Die letzte Woche

Mein liebes Tagebuch

07.04.2013, 08:00 Uhr


Riten und Gewohnheiten braucht man, sie geben Halt, sie sind verlässlich und bequem. Aber manchmal sollte man sich auch fragen, ob man über Veränderungen nachdenken sollte. Zum Beispiel bei der Lottoziehung. Seit zig Jahren haben sich Aufsichtsbeamter und Ziehungsleiter „vom ordnungsgemäßen Zustand“ der Ziehungstrommel überzeugt. Und dann bleiben am vergangenen Mittwoch zwei Kugeln hängen – und keiner merkt’s. Die Ziehung musste wiederholt werden. Liebes Tagebuch, über Änderungen denkt auch der Bundesgesundheitsminister nach. Er will eine Gesetzeslücke schließen und Bestechlichkeit von Ärzten unter Strafe stellen. Und drei bayerische Apotheker fragen sich, ob der Kammerbeitrag immer noch am Umsatz bemessen werden soll und ob es nicht ein paar Kammern im Land weniger auch täten.

2. April 2013

Mia san doch au wer, sagte sich wohl der bayerische Vorsitzende des Bundesverbands Deutscher Apothekenkooperationen (BVDAK), Stefan Hartmann, und beschwerte sich beim Bundesgesundheitsministerium, weil man seinen Verband, die politische Interessenvertretung der Kooperationsapotheken, nicht um eine Stellungnahme zum Apothekennotdienstsicherstellungsgesetz gebeten hatte. Der Protest fruchtete. Das BMG entschuldigte sich beim BVDAK. In Zukunft wird auch der Kooperationsverband seinen festen Platz im BMG-Verteiler haben – auch wenn der BVDAK „momentan“ noch nicht mit der ABDA vergleichbar sei, wie Hartmann seinen Verband selbstkritisch sieht. Aber, liebes Tagebuch, vielleicht hilft diese Adelung des BVDA durch das Ministerium, dass sich auch die großen Großhandelskooperationen dem Verband anschließen, denn die fehlen ihm noch.

Rückschlag für Novartis in Indien: Das Krebsmittel Glivec (Imatinib) erhielt vom Obersten Gerichtshof Indiens keinen Patentschutz. Vorteil für Patienten in den ärmeren Ländern: Sie erhalten das innovative Arzneimittel jetzt zu erschwinglichen Generikapreisen. Mein liebes Tagebuch, da wird sich in Zukunft ein Unternehmen genau überlegen, ob es mit einem neuen Arzneimittel auf den indischen Markt geht. Andererseits, die Geister die ich rief... Die westliche Pharmaindustrie selbst war es, die Indien mit Pharma-Know-how ausgestattet hat. Das bringt Indien bereits den Ruf, Apotheke der Welt zu sein, womit man nicht ganz falsch liegt: hier dürfte wohl der größte Teil der Generikaproduktion für den westlichen Markt angesiedelt sein. Und die deutschen Rabattverträge haben diese Entwicklung beschleunigt. It’s the economy, stupid!

Die „Economy“ ist auch daran schuld, liebes Tagebuch, dass der Traditionsname „Anzag“ aus dem deutschen Pharmamarkt verschwunden ist. Seit 1. April – und das ist kein Scherz – firmiert die Anzag unter dem kurzen knackigen Namen „Alliance Healthcare Deutschland AG“. Ausgesprochen etwa so: ällaiänz helskehr deutschland age. Der neue Besitzer, die ällaiänz buuds gruup, wollte das so, damit man weiß, wer der Herr im Haus ist. Aber, bis auf den neuen Namen bleibt alles unverändert. Ei häv anderstutt.

3. April 2013

Manchmal wundert man sich, dass es immer noch Lücken im System gibt. Zum Beispiel die, dass Kassenärzte nicht wegen Bestechlichkeit strafrechtlich belangt werden können. Die kleine Hifi-Anlage für die Praxis, das iPad für unterwegs oder auch mal ein paar Geldscheine für das Ausfüllen von läppischen Umfragen, kleine Geschenke des Pharmaherstellers A für den sehr geehrten Herrn Doktor, die sehr verehrte Frau Doktor fürs fleißige Verordnen der A-Präparate – damit soll nun Schluss sein. Bundesgesundheitsminister Bahr will diese Gesetzeslücke noch in dieser Wahlperiode schließen. Endlich. Bestechung und Bestechlichkeit von Kassenärzten soll künftig mit einer Geldstrafe oder bis zu drei Jahren Haft geahndet werden. Es wird höchste Zeit.

