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Steigert viel Salz das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall? Seit Jahrzehnten raten Fachgesellschaften den Menschen, ihren Konsum zu drosseln. Doch die Empfehlungen sind unter Experten umstritten - und Studien liefern kein klares Bild.
Salz hat keinen guten Leumund: Natriumchlorid (NaCl) - also Kochsalz - ist zwar lebenwichtig, aber der Verzehr größerer Mengen davon soll zu höherem Blutdruck führen und so das Risiko etwa für Herzinfarkt und Schlaganfall steigern. Davor warnen die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sowie Gesundheitsbehörden und Ernährungsorganisationen vieler Länder - darunter auch Deutschland - unisono seit Jahrzehnten. In New York müssen Restaurant-Ketten seit Dezember sogar Speisen mit hohem Salzgehalt auf Speisekarten kennzeichnen.
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) rät Erwachsenen in ihrer gerade veröffentlichten Stellungnahme, den täglichen Salzkonsum auf maximal sechs Gramm - etwa einen Esslöffel voll - zu begrenzen. Die WHO geht noch weiter und spricht sogar von höchstens fünf Gramm täglich. Zum Vergleich: Die Bundesbürger nehmen Schätzungen zufolge pro Tag durchschnittlich etwa 9,2 Gramm Salz auf: Frauen 8,4 Gramm, Männer 10 Gramm.
Umstrittene Empfehlungen
Doch die Empfehlungen sind unter Experten keineswegs unstrittig. Das zeigte gerade eine Studie von Forschern, die 269 Artikel auswerteten. Nur 54 Prozent davon stützten die Ansicht, dass Salz das Risiko für einen frühen Tod und Herz-Kreislauf-Probleme wie Herzinfarkt oder Schlaganfall erhöhe. Ein Drittel der Artikel widersprach dieser Annahme, jeder achte hatte keine klare Haltung, wie die Forscher im „International Journal of Epidemiology“ schreiben.
Selbst Übersichtsarbeiten, die mehrere Studien auswerteten und somit als besonders aussagekräftig gelten, kamen zu gegensätzlichen Befunden. Besonders kurios: Jedes Autorenteam konnte seine Meinung anhand zahlreicher Studien belegen; widersprechende Untersuchungen wurden dagegen nur selten zitiert.
Entgegengesetzte Ideologien
„Es gibt zwei fast eigenständige Forscher-Richtungen“, sagt Ko-Autor David Johns von der Boston University (US-Staat Massachusetts). „Eine unterstützt die Behauptung, dass Salzreduktion in Bevölkerungen klinische Ergebnisse bessert, die andere widerspricht. Jede wird angetrieben von einigen produktiven Autoren, die dazu neigen, andere Forscher zu zitieren, die ihre eigene Perspektive teilen.“
Auch Interessenkonflikte seien möglich. Diese müssen nicht unbedingt finanzieller Natur sein – wie etwa bei Verflechtungen mit der Lebensmittelindustrie, die Salz als billigen Geschmacksverstärker nutzt. Wissenschaftler könnten auch schlicht an alten Überzeugungen festhängen und sich weigern, andere Befunde zur Kenntnis zu nehmen.
Eine Schlüsselrolle in der Diskussion spielt der Einfluss von Salz auf den Blutdruck. Dass Bluthochdruck – definiert als ein systolischer, oberer Blutdruckwert ab 140 Punkten (mm Hg) – maßgeblich zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen beiträgt, ist unter Experten unstrittig. In Deutschland haben Studien zufolge rund 30 Prozent der Frauen und 33 Prozent der Männer Bluthochdruck.
Zuviel Salz erhöht einige Risiken
„Hoher Salzkonsum kann den Blutdruck erhöhen und Erkrankungen am Herz bewirken“, schreibt das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR). „Zuviel Salz in der Nahrung geht darüber hinaus mit einem erhöhten Risiko einher, an Nierenerkrankungen, Osteoporose oder Magenkrebs zu erkranken.“
So kommt der Kardiologe Graham MacGregor von der Londoner Queen Mary University, einer der Wortführer der Salzkritiker, nach Auswertung mehrerer Studien zu dem Schluss, dass schon eine geringe Senkung der Salzaufnahme das Risiko für Probleme wie Schlaganfall und Herzinfarkt um 20 Prozent senkt. Dagegen berichten Forscher um Alma Adler von der London School of Hygiene & Tropical Medicine nach einer Analyse über die „Cochrane Library“, Salzmeidung senke den Blutdruck nur geringfügig, die Belege für eine bessere Herz-Kreislauf-Gesundheit seien schwach.
