Die letzte Woche

Mein liebes Tagebuch

Stuttgart - 30.03.2014, 08:00 Uhr


Eine heiße Woche liegt hinter uns. Aus Vivesco wird Alphega – aber fragen wir lieber nicht, wie die Metamorphose zustande kam – oh je. Lieferengpässe schaffen es in die Wirtschaftswoche – gut so. Endlich: die LAK Baden-Württemberg setzt sich für Barrierefreiheit mit Augenmaß ein. ARMIN geht an den Start – eine historische Chance beginnt. Die ABDA bleibt den Kassen und der Politik die Beschreibung der Apothekenaufgaben schuldig – gefährdet das die Abschaffung des Kassenabschlags? Und, mein liebes Tagebuch: eine aktuelle Studie der Apothekerkammer Nordrhein zeigt, wie hoch die BtM-Gebühr wirklich sein muss. Es ist die Studie der Woche!

24. März 2014

Noch immer ist offen, wie’s mit der „Pille danach“ weitergehen soll. Auf eine Kleine Anfrage der Linken erklärte die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium, Ingrid Fischbach: Das weitere Vorgehen werde derzeit geprüft. Während das Ministerium  prüft und prüft (das, was fast alle anderen europäischen Länder bereits eingeführt haben) und keine stichhaltige Begründung für seine Position liefert, wird Deutschland derweil von der EU rechts überholt und eine andere „Pille danach“  europaweit freigegeben. Zudem: Die Kommission macht bereits Druck und droht mit einem Klageverfahren vor dem EuGH. Die Vorstufe, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik läuft bereits, weil Levonorgestrel-Notfallkontrazeptiva bis heute nicht aus der Verschreibungspflicht entlassen wurden. Mein liebes Tagebuch, die Pille-danach-Diskussion wird so langsam zur deutschen Posse.

25. März 2014

Apothekeninhaberinnen und -inhaber, die schon dabei sind, ihre Apothekenverkaufsräume für 100.000 Euro und mehr tiefer legen zu lassen, damit auch wirklich die letzte Stufe fällt und Barrierefreiheit nach der neuen Apothekenbetriebsordnung gewährleistet ist, mögen erstmal das Tiefbauunternehmen abbestellen. Denn die Landesapothekerkammer Baden-Württemberg und der Landesverband für Menschen mit Körper- und Mehrfachbehinderung (LVKM) rufen die Aufsichtsbehörden der Apotheken auf, die geforderte Barrierefreiheit „mit Bedacht“ auszulegen. Will heißen: „In begründeten Einzelfällen muss der Betrieb einer Apotheke auch ohne Barrierefreiheit möglich sein, denn eine Apotheke mit Stufe ist, auch für gehbehinderte Menschen, besser als keine Apotheke“, heißt es in einem gemeinsamen Positionspapier. Na, das ist doch ein Schritt in die richtige Richtung. Klar, Barrierefreiheit ist immer anzustreben, bei Neubauten und Neueröffnungen muss es sie geben. Aber es gibt sie nun mal, die Apotheken, mit ein, zwei oder mehr kleinen Stufen vor der Tür. Und solche Apotheken haben für Menschen mit Behinderung immer eine Lösung angeboten, in die Apotheke zu gelangen oder versorgt zu werden. Danke, LAK Ba-Wü!