Montgomery wäre nicht Montgomery, würde er sich bei diesem Vorhaben von Bahr nicht zu Wort melden. Der Präsident der Bundesärztekammer begrüßte zwar Bahrs Absicht, Korruption bei Ärzten unter Strafe zu stellen. Aber: der Gesundheitsminister dürfe dabei auch die Krankenkassen nicht vergessen. Auch deren Fehlverhalten gehöre auf den Prüfstand, z. B. „bei fragwürdigen Rabattverträgen oder bei sogenannten Abrechnungsoptimierungen“, so der Chef der Ärztekammer. Wo er Recht hat…

4. April 2013

Die Idee der norwegischen Arzneimittelbehörde ist einfach Klasse. Sie stellte unter dem Namen „Pharmacy for you“ (www.pharmacyforyou.no) eine als Internetapotheke aussehende Seite ins Netz, so wie es sich der Kunde erwartet, gleich mit „Potensmiddel“ und „vekttap“ (Gewichtsabnahme) am Anfang der Auswahlliste. Klickt man allerdings auf irgendeinen Button dieser Online-Apotheke, erscheint die zweite Seite. Hier prangt groß der Hinweis“ „Medikamente, die du im Netz kaufst, sind oft gefälscht und illegal…Fast alle Internet-Apotheken sind illegal. Woher weißt du, ob die Website, von der du kaufst, seriös ist?“ Und weiter: „Gefälscht = gefährlich“. Die Seite, erstellt von der norwegischen Arzneimittelbehörde, dem Industrieverband und dem norwegischen Zoll, will die Bevölkerung vor falschen Internet-Apotheken warnen. Liebes Tagebuch, das könnte in Deutschland eine tolle Gemeinschaftsinitiative von Bundesgesundheitsministerium (BMG), Kammer (BAK) und Industrieverbänden (IVFA, BAH und BPI) sein.

Hilfe, die Hilfsmittel! Oder: denk ich an Hilfsmittel in der Nacht, bin ich um den Schlaf gebracht. Der ganze Bürokratismus, der sich um die Abgabe von Pippi-Windeln und ähnlichen Verbrauchshilfsmitteln dreht, ruft bei vielen nur noch Kopfschütteln hervor. Es gibt schon Apotheken, die haben Hilfsmittel aus ihrem Angebot verbannt, denn verdient wird damit nichts. Aber, wer Hilfsmittel abgibt, muss sich der Kassenbürokratie beugen. Jüngste Errungenschaft im Vorschriftendschungel für Hilfsmittel: der Arzt muss auf dem Rezept den Versorgungszeitraum angeben. Hat der’s vergessen, muss die Apotheke die Angaben nach Rücksprache mit dem Arzt ergänzen. Ist der Arzt nicht erreichbar, empfiehlt der Hessische Apothekerverband einen „plausiblen Versorgungszeitraum“ anzugeben. So ist’s recht.

Dass Krankenkassen mit Apotheken mitunter doch noch sinnvoll zusammenarbeiten können, zeigen die neuen regionalen Lieferverträge für Grippeimpfstoffe. Die Apothekerverbände von Hessen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland haben solche Verträge mit den regionalen Krankenkassen geschlossen. Mein liebes Tagebuch, sollten diese Kassen verstanden haben, dass Grippeimpfstoff-Ausschreibungen, wie in der letzten Saison passiert, zum Desaster führen? Für die kommende Saison haben diese Verbände und Kassen einen Festpreis vereinbart, unabhängig davon, welcher Impfstoff verordnet wird. Damit wird verhindert, dass es durch den Abschluss von Rabattverträgen mit einem einzigen Hersteller zu Lieferproblemen kommt. Bis Ende April sollen die Ärzte ihren voraussichtlichen Bedarf bei den Apotheken vorbestellen. Vielleicht ist dieses Beispiel ja Vorbild auch für andere Bundesländer. Na also, es geht auch anders.