Irritierende Kluft
„Die Kluft zwischen der Ungewissheit in der wissenschaftlichen Literatur über den möglichen Nutzen einer Salzreduktion in Bevölkerungen und der Gewissheit der an der Gesundheitspolitik beteiligten Entscheidungsträger ist in vielerlei Hinsicht irritierend“, stellt das Team um Trinquart im „International Journal of Epidemiology“ fest.
„Wissenschaft lebt davon, dass man Untersuchungsergebnisse überprüft“, sagt Prof. Anja Kroke von der Hochschule Fulda, die den Streit unter Forschern nicht dramatisch findet. „Widersprüchliche Ergebnisse sind nicht ungewöhnlich“, sagt die Ernährungsforscherin, die zu den Autoren der DGE-Stellungnahme zählt.
Dass Salzverzehr zu Bluthochdruck führen kann, bezweifelt sie nicht: „Es gibt einen Zusammenhang zwischen der Höhe des Salzkonsums und der Höhe des Blutdrucks. Die meisten Meta-Analysen bestätigen das.“ Prof. Heiner Boeing vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung (DIfE) in Potsdam, der ebenfalls an der Stellungnahme mitwirkte, bestätigt dies: „Das ist für mich absolut unstrittig. Und über den Blutdruck wirkt Salz auch auf Herz-Kreislauf-Krankheiten“, betont der Epidemiologe. „Es gibt eine biologische Plausibilität.“
Plausibel oder Holzweg?
Dem widerspricht Prof. Karl-Ludwig Resch vom Deutschen Institut für Gesundheitsforschung im sächsischen Bad Elster. „Man kann auch mit Plausibilität auf dem Holzweg sein“, betont der Mediziner, der in Deutschland zu den prominentesten Kritikern von Salzreduktionskampagnen zählt und der auch in Veröffentlichungen des Verbands der Kali- und Salzindustrie auftaucht. Es sei extrem schwierig, in Studien einen Bestandteil der Ernährung zu isolieren. „Und aus gefundenen Assoziationen darf man keine kausalen Schlüsse ziehen.“
Ein solcher Zusammenhang sei bislang nicht nachgewiesen. „Wenn es so ein massiver Risikofaktor wäre, hätte man eigentlich mehr finden müssen.“ Studien zufolge, so Resch, könne eine Einschränkung des Salzkonsums den systolischen, oberen Wert zwar bei Hypertonikern um knapp 5 Punkte senken, bei Menschen mit normalem Blutdruck aber nur um gut 1 Punkt. „Ich sehe das Problem, dass Menschen mit einem Herzinfarkt nach der Reha-Ernährungsberatung das Salz beim Frühstücksei weglassen und glauben, damit seien sie auf der sicheren Seite.“
Salz-Sensibilität
Starker Salzkonsum könne allerdings für jene Menschen ein Problem sein, die sensibel auf Salz reagieren, räumt Resch ein. Bei ihnen sei die Niere nicht ausreichend in der Lage, Elektrolyte aus dem Blut zu entfernen, was den Blutdruck steigen lasse. Dies betreffe etwa 20 bis 40 Prozent der Hypertoniker.
Kroke widerspricht: Zwar sei die Salzsensitivität unterschiedlich ausgeprägt, aber bei jedem Menschen reagiere der Blutdruck auf Salz. „Viele Leute liegen deutlich über den empfohlenen Blutdruckwerten. Unsere Aufgabe ist es, die Bevölkerung vor den Folgen von Bluthochdruck zu schützen“, betont sie. „Zehn Jahre weiter auf bessere Daten zu warten hieße, zehn Jahre nichts zu tun.“ Das dürfe man nicht riskieren, zumal eine Beschränkung des Salzkonsums auf das empfohlene Maß keinem schade.
Fertignahrung spielt eine entscheidende Rolle
Allerdings, das räumen Kroke und Boeing ein, haben Empfehlungen an Verbraucher nur begrenzten Einfluss auf die Menge des Verzehrs. Denn das individuelle Salzen mache nur 20 bis 25 Prozent des Salzkonsums aus. Die weitaus größte Menge nehmen Menschen demnach über verarbeitete Lebensmittel auf – insbesondere Brot, Käse, Fleisch- und Wurstwaren sowie Fertiggerichte wie etwa Tiefkühlpizzas oder Tütensuppen.
Die Stellungnahme der DGE fordert die Bundesregierung zum Handeln auf. Während viele Länder nationale Salzreduktionsstrategien entwickelt hätten, stehe dies hierzulande noch aus. Denkbar sei etwa die Senkung des Salzgehalts in verarbeiteten Lebensmitteln, schließt die Stellungnahme.
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