Synthetische Biologie

Forscher schaffen ein Minimal-Bakterium

La Jolla - 26.03.2016, 14:00 Uhr

Unter Laborbedingungen kann sich das Bakterium ähnlich wie seine natürlichen Varianten vermehren. (Foto: Alexander Raths / Fotolia)

Unter Laborbedingungen kann sich das Bakterium ähnlich wie seine natürlichen Varianten vermehren. (Foto: Alexander Raths / Fotolia)


Sechs Jahre ist es her, dass ein Team um Craig Venter ein Bakterium mit komplett künstlich synthetisiertem Erbgut vorstellte. Nun verkünden die Forscher, das Genom aufs Minimum reduziert zu haben. Doch den versprochenen großen Erfolg sehen nicht alle.

Wie viele Gene braucht ein Lebewesen mindestens? 473, lautet eine von US-Forschern um Craig Venter gefundene Antwort – zumindest für Bakterien. Unter optimalen Umgebungsbedingungen steuern diese Gene alle lebenswichtigen Prozesse und lassen die Bakterien wachsen, berichten die Wissenschaftler im Fachblatt „Science“. Sie hatten Bakterien mit einem künstlich erzeugten Minimal-Erbgut entworfen und im Labor wachsen lassen. Das Genom von JCVI-syn3.0 - so der Name des Bakteriums – sei kleiner als das jeder natürlichen, sich autonom replizierenden Zelle. An ihm lasse sich besser untersuchen, welche Gene und welche Funktionen für das Leben wesentlich sind. Ein Mensch hat nach gängigen Schätzungen mehr als 20.000 Gene, viele Tiere und Pflanzen besitzen sogar noch weit mehr.

Die Studie sei eine gute wissenschaftliche Arbeit, aber nicht der große Wurf, mit dem viele Experten gerechnet hätten, sagt der Biotechnologe Alfred Pühler von der Universität Bielefeld. „Biotechnologisch ist das Ergebnis nicht so relevant.“ Die Studie sei sorgfältig hergeleitet und das Ergebnis großer Fleißarbeit. „Sie liefert aber nicht das einfache Chassis für die Produktion von Substanzen, wie man sich das erhofft hat“, so die Einschätzung Pühlers.

Synthetisches Erbgut

Ein Team um den Biochemiker und Unternehmer Craig Venter hatte bereits 2010 ein Bakterium mit künstlichem Erbgut geschaffen. Dazu waren die Gene des Bakteriums Mycoplasma mycoides mit Hilfe einzelner Erbgutstückchen nachgebaut und dieses Kunstgenom dann in eine andere Bakterienart (Mycoplasma capricolum) eingesetzt worden. Das synthetische Erbgut verdrängte das Original-Erbgut und übernahm die Steuerung der Wirtsbakterien.

In ihrer jetzt vorgestellten Untersuchung verkleinerten die Forscher um Clyde A. Hutchison III und Ray-Yuan Chuang vom J. Craig Venter Institute (JCVI) in La Jolla das Genom dieses JCVI-syn1.0 genannten Bakteriums. Ziel war es, ein bakterielles Minimal-Genom zu finden, das für die Aufrechterhaltung des Lebens ausreichend ist. In ersten Versuchen entwarfen die Wissenschaftler dieses Genom am Computer, ausgehend von grundlegendem molekularbiologischem Wissen und von vorhandenen Daten zu Genfunktionen. Doch sie scheiterten: Das resultierende Bakterium erwies sich als nicht lebensfähig. Daher fingen sie nochmal von vorne an und starteten mit dem von der Natur abgekupferten Genom.

Design von Grund auf noch nicht möglich

„Die Ergebnisse überzeugten uns, das wir nicht genug Kenntnisse haben, um ein funktionierendes Minimal-Genom basierend auf Grundprinzipien zu designen“, schreiben die Forscher. In den anschließenden Experimenten gingen sie folglich experimenteller zu Werke: Vereinfacht gesagt legten sie nach und nach einzelne Gene still, um herauszufinden, ob sie für das Funktionieren der bakteriellen Zelle nötig sind.

Sie identifizierten auf diese Weise drei Gruppen: Gene, die unabdingbar sind, Gene, die verzichtbar sind und Gene, die das Gedeihen der Zellen erheblich verbessern. Am Ende der Experimente blieben 473 Gene übrig, die JCVI-syn3.0 unter Laborbedingungen am Leben erhielten. Die Bakterien wurden in der Kultur mit notwendigen Nährstoffen versorgt. Unter weniger optimalen Bedingungen seien vermutlich mehr Gene für das Überleben notwendig, heißt es in der Studie.

Unbekannte Aufgaben

149 Genen konnten die Wissenschaftler keine biologische Funktion zuschreiben. Das lasse vermuten, dass es bisher unbekannte Funktionen gebe, die für das Leben essenziell sind, schreiben die Forscher. Ziel ihrer Studie sei die Schaffung eines Minimal-Genoms gewesen. Ihr Ansatz könne jedoch auch genutzt werden, um Zellen mit gewünschten Eigenschaften zu konstruieren. Zellen könnten mit zusätzlichen Stoffwechselwegen oder einem veränderten genetischen Code gebaut werden – und so Arzneimittel oder Industriechemikalien produzieren.

„Man muss sich allerdings fragen: Ist das wirklich das ideale Bakterium für die Synthese biotechnologisch relevanter Substanzen?“, schränkt der nicht an der Studie beteiligte Bielefelder Experte Pühler ein. Der Nutzen für die biotechnologische Produktion werde unter anderem dadurch vermindert, dass die hergestellten Mycoplasmen sich viel zu langsam vermehrten. Hinzu komme, dass sich das Ergebnis nicht auf andere Mikroben übertragen lasse. „Bei anderen Bakterien werde ich bei anderen Basis-Gensets landen.“

Die Mycoplasmen hätten für das Team den großen Vorteil geboten, von Natur aus über vergleichsweise wenig Gene zu verfügen, erklärt Pühler. „Sie leben als Nutznießer in anderen Zellen und müssen viele wichtige Substanzen nicht selbst herstellen.“ Die Leistung des Teams um Venter sei dennoch groß. „Das Genom wurde ja fast halbiert.“ Zudem böten sich mit den 149 nicht zuordenbaren Genen interessante Forschungsansätze. 


dpa / DAZ.online
redaktion@daz.online


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