Typ-2-Diabetes

Primärprävention mit ASS hilft nicht in jedem Fall

Bochum/Konstanz - 08.09.2009, 10:19 Uhr


Patienten mit Typ-2-Diabetes ohne ein vorheriges Gefäßereignis wie Herzinfarkt oder Schlaganfall profitieren insgesamt wahrscheinlich nicht von einer antithrombotischen Therapie im Rahmen der Diabetes-Behandlung.

Eine Folge des Diabetes ist ein hohes Risiko für Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems. Diabetes mellitus gilt daher als besonderer Risikofaktor für einen Herzinfarkt oder Schlaganfall. Mehr als drei Viertel der Diabetiker sterben an Folgen von Durchblutungsstörungen in diesen Gefäßen. Um die Gefahr zu senken, empfehlen viele wissenschaftliche Gremien eine antithrombotische Therapie, welche jedoch nicht generell, sondern individuell und abgestimmt auf die Vorgeschichte des Patienten erfolgen sollte.

Für diese antithrombotische Therapie wird vor allem Acetylsalicylsäure (ASS) eingesetzt. Bisherige Untersuchungen zeigen, dass dieser Wirkstoff die Anzahl von kardiovaskulären Gefäßerkrankungen senken kann: In einer kürzlich durchgeführten Metaanalyse mehrerer Studien, die 95.000 Menschen aus der Allgemeinbevölkerung einschloss - veröffentlicht in der Fachzeitschrift Lancet (2009; 373, 1849-60) - lag die Anzahl der kardiovaskulären Ereignisse unter Einnahme von ASS um zwölf Prozent niedriger als ohne. Dem stand jedoch eine signifikante Zunahme an Blutungen insbesondere aus dem Magen-Darmtrakt gegenüber. Insgesamt wurde ein "Nettonutzen" von ASS für die Allgemeinbevölkerung als fraglich eingestuft.

In die gleiche Richtung weist auch die Studie "Aspirin for Asymptomatic Atherosclerosis (AAA)", die Georg Fowkes, Edingburgh, Ende August 2009 auf dem Europäischen Kardiologenkongress in Barcelona vorstellte. Die Wissenschaftler untersuchten 29.000 schottische Frauen und Männer auf Erkrankungen der Gefäße. Sie fanden 3.350 Teilnehmer mit Hinweisen auf eine beginnende, asymptomatische Atherosklerose, jedoch ohne Herzinfarkt oder Schlaganfall. Die Hälfte der Teilnehmer erhielt täglich 100 mg ASS, die andere Hälfte ein Plazebo. Im Schnitt wurden die Personen 8,2 Jahre lang beobachtet und kardiovaskuläre Ereignisse erfasst. Ergebnis: ASS zeigte keine erkennbaren Vorteile bezüglich Gefäßerkrankungen.

Menschen mit Diabetes sind Hochrisikopatienten für Herz-Kreislauferkrankungen. Die Annahme war bisher, dass bei ihnen die Einnahme von ASS vor gefäßbedingten Erkrankungen schützt. Diese so genannte "Primärprävention" wird deshalb von der Amerikanischen Diabetesgesellschaft (ADA) empfohlen. Auch die Praxisleitlinie der Deutschen Diabetes-Gesellschaft (DDG) vom Jahre 2008 führt hierfür ASS an.

Inzwischen mehren sich aber die Erkenntnisse, die gegen den Einsatz von ASS in der Primärprävention von Herz-Gefäßkomplikationen bei Diabetespatienten sprechen. So zeigten sich in der japanische Studie "Japanese Primary Prevention of Atherosclerosis with Aspirin for Diabetes" (JPAD) - veröffentlicht in der Fachzeitschrift J. Am. Med. Assoc. (2008;300:2134-41) - nicht die erwarteten Vorteile, wenn Typ-2-Diabetiker ASS einnehmen.

In einer schwedischen Untersuchung war die Sterblichkeit von Diabetespatienten ohne vorausgegangene kardiovaskuläre Ereignisse unter der Behandlung mit ASS sogar erhöht: "Aspirin increases mortality in diabetic patients without cardiovascular disease: a Swedish record linkage study" (Pharmacoepidemiol Drug Safety, Wiley, London, August 2009). Die Mortalität stieg signifikant bei 50-Jährigen um 17 Prozent, bei 85-Jährigen um 29 Prozent.

Günstig waren hingegen die Ergebnisse bei der Sekundärprävention: Hatten die Teilnehmer bereits einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall, tendierte die Sterblichkeit mit Einnahme von ASS zu niedrigeren Zahlen als ohne. Die Autoren dieser Studie, L. Welin et al., fordern, die Leitlinien zu revidieren. Mit einer eventuellen Empfehlung von ASS zur Primärprävention bei Diabetes solle abgewartet werden, bis die Resultate größerer, randomisierter kontrollierter Studien vorliegen.

"Wir müssen also noch stärker als bisher abwägen, ob eine antithrombotische Therapie mit Aspirin bei Diabetes sinnvoll ist oder nicht, und auch die Nebenwirkungen wie Magen-Darm-Blutungen bedenken", betonte Schatz. Zur primären Verhütung von Herzinfarkt und Schlaganfall sei dies nach den jetzt vorliegenden, neuen Studien offenbar nicht der Fall.


Bettina Hellwig