellung auf einen SSNRI behoben. Dabei treffen die oben genannten serotonergen Problematiken durchaus auch für Venlafaxin zu, jedoch in weit geringerem Maße.
Tilidin, das hier in diesem Fall wohl primär gegen die Fibromyalgie verordnet wurde, ist wie viele Opioide auch beim RLS wirksam (explizit zugelassen für diese Indikation ist nur die Kombination Oxycodon/Naloxon). Insofern ist auch nach dem Absetzen des bis zur Auffüllung der Eisen-Speicher verordneten Dopaminagonisten Pramipexol die Restless-Legs-Symptomatik nicht unbehandelt.
Fall 2
Der 79-jährige Patient stellte sich erstmalig im Juli 2021 in der Praxis des Allgemeinmediziners vor. Bekannt waren ein Restless-Legs-Syndrom seit zwei Jahren, eine chronische Nieren- und Herzinsuffizienz und ein Diabetes mellitus Typ 2.
Sicht des Allgemeinmediziners Dr. Heiner Buschmann
Herr V. kam kurz nach einer Pulmonalvenenisolation bei Vorhofflimmern in die Praxis und beklagte die mittlerweile nicht mehr aushaltbaren klassischen Restless-Legs-Symptome mit extremen Schlafstörungen.
Entlassmedikation:
- Insulin
- 5 mg Apixaban 1-0-1
- 850 mg Metformin 1-0-1
- 50 bis 75 mg Pregabalin 0-0-1
- 3 mg Rotigotin einmal täglich
- 10 mg Torasemid 1-0-0
- 5 mg Bisoprolol 5 mg 1-0-0
Laborwerte: HbA1c-Wert: 10,1%, Hb-Wert: zwischen 7 und 9 g/dl, glomeruläre Filtrationsrate (GFR): 40 ml/min, Ferritin-Spiegel: mit 32,1 ng/ml im unteren Normbereich.
Die i. v.-Gabe von Eisen mit 1000 mg/Woche über vier Wochen unter Kontrolle der Transferrinsättigung (TSAT) führte bereits nach zwei Wochen zu einer dramatischen Verbesserung der Lebensqualität des Patienten. Nach acht Wochen lag der Ferritin-Wert bei 212 ng/ml, der Hb-Wert stieg auf 12,8 g/dl, die RLS-Symptome waren nicht mehr vorhanden.
Änderungen der Medikation: Rotigotin konnte abgesetzt werden. Durch die deutlich verbesserte Beweglichkeit und einen ungestörten Tag-Nacht-Rhythmus konnte der HbA1c-Wert auf 8,4% gesenkt werden. Ein Antrag auf Kostenübernahme der Eisen-Substitution wurde an die Krankenkasse gerichtet und nach einem Gespräch mit dem Sachbearbeiter genehmigt.
Sicht des Apothekers Dr. Markus Zieglmeier
Das parenterale Auffüllen der Eisen-Speicher schlägt hier zwei Fliegen mit einer Klappe: Eisencarboxymaltose bringt sowohl in der Therapie der Herzinsuffizienz als auch beim Restless-Legs-Syndrom einen Benefit hinsichtlich des subjektiven Befindens und der Lebensqualität. Bei Herzinsuffizienz wurden in Studien auch eine höhere körperliche Leistungsfähigkeit und eine verringerte Zahl von Klinikeinweisungen beobachtet.
Eine parenterale Eisen-Gabe stellt eine hohe Belastung für die Arztpraxis dar, da der Patient wegen des Anaphylaxierisikos während der Infusion überwacht werden und die Kostenübernahme durch die Krankenkassen vorab mit bürokratischem Aufwand beantragt werden muss. Die orale Eisen-Gabe ist daher grundsätzlich zu bevorzugen, sie muss jedoch zu einem wesentlich früheren Zeitpunkt begonnen werden. Legt man den Anstieg der Hb-Werte nach zwölf Wochen zugrunde, konnte Eisencarboxymaltose i. v. in verschiedenen Studien (z. B. bei postpartalen oder bei Blutungsanämien, die durch chronisch-entzündliche Darmerkrankungen bedingt sind bei einem deutlich jüngeren Klientel) keine signifikante Überlegenheit über zweimal 100 mg orales Eisensulfat nachweisen.
Nun wird oral appliziertes Eisen jedoch entweder gut resorbiert (Bioverfügbarkeit bis 30% bei Nüchterneinnahme, verbunden mit mehr gastrointestinalen Nebenwirkungen) oder gut vertragen (ca. 10% bei Einnahme zum Essen), die Adhärenz ist daher stets gefährdet. Die prozentuale Eisen-Resorption sinkt mit steigender Dosis, die Nebenwirkungen gehen großenteils von dem im Darm verbliebenen Anteil aus. Derzeit gibt es zwei Ansätze, die Eisen-Resorption so zu verbessern, dass man die oralen Dosierungen senken und Nebenwirkungen vermeiden kann: Der erste besteht in der Gabe bestimmter Probiotika und ist in zwei kleineren Studie untersucht. Der zweite Ansatz besteht in der teilweisen Ausschaltung der Feedback-Hemmung des Eisen-Transports ins Blut durch das Glycoprotein Lactoferrin. Resorbiertes Eisen und Zytokine triggern in der Leber die Ausschüttung von Hepcidin, das seinerseits im Darm Ferroportin hemmt. Diese physiologische Feedbackhemmung schützt den Organismus vor einer Eisen-Überladung, kann aber beim Säugling durch Lactoferrin aus der Muttermilch außer Kraft gesetzt werden. Die vor allem mit Schwangeren erhobenen Studiendaten zeigen in Kombination mit oralem Eisen einen deutlich stärkeren Anstieg der Hb- und Ferritin-Werte als unter Eisen alleine. Das Probiotikum und Lactoferrin sind als Nahrungsergänzungsmittel auf dem Markt und müssen daher vom Patienten selbst bezahlt werden.
Der 79-jährige herzinsuffiziente RLS-Patient hätte von einer solchen Strategie sicher nicht mehr profitiert. Um parenterale Eisen-Gaben zu vermeiden, sollte daher bei jedem RLS-Patienten frühzeitig der Eisen-Status mit den Ferritin-Werten (cave: Akutphasenprotein, nur bei normwertigen CRP verwertbar!) und/oder Transferrinsättigung erhoben und gegebenenfalls früh mit einer moderat dosierten Eisen-Substitution begonnen werden. |
Literatur
Buschmann H, Zieglmeier M. Eisen und das Restless-Legs-Syndrom – Zwei Fälle aus der Praxis. Der niedergelassene Arzt 2022;3:8, Nachdruck mit freundlicher Genehmigung der Redaktion
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