Schlimmer geht’s nimmer, was hier die Alliance Healthcare Deutschland mit ihrem Töchterchen Vivesco gemacht hat. Nämlich: mit Gewalt erwürgt. Gegen alle Regel demokratischer Vorgehensweisen (mit farblichen Stimmzettel für Ja, Nein, Enthaltung und sogar anfangs mit Namen versehen, damit man wissen sollte, wie wer stimmt), dazu mit deutlichen Einzelgesprächen mit Mitgliedern, die nicht so recht wollten. So erhielt man schließlich mit der genau benötigten Stimmenanzahl (so ein Zufall) das von ganz oben gewünschte Ergebnis: Die vivesco Apotheke-Partner GmbH wird zum 1. Juli in Alphega Apotheke-Partner GmbH umbenannt. Klar, das war von Anfang an so geplant, und so sollte es werden. Damit hat sich die Alliance nicht mit Ruhm bekleckert. Statt dass man versucht, die möglichen Vorteile einer Umfirmierung herauszuarbeiten, den europaweiten Namen, die Einkaufsvorteile, die Erfahrung oder was weiß ich. Es mag ja möglicherweise wirklich Vorteile geben, aber ob man das Ziel so erreichen muss wie hier vollzogen? Außerdem, hängen die Vorteile wirklich an einem Namen wie Alphega? Der beileibe nicht so nett klingt wie das lebendige vivesco? Mein liebes Tagebuch, wenn die vivesco-Apotheker demnächst ihre gelb-blauen Schilder ab- und grün-weiße Schilder aufhängen müssen (hoppla, grün-weiß? Da war doch schon mal so eine Doc-Partnerschaft im Geschäft) – ich könnte mir gut vorstellen, dass der eine oder andere noch einmal intensiv darüber nachdenkt. Andere Großhändler haben auch nette Töchter – und es gibt noch viele andere hübsche, freie und farbenfrohe Kooperationstöchterlein, die nicht ihren Namen und ihre Schminke ändern.  

26. März 2014

Aus kaufmännischer Sicht verständlich: Ein Unternehmer verkauft dort sein Ware, wo er man meisten Gewinn erzielt. Und so meldet der Hessische Apothekerverband: Pharmahersteller liefern lieber ins Ausland. Dort erzielen sie höhere Margen als auf dem kargen rabattvertragsgeschüttelten Markt in Deutschland. Als Beleg für das Abdriften der Ware ins Ausland nennt der HAV eine Veröffentlichung des Statistischen Landesamts. Pharmazeutische Erzeugnisse aus Hessen gehören zu den Exportschlagern. Die Folge davon spürt nahezu jede Apotheke in Deutschland: Lieferengpässe. Der HAV-Vize, der massiv solche Fehlsteuerungen anprangert, hat es in dieser Woche in die „Wirtschaftswoche“ geschafft, die die sich häufenden Lieferausfälle aufgreift. Chapeau! Mein liebes Tagebuch, wann endlich greift das Bundesministerium diese unhaltbaren Zustände auf? Ist unser neuer Bundesgesundheitsminister wirklich noch so grün hinter den Ohren, dass er das Problem nicht erkennt? Nach hundert Tagen im Amt sollte man ein Gespür für die drängenden Probleme entwickelt haben. Bei der „Pille danach“ liegen sie jedenfalls nicht, Herr Minister. 

Der Spezialist für Schilddrüsenpräparate, das Pharmaunternehmen Henning, hat nicht mit Lieferschwierigkeiten zu kämpfen. Die jüngste Festbetragsabsenkung der Krankenkassen für das Präparat L-Thyroxin will er allerdings nicht mitmachen. Das bedeutet ab April dann  Aufzahlungen für den Patienten zwischen 14 und 62 Cent pro Packung. Aus Sicht des Herstellers verständlich. Man wolle sich dem Preisdruck der Kassen nicht beugen und könne dies auch nicht. Für die Apotheken bedeutet dies, die Aufzahlung auf den Festbetrag vom Patienten zu verlangen. Mein liebes Tagebuch, da gibt es Erklärungsbedarf bei Patienten, insbesondere bei denen, die von der normalen Zuzahlung befreit sind. Als Argumentationshilfe will Henning den Patienten ein Infoschreiben zur Verfügung stellen, warum sie die Kostensenkung der Kassen nicht mitmachen können.

Das Leitbild – noch immer in der Diskussion und noch lange nicht abgeschlossen. Die DAZ hat nun eine eigene Online-Umfrage gestartet mit zwei Fragen, die versuchen, die Debatte auf den Punkt zu bringen. ­Mein liebes Tagebuch, die beiden Fragen kommen mir verständlicher vor als die vielen Fragen beim Leitbildprozess.

