Kabinett beschließt GKV-Finanzierungsgesetz

Röslers Reform erntet Kritik von allen Seiten

Berlin - 22.09.2010, 09:06 Uhr


Unmittelbar vor dem heutigen Kabinettsbeschluss zur Gesundheitsreform schlägt Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) eine Welle der Kritik entgegen. Die Opposition verschärfte ihre Angriffe. Der Ökonom Jürgen Wasem sagte, er erwarte 2020 im Schnitt knapp 80 Euro Zusatzbeitrag im Monat für jedes Kassenmitglied.

Mit dem Gesetz will die Koalition das erwartete Kassendefizit für das kommende Jahr von rund zehn Milliarden Euro ausgleichen. Der Beitragssatz soll dafür von 14,9 auf 15,5 Prozent steigen und dann festgeschrieben werden. Künftig sollen nur noch pauschale Zusatzbeiträge ohne Obergrenze steigen können. Die gesetzlich Krankenversicherten sollen somit alle künftigen Kostensteigerungen im Gesundheitswesen allein tragen – allerdings soll ein Sozialausgleich aus Steuermitteln sicherstellen, dass niemand über zwei Prozent seines Einkommens extra an die Kassen zahlen muss.

Die SPD-Gesundheitspolitikerin Carola Reimann kritisierte: „Der Versicherte zahlt die Zeche.“ Die Kassenmitglieder würden gleich doppelt belastet, denn zu dem Beitragsplus kämen die Zusatzbeiträge.Der Sozialausgleich ist aus Reimanns Sicht „seinen Namen nicht mehr wert“. Zwei Prozent seien zu hoch angesetzt. Die SPD-Politikerin monierte zudem: „Da wird sehr unverhohlen lupenreine Lobbypolitik für die private Krankenversicherung gemacht.“ So sollen auch die Privatkassen künftig von Arzneimittelrabatten profitieren, die bisher nur der GKV zukamen.

Grünen-Fraktionschefin Renate Künast hielt Rösler vor, einen Vorschlag zu machen, „bei dem tatsächlich der Krankenversicherung die Solidarität ausgetrieben wird.“ Am Ende müssten alle die gleiche Kopfpauschale bezahlen, sagte sie der dpa. Ein Fehler sei es, dass die Arbeitgeberbeiträge auf 7,3 Prozent festgeschrieben werden sollen. „Bei den Arbeitnehmern wird immer draufgelegt.“ Künast meldete zudem Zweifel an, dass der Sozialausgleich tatsächlich kommt. „Das möchte ich erstmal sehen angesichts einer Rekordverschuldung und einer Schuldenbremse.“ Die Gesundheitsreform sei eine Klientelbedingung für FDP.

Der Essener Gesundheitsökonom Jürgen Wasem warnte vor drastischen Mehrbelastungen. „Die Kopfpauschale kommt praktisch durch die Hintertür“, sagte er der „Saarbrücker Zeitung“. Im nächsten Jahr sei der vom Einkommen unabhängige Zusatzbeitrag wegen der allgemeinen Beitragssatzsteigerung noch kaum spürbar. „Aber immer wenn die Gesundheitsausgaben stärker steigen als die Löhne und Gehälter und der allgemeine Beitrag laut Gesetz unverändert bleibt, dann wird der Zusatzbeitrag deutlich zulegen“, so Wasem. Auch den geplanten Sozialausgleich für Niedrigverdiener sieht er skeptisch. Die spannende Frage sei, ob dafür in Zukunft genügend Steuermittel zur Verfügung stehen.

Die Vorsitzende des GKV-Spitzenverbands, Doris Pfeiffer, sieht nicht zuletzt die Leistungserbringer zu Unrecht verschont: „Die Bundesregierung will den Krankenkassenbeitrag für 50 Millionen Kassenmitglieder und deren Arbeitgeber erhöhen, damit die Einnahmen der Ärzte, Zahnärzte und Krankenhäuser weiter kräftig steigen können“. Gegenüber der Nachrichtenagentur dpa gab sie sich überzeugt, dass man das Ziel der finanziellen Stabilität durch ein „engagiertes Sparprogramm“ auch ohne einen solchen Beitragsaufschlag hätte erreichen können. „Das wäre der bessere Weg gewesen.“


dpa


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