Sie probieren es einfach mal: drei bayerische Apotheker (unter ihnen der BVDAK-Vorsitzende Stefan Hartmann) bringen zur nächsten Delegiertenversammlung ihrer Kammer Anfang Mai den Antrag ein, den Kammerbeitrag statt vom Umsatz vom Gewinn (nach Abschreibungen, vor Steuern) einer Apotheke zu bemessen. Begründet wird der Antrag damit, dass der Umsatz ständig gestiegen, der Ertrag dagegen kontinuierlich gesunken ist. Jede vierte Apotheke in Bayern erwirtschaftet nur noch ein Ergebnis von unter 50.000 Euro im Jahr. Sagt sogar die Kammer selbst. Solche Apotheken sollen, so die Antragsteller, beitragsmäßig künftig einem angestellten Apotheker gleichgestellt werden. Mein liebes Tagebuch, da der Umsatz in der Tat heute nur noch wenig über den Gesundheitszustand einer Apotheke aussagt, sondern der Ertrag das Entscheidende ist, zielt der Antrag sicher in die richtige Richtung. Aber, aber: wer möchte denn der Kammer seine Gewinnrechnung vorlegen?

Da die Antragsteller also selbst nicht so recht daran glauben, dass dieser Antrag durchkommt, wollen sie eine Senkung des Kammerbeitrags mit einem Ersatzantrag erreichen: Bei der Beitragsberechnung pro Apotheke soll ein Umsatz-Freibetrag von 250.000 Euro berücksichtigt werden. Ja, darüber wird man ja mal abstimmen können.

Und ein dritter Antrag folgt sogleich: Dieser will die Kammer dazu bewegen, nach Möglichkeiten zur Kostensenkung bei der Kammerarbeit zu suchen. Ja, warum nicht? Wie jede Apotheke, die ordentlich wirtschaftet, so sollte auch jede Kammer alles auf den Prüfstand stellen, nach Rationalisierungsmöglichkeiten suchen und hinterfragen, ob dies oder jenes noch sein muss.

Und kein Tabu sollte sein, was die bayerischen Antragsteller darüber hinaus fordern: zu prüfen, ob auch eine Fusion mit „benachbarten Landesapothekerkammern zu einer Apothekerkammer Süd“ Kosten senken könnte. Liebes Tagebuch, das klingt sehr ambitioniert, Bayern und Schwaben in einer Kammer! Na ja, eine Kammer Nord (ein Zusammenschluss der Kammern von Hamburg, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern) war auch schon mal im Gespräch und wurde schnell beerdigt. Dennoch, rational betrachtet, losgelöst von Gefühlen und Eitelkeiten: Würde es gar ausreichen, wenn wir in Deutschland nur noch vier große Kammerbereiche hätten, Nord, Süd, West und Ost? Möglich, dass es dazu eines fernen Tages kommt  – aus Kostengründen. Aber noch können wir uns ein paar Traditionszöpfe leisten und mit 17 hübschen Kämmerchen leben.

5. April 2013

Er steht, der Zeitplan für die parlamentarischen Beratungen zum Apothekennotdienstsicherherstellungsgesetz (ANSG), will heißen: Erhöhung des Apothekenhonorars um 16 Cent, Abführung dieser Erhöhung in einen Fonds und Verteilung der Gelder durch den Deutschen Apothekerverband an die Apotheken abhängig von den geleisteten Nachtdiensten. Und so sieht der Zeitplan für das Gesetz aus: nach der Osterpause bringen die Koalitionsfraktionen das ANSG als „Fraktionsinitiative“ ins Parlament. In der Woche nach dem 15. April 1. Lesung im Bundestag, dann am 15. Mai Anhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestags, 2. und 3. Lesung in der ersten Juni-Woche, Zustimmung des Bundesrats am 5. Juli, Inkrafttreten noch im Juli. Das war’s. Hoffentlich.


Peter Ditzel


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