27. März 2014

Wenn Griechenland weitere Finanzhilfen von der EU erhalten will, müssen sogenannte geschlossene Berufe geöffnet, liberalisiert werden. Das verlangt die Troika aus EU, internationalem Währungsfonds und Europäischer Zentralbank. Geld gegen Liberalisierung – auch bei Apotheken. Wenn’s ums Geld geht, muss in Griechenland also die Arzneimittelsicherheit geopfert werden: Arzneimittel sollen auch im Supermarkt verkauft werden, Apotheken sollen Ketten bilden dürfen. Die Apotheken sind in Streik getreten und wollen das nicht mitmachen. Mein liebes Tagebuch, wenn das Geld regiert, bleibt alles auf der Strecke. Der Schuss geht langfristig nach hinten los, wenn Krankenhauseinweisungen wegen falscher Arzneimitteleinnahme die Kosten dann in diesem Bereich nach oben treiben. Aber soweit denken Finanzmenschen nicht.

Hallo, Armin – die Arzneimittelinitiative Sachsen-Thüringen. Vor nahezu vier Jahren war die Idee als ABDA-KBV-Konzept zum ersten Mal im Gespräch. Friedemann Schmidt, damals noch ABDA-Vize, hatte sie als Revolution in der Arzneimittelversorgung bezeichnet. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung und die ABDA waren sich damals ziemlich einig, die Kassen hatten Vorbehalte. Im Lauf der Verhandlungen kniffen dann die Ärzte und zogen sich mehr und mehr zurück, Verhandlungen zogen sich hin. Das bundesweit angedachte Konzept schrumpfte schließlich zum Modellversuch, zum Pilotprojekt in Sachsen und Thüringen, mit einer Kasse (AOK plus) und mit den Kassenärztlichen Vereinigungen sowie den Apothekerverbänden von Sachsen und Thüringen. Jetzt geht die Arzneimittelinitiative Sachsen-Thüringen, kurz ARMIN, an den Start. Die Einschreibphase für Patienten läuft an, ab Juli erfolgt die Wirkstoffverordnung und ab nächstes Jahr dann das Medikationsmanagement. Mein liebes Tagebuch, auch wenn der eine oder andere dem Unterfangen skeptisch gegenübersteht: Es ist eine, ja fast historische Chance, zu zeigen, dass das Einbringen der pharmazeutischen Kompetenz des Apothekers zusammen mit dem Arzt zu einer besseren Versorgung der Patienten und Einsparungen im System führen kann. Und außerdem: Für die Teilnahme gibt es ein Honorar und Zuschüsse. Es kann der Einstieg ins bezahlte Medikationsmanagement sein. Ich hoffe, dass ausreichend viele Ärzte, Apotheker und Patienten mitmachen, damit dann nach fünf Jahren harte Daten vorliegen. Also, mitmachen!

28. März 2014

Die Interpharm in Berlin! Zum ersten Mal. Großer Zulauf, volle Vortragssäle, heiße Diskussionen. Wer dabei ist, wird ein tolles Fortbildungserlebnis mit nach Hause nehmen. Der große Vortragssaal im Berliner Kongresscentrum mutet ein bisschen wie das Raumschiff Enterprise an, gespickt mit viel Ostalgie. Muss man gesehen haben.

ABDA-Präsident Friedemann stellt seine Vorstellungen zu einer Fortentwicklung des Apothekenhonorars vor. Ein packungsunabhängiges Honorar kann er sich nicht vorstellen. „Das Produkt und der Apotheker sind unauflösbar miteinander verbunden. Niemand braucht einen Apotheker ohne Arzneimittel“, lautet sein Credo. Als zweite Säule der Honorierung bietet sich für ihn eine angemessene Bezahlung von Dienstleistungen an, beispielsweise das Führen einer Medikationshistorie für den Patienten oder Dienstleistungen im Zusammenhang mit dem Medikationsmanagement. Das Thema sollte noch in dieser Legislaturperiode angepackt werden. Mein liebes Tagebuch, ja, vermutlich wird der Apotheker nicht davon wegkommen, ein Honorar zu erhalten, das irgendwie an die Abgabe einer Packung gekoppelt ist. Ergänzt um von der Kasse bezahlte Dienstleistungen könnte ein tragbares Konzept für die Zukunft draus werden. Allerdings: Die Kassen verlangen harte, nachprüfbare Zahlen und Daten, was solche Dienstleistungen bringen – wie es der Vize des GKV-Spitzenverbands, Johann-Magnus von Stackelberg in der Diskussionsrunde auf der Interpharm formulierte. Verständlich.

