Arzneimittel und Therapie

Zu viel des guten HDL

Schaden hohe Werte?

Das Bild vom „guten“ HDL hat in den letzten Jahren Risse bekommen. Mehr heißt nicht unbedingt besser. Auch eine neue norwegische Studie stellte sowohl bei niedrigen als auch bei hohen Werten eine erhöhte Mortalität fest. Dass aber hohe HDL-Cholesterol-Blutspiegel schadeten, stand wohl mit dem Alkoholkonsum der Probanden in Zusammenhang.

HDL-Cholesterol genießt den Ruf des „guten“ Cholesterols. Schließlich befördert das Lipoprotein Cholesterol aus der Peripherie zur Leber, wo es verstoffwechselt wird. Geringe Blutspiegel (< 40 mg/dl bzw. < 48 mg/dl bei Männern bzw. bei Frauen) gelten als kardiovaskulärer Risikofaktor. Diese Annahme ist in den letzten Jahren ins Wanken geraten, scheiterten doch beispielsweise Studien mit Inhibitoren des Cholesteryl-Ester-Transfer-Proteins (CETP), die HDL erhöhen sollen [1]. Auch eine genetisch bedingt höhere HDL-Cholesterol-Produktion senkt das kardiovaskuläre Risiko nicht [2]. Gleichzeitig scheint das Lipoprotein auch in nicht kardiovaskuläre Krankheitsprozesse einzugreifen. Norwegische Forscher untersuchten deshalb die Frage, wie HDL-Cholesterol-Spiegel und verschiedene Todesursachen miteinander zusammenhängen [3].

Große Bevölkerungsstudie

In einer prospektiven bevölkerungs­bezogenen Beobachtungsstudie griffen sie auf die Daten von bereits publizierten norwegischen, bevölkerungsweiten Studien aus den Jahren 1977 bis 2003 zurück. Die Autoren verfolgten die insgesamt 344.556 Probanden (20 bis 79 Jahre) dann bis zum Jahr 2018 nach. Daten zur krankheitsspezifischen Mortalität der Probanden extrahierten sie aus dem norwegischen Todesursachenregister. Kritikpunkt hier: Es lagen nur HDL-Baseline-Werte bei Studieneinschluss vor. Bis zum Ende der Studie oder dem Tod der Probanden wurden keine weiteren Daten erhoben. In der Mortalitätsanalyse dieser Daten (69.505 Probanden starben im Beobachtungszeitraum) offenbarte sich ein U-förmiger Zusammenhang zwischen HDL-Cholesterol-Spiegeln und Gesamtmortalität. Das heißt, niedrige und hohe Werte erhöhten beide die Sterblichkeit der Probanden. HDL-Level von 50 bis 59 mg/dl dienten hierbei als Referenz.

Foto: sonyakamoz/AdobeStock

Nicht ein erhöhter HDL-Cholesterol-Wert, sondern der Alkoholkonsum der Probanden schien einer norwegischen Studie zufolge für deren erhöhte Mortalität verantwortlich gewesen zu sein.

Ungleiches „U“

Die beiden Arme des „U“ gingen allerdings auf unterschiedliche Todesursachen zurück: HDL-Cholesterol-Spiegel unter 30 mg/dl erhöhten im Vergleich die Sterberate um 29%, insbesondere das kardiovaskuläre Mortalitätsrisiko (etwa durch ischämische Herzerkrankungen, Herzversagen, Arrhythmien) stieg um 54%. Das Risiko, an Krebs zu sterben, vor allem an Magenkrebs, war ebenfalls um 13% erhöht. Dass Probanden weder an Krebs noch an kardiovaskulären Erkrankungen starben, kam ebenfalls um 18% häufiger vor. Vielfach waren solche Todesfälle Diabetes-assoziiert. Auf der anderen Seite des Spektrums, bei HDL-Cholesterol-Werten über 99 mg/dl, stieg das generelle Sterberisiko im Vergleich zur Referenz um 31%. Dabei gingen die zusätzlichen Todesfälle nicht auf das Konto von kardiovaskulären Erkrankungen. Das Risiko, an einer solchen Krankheit zu sterben, war nur um 4% erhöht. Das kardiovaskuläre Risiko hoher HDL-Werte bleibt aber angesichts der uneinheitlichen Studienlage den Autoren zufolge weiter ungewiss. Das Risiko, an Krebs bzw. an sonstigen Krankheiten zu erkranken, war bei hohen HDL-Blutspiegeln um 25% bzw. um 66% erhöht.

Confounder Alkohol

Besonders Lebererkrankungen, Mund- und Speiseröhrenkrebs, Unfälle und Diabetes steigerten die Sterberate bei erhöhten HDL-Cholesterol-Spiegeln. Den Autoren zufolge lassen sich diese Todesursachen alle auf einen gemeinsamen Nenner bringen: Alkohol. Verschiedene Studien legen nahe, dass Alkoholkonsum die HDL-Cholesterol-Werte ansteigen lässt [4]. Demzufolge waren starke Trinker in der Studienpopulation mit hohen HDL-Cholesterol-Werten überrepräsentiert und verzerrten das Bild zugunsten Alkohol-assoziierter Mortalitäten. Bei Studieneinschluss wurde das Trinkverhalten nicht erfasst. Werden in der Praxis hohe HDL-Cholesterol-Konzentrationen gemessen, sollte deshalb vor allem der Alkoholkonsum noch einmal hinterfragt werden. |

Literatur

[1] Barter PJ et al. Effects of Torcetrapib in Patients at High Risk for Coronary Events. N Engl J Med 2007;357(21):2109-2122, doi: 10.1056/NEJMoa0706628

[2] Voight BF et al. Plasma HDL cholesterol and risk of myocardial infarction: a mendelian randomisation study. Lancet 2012;380(9841):572-580, doi: 10.1016/S0140-6736(12)60312-2

[3] Mørland JG et al. Associations between serum high-density lipoprotein cholesterol levels and cause-specific mortality in a general population of 345 000 men and women aged 20–79 years. Int J Epidemiol 2023;dyad011, doi: 10.1093/ije/dyad011

[4] Tverdal A et al. Alcohol consumption, HDL-cholesterol and incidence of colon and rectal cancer: a prospective cohort study including 250,010 participants. Alcohol Alcohol 2021;56(6):718-725, doi: 10.1093/alcalc/agab00

Apotheker Dr. Tony Daubitz

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