Zentrales Nervensystem

Wie das Gehirn Erinnerungen speichert

Braunschweig/Martinsried - 08.02.2011, 07:25 Uhr


Wie unser Gehirn wichtige Informationen und Erfahrungen zuverlässig speichern kann, ohne dass die Zahl seiner Zellen und Verknüpfungen im Laufe eines Lebens immer weiter wachsen muss, untersuchten Forscher am Institut für Zoologie der Technischen Universität Braunschweig.

Unser Gehirn speichert täglich unzählige Informationen. Die Speichereinheiten für diese Informationen finden sich in den Synapsen, den feinen Verästelungen, über die sich die Nervenzellen im Gehirn miteinander vernetzen. Jede einzelne Zelle verfügt über bis zu 10.000 davon. Sobald wir Informationen verarbeiten, verändern sich diese. Wenn bestimmte Informationen nun in das Langzeitgedächtnis überschrieben werden sollen, bedeutet das, dass sich die entsprechenden Synapsen dauerhaft verändern müssen.

Dazu produzieren die betroffenen Bereiche der Synapsen einen Marker (engl. „tag“), der dafür sorgt, dass die dafür notwendigen regulatorischen Proteine nur an eben diesen markierten Synapsen wirksam sind. Durch dieses „Synaptic tagging“ müssen Proteine aus dem Zellkern nicht mehr gezielt an die richtige Stelle transportiert werden, sondern sie können in eine größere Funktionseinheit „geschickt“ werden. Ihre Wirkung entfalten sie nur an der richtigen Stelle. Das Gehirn hängt auf diese Weise gleichsam einen Wimpel mit der Aufschrift „bitte verarbeiten und behalten“ an die eintreffenden Signale. Auf Signale, die diesen Wimpel nicht erhalten, kann das Gehirn zwar reagieren, wird sie aber später wieder vergessen, um seine Speicherkapazitäten zu schonen.

Warum wir wichtige Informationen über lange Zeit zuverlässig abrufen und Gelerntes von Neuem unterscheiden können, wird unter anderem durch das Protein NogoA bestimmt. Dieses Protein hemmt das Wachstum von Nervenzellen. Es kommt im Körper nur im zentralen Nervensystem vor und kann hier eine fatale Wirkung entfalten. Wird das Rückenmark verletzt, sorgt dieses Protein dafür, dass die Nerven sich nicht wieder miteinander vernetzen.

Bisher war bekannt, wie NogoA funktioniert, nicht aber, warum es existiert. Vor allem die Tatsache, dass das Protein am meisten im Hippocampus vorkommt, gab Rätsel auf. Es findet sich also vor allem in der Hirnregion, die dafür verantwortlich ist, welche Informationen vom Kurz- ins Langzeitgedächtnis überführt werden.

Forscher aus Martinsried konnten nachweisen, dass NogoA sowohl die Funktion als auch die Struktur von Nervennetzen stabilisiert, und auf diese Weise hilft, Erinnerungen zu speichern. Es schreibt also in bestimmten Stellen des Gehirns die Funktionalität von neuronalen Netzten fest und schützt sie vor weiteren Änderungen. Allerdings können Antikörper an das Molekül binden und seine Wirkung wiederum an bestimmten Stellen verhindern.

Die Erkenntnisse können in einigen Jahren zur Entwicklung neuer Wirkstoffe führen. Bei Schäden im zentralen Nervensystem, wie sie etwa bei einem Schlaganfall auftreten, kann die gezielte Blockade von NogoA die Plastizität fördern und die Rehabilitation unterstützen (also die Veränderlichkeit der neuronalen Netze erleichtern).

Quelle:
Sreedharan, S. et al.: Proc. Natl. Acad. Sci. 2011, Online-Veröffentlichung, DOI: 10.1073/pnas.1016849108
Delakate, A., et al.: Proc.
Natl. Acad. Sci. 2011, Online-Veröffentlichung, DOI:10.1073/pnas.1013322108.


Dr. Bettina Hellwig