Neurowissenschaften

Wie Nervenzellen rechnen

Berlin - 30.01.2010, 09:33 Uhr


Berliner Wissenschaftler konnten jetzt zeigen, dass kleine elektrische Signale von Nervenzellen, so genannte Spikelets, beim räumlichen Gedächtnis und der räumlichen Orientierung

Nervenzellen kommunizieren über elektrische Signale, indem sie Aktionspotenziale auslösen. Bereits im Jahre 1961 entdeckte der spätere Nobelpreisträger Eric Kandel, dass Neurone im Hippocampus nicht nur Aktionspotenziale, sondern auch sehr viel kleinere elektrische Signale produzieren - so genannte Spikelets. Diese Spikelets konnten bisher allerdings nur an narkotisierten Tieren gemessen werden.

Der Hippocampus ist eine Hirnregion, die beim räumlichen Gedächtnis und der räumlichen Orientierung eine zentrale Rolle spielt. Den Berliner Forschern ist es mit einem neuen Messverfahren gelungen, vom Inneren einzelner Zellen des Hippocampus elektrische Signale abzuleiten, während sich das Tier frei im Käfig bewegt. Dadurch konnten sie untersuchen, welche Bedeutung die Spikelets für die Hirnfunktion bei bestimmten Verhaltensweisen haben.

So genannte Ortszellen im Hippocampus werden immer dann aktiv und senden Aktionspotentiale aus, wenn sich das Tier an einem bestimmten Ort in einer ihm bekannten Umgebung aufhält. Die neuen Messungen zeigen nun, dass eben diese Ortszellen nicht nur Aktionspotenziale aussenden, sondern auch Spikelets. Weiterhin konnten die Wissenschaftler zeigen, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen der Entstehung von Aktionspotenzialen und Spikelets gibt: Etwa ein Drittel der Aktionspotentiale werden von Spikelets ausgelöst. Bisher war man davon ausgegangen, dass Neurone in aller Regel nur dann ein Aktionspotenzial aussenden, wenn sie von vorgeschalteten Zellen über chemische Synapsen ausreichend angeregt werden.

Woher die Spikelets stammen, konnte bisher nicht eindeutig nachgewiesen werden. Man nimmt an, dass sie durch elektrische Kopplungen zwischen den Zellen ausgelöst werden. Jede Nervenzelle im Hippocampus erhält etwa 30.000 Kontakte von anderen Nervenzellen. An diesen Kontaktstellen ist die elektrische Übertragung unterbunden und das elektrische Signal muss zur Weiterleitung in ein chemisches Signal umgewandelt werden. Einige wenige, wahrscheinlich nur einer bis vier von 30.000 Zellkontakten aber sind elektrisch gekoppelt: Das elektrische Signal kann direkt und ohne chemische Botenstoffe übertragen werden - in der Empfängerzelle wird es dann als Spikelets gemessen. Die neuen Daten weisen darauf hin, dass elektrische Kopplungen ganz spezifisch Zellen mit einer ähnlichen Funktion im Ortsgedächtnis zusammenschalten, und diese daher möglicherweise viel bedeutender sind als bisher angenommen.

Literatur: Epsztein, J., et al.: Science 2010:327;474-77.


Dr. Bettina Hellwig