Was man auch in der Diskussionsrunde erfuhr: Um in der Frage der Abschaffung des Kassenabschlags weiterzukommen, verlangen Gesetzgeber und Schiedsstelle von den Apothekern – bereits seit einiger Zeit – eine standardisierte Beschreibung aller Tätigkeiten, Aufgaben und Leistungen von repräsentativen Apotheken. Bis Juli sollte diese umfangreiche Beschreibung vorliegen. Hintergrund: Der GKV-Spitzenverband pocht auf Transparenz und möchte wissen, welche Leistungen heute schon im Honorar enthalten sind. Die ABDA ist diese Beschreibung der Apothekenaufgaben bis heute schuldig geblieben und wird dies auch nicht bis Juli leisten können, so Schmidt. Mein liebes Tagebuch, was soll man davon halten?  Fragt man Betriebswirtschaftler, so schütteln diese mit dem Kopf: Warum hat die ABDA diese Beschreibung nicht schon längst erstellt oder erstellen lassen? Solche Beschreibungen werden auch von anderen Branchen verlangt und seien kein Hexenwerk. Nach Auffassung von Schmidt sei es allerdings nahezu unmöglich, eine solche Beschreibung für ein Unternehmen wie die  Apotheke mit historisch gewachsenen Tätigkeitsbildern in allen ihren Facetten zu erstellen. Hm, man kann für beide Seiten Verständnis zeigen: Die Kassen möchten wissen, für welche Leistungen genau sie bezahlen. Andererseits sind die Apothekenleistungen in der Tat hochkomplex. Aber, auch komplexe Leistungen sollten beschreibbar sein. Und, mein liebes Tagebuch, die Apotheker brauchen sich nicht zu verstecken: Für die erhaltenen 8,51 Euro abzüglich Kassenabschlag leisten sie eine Menge. Also, um harte Fakten und Verhandlungsgrundlagen zu haben, wird man um diese Aufstellung nicht herum kommen. Es wird Zeit, höchste Zeit.

DocMorris hat den Bus noch nicht abgemeldet. Max Müller, Chefstratege bei der niederländischen Versandapotheke, machte in einer Diskussionsrunde auf der Interpharm klar: Der Apothekenbus wird kommen. In einem Pilotprojekt soll der Bus in einer strukturschwachen Region getestet werden. Solche Regionen sieht Dr. Peter Froese, Chef des Apothekerverbands Schleswig-Holstein, aber nach wie vor nicht. Über  Rezeptsammelstellen würden auch bevölkerungsarme Landstriche im Norden gut versorgt. Müller: Was wäre gewesen, wenn der ABDA der Apothekenbus eingefallen wäre? Dann hätten wohl alle Bravo gerufen, meint er. Aber da die Idee von DocMorris kam... Mein liebes Tagebuch, darüber kann man nachdenken, muss man aber nicht. Der Bus und der angekündigte Livechat, den DocMorris einführen will, werden letztlich nicht die Zukunftsprobleme lösen. 

Die Knallermeldung von der Interpharm: Lutz Engelen, Nordrheins Kammerpräsident, und Uwe Hüsgen, Dipl.-Mathematiker und Unternehmensberater, stellten eine brandaktuelle Studie vor, wie hoch eine BtM-Gebühr realistischerweise heute sein müsste, nämlich: 8,31 Euro. Die seit 36 Jahren bis heute bezahlten 26 Cent pro BtM-Rezept sind eine Zumutung. Es wird höchste Zeit, entsprechende Forderungen an die Politik zu richten. Dumm nur, dass der Chef des Deutschen Apothekerverbands, Fritz Becker, erst kürzlich die Forderung nach einer  Erhöhung der BtM-Gebühr auf 2,50 plus Mehrwertsteuer hinausposaunte. Mein liebes Tagebuch, das ist hoffnungslos  zu wenig! Wusste er nicht von der Nordrheiner Studie? Warum hat er die Ergebnisse nicht abgewartet? Mit einer BtM-Gebühr von 2,50 legt die Apotheke weiterhin drauf. Zurzeit sind das 89 Millionen Euro, die die deutschen Apotheken jährlich verlieren, rund 4500 Euro pro Apotheke. Mein liebes Tagebuch: Engelen und Hüsgen sind die Männer der Woche! Danke für diese Studie!


Peter Ditzel