Risikofaktor Übergewicht

Weltweiter Trend zur Fettleibigkeit ungebremst

Remagen - 11.04.2016, 13:00 Uhr

Ab einem BMI von 30 ist das Krankheits- und Sterberisiko meistens erhöht. (Foto: Dmitry Vereshchagin / Fotolia)

Ab einem BMI von 30 ist das Krankheits- und Sterberisiko meistens erhöht. (Foto: Dmitry Vereshchagin / Fotolia)


In weiten Teilen der Welt werden die Menschen immer dicker. Vor nur vier Jahrzehnten waren weltweit doppelt so viele untergewichtig wie fettleibig. Das hat sich quasi umgedreht. Heute sind deutlich mehr über- als untergewichtig.

Immer mehr Menschen auf der Welt kämpfen mit überflüssigen Pfunden. Diese beunruhigende, aber eigentlich kaum überraschende Erkenntnis basiert auf einer umfangreichen Metaanalyse eines internationalen Konsortiums von Epidemiologen, der „NCD (non-communicable diseases)-Risk Factor Collaboration“. Die Gruppe von Wissenschaftlern hat über den Zeitraum zwischen 1975 und 2014 weltweit publizierte Studien zum Körpergewicht und zur Körpergröße gesichtet und bewertet. Insgesamt flossen Daten von mehr als 19 Millionen Erwachsenen aus über 200 Ländern in die Erhebung ein. Die Ergebnisse sind nun in der Fachzeitschrift „The Lancet“ erschienen.

Genaue Abschätzung des Phänomens

„Die Studie liefert ein nahezu vollständiges Bild des Körpergewichts der Weltbevölkerung“, kommentiert Hermann Brenner vom Deutschen Krebsforschungszentrum, der Daten aus Deutschland zu dem Projekt beigetragen hatte. „Der lange Zeitraum, den wir mit dieser Untersuchung abdecken und die sehr großen Fallzahlen erlauben es uns, die gesundheitliche Bedeutung des Übergewichts und möglicher Präventionsmaßnahmen sehr viel genauer abzuschätzen als dies in der Vergangenheit möglich war.“

Was haben die Forscher im Kern herausgefunden?

  • Das Durchschnittsgewicht der Menschen hat in den letzten 40 Jahren jeweils um 1,5 kg pro Dekade zugenommen.
  • Der Alters-standardisierte mittlere Body-Mass-Index (BMI: Körpergewicht geteilt durch Körpergröße im Quadrat) ist in diesem Zeitraum für Männer von 21,7 auf  24,2 kg/m2 und für Frauen von 22.1auf 24,4 kg/m2 angestiegen
    Der Anteil der adipösen (≥30 kg/m2) Männer hat sich in den letzten vier Jahrzehnten mit nun fast 11 Prozent ungefähr verdreifacht. Bei den Frauen sind heute mit knapp 15 Prozent annähernd zweieinhalb Mal so viele übergewichtig oder fettleibig wie vor 40 Jahren.
  • Mit Stand 2014 sind weltweit 2,3 Prozent der männlichen und 5 Prozent der weiblichen Weltbevölkerung schwer adipös (>35 kg/m2).
  • Das Untergewicht (<18,5 kg/m2) ist in demselben Zeitraum bei Männern weltweit von knapp 14 auf fast 9 Prozent zurückgegangen, bei Frauen von 14,6 auf 9,7 Prozent.

Aufklärung hilft viel

In den reichen, entwickelten Ländern hat sich der BMI-Anstieg vom Jahr 2000 an verlangsamt, offenbar gestützt auf die Erkenntnis, dass Übergewicht ein ernstes Problem für die öffentliche Gesundheit ist. In vielen anderen Regionen der Welt ist diese Einsicht aber offensichtlich noch nicht so recht angekommen. Dort beschleunigte sich der BMI-Anstieg weiter, und eben dieser Effekt hat auf globaler Ebene Überhand genommen. „Wenn sich dieser Trend fortsetzt, wird das schwere Übergewicht, also ein BMI über 35 kg/m2, das Gesundheitsrisiko „Untergewicht“ um das Jahr 2025 ablösen“, mutmaßt Hermann Brenner

Ab einem BMI von 30 sollten die Alarmglocken läuten

Kaspar Staub vom Institut für Evolutionäre Medizin der Universität Zürich, der ebenfalls an der Untersuchung beteiligt war, bezeichnet die Adipositas als riesige Herausforderung für die Gesellschaft: „Auf der individuellen Ebene ist der Body-Mass-Index jeweils nur einer von vielen Parametern, die zur Einschätzung des Gesundheitsrisikos benutzt werden. Metabolische und andere Parameter sind dabei ebenso relevant.“ relativiert Staub. Es gebe sogar Studien, die zeigen, dass leichtes Übergewicht einen schützenden Effekt bezüglich der Mortalität und Morbidität hat, gerade im Alter. Auf gesamtgesellschaftlicher Ebene stehe ein BMI von mehr als 30 jedoch für Fettleibigkeit (Adipositas), und ab diesem Wert sei das Krankheits- und Sterberisiko in den meisten Fällen eben deutlich erhöht.

Trotzdem noch Regionen mit Unterernährung

In der Publikation weisen die Wissenschaftler der NCD-Risk Factor Collaboration aber auch darauf hin, dass es weiterhin ausgedehnte Regionen auf der Welt gibt, in denen genau das Gegenteil ein großes Gesundheitsproblem ist, nämlich das Untergewicht. Vor allem in Indien und Afrika südlich der Sahara sei noch heute ein Viertel aller Erwachsenen unterernährt. Hier müßten dringend entsprechende Hilfsprogramme fortgeführt werden, so ihre Forderung.

Quelle: NCD-Risk Factor Collaboration, M. di Cesare et al.: Trends in adult body-mass index in 200 countries from 1975 to 2014: a pooled analysis of 1698 population-based measurement studies with 19,2 million participants. The Lancet, April 2, 2016. 



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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