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Zugang zu medizinischer Versorgung
Gesundheitskarte für Flüchtlinge kommt nur schleppend voran
Vor dem Besuch beim Arzt steht der beim Sozialamt: Denn Flüchtlinge brauchen zunächst einen Behandlungsschein. Eine Gesundheitskarte für Flüchtlinge würde das Verfahren vereinfachen. Aber viele Kommunen sträuben sich dagegen.
Die Einführung einer Gesundheitskarte für Flüchtlinge kommt nur schleppend voran. Zwar wird seit Langem darüber diskutiert, doch die zuständigen Bundesländer sind sich weder untereinander einig noch mit den ebenfalls beteiligten Kommunen. Flächendeckend eingeführt ist die Krankenversichertenkarte für Asylbewerber bisher nur in den Stadtstaaten Hamburg, Bremen und Berlin sowie in Schleswig-Holstein. Einige andere Länder haben zwar die rechtlichen Rahmenbedingungen geschaffen – ihre Kommunen setzen sie aber nicht um, wie eine Länderumfrage der DPA ergab. Hauptgrund ist die Befürchtung höherer Kosten.
Die Kommunen sind für die medizinische Versorgung der Asylbewerber zuständig, und zwar unabhängig vom jeweiligen Verfahren. Ohne Gesundheitskarte müssen Flüchtlinge im Krankheitsfall zuerst zum Sozialamt gehen und einen Behandlungsschein holen, der ihnen den Arztbesuch erlaubt. Mit der Gesundheitskarte entfällt das. Kommunen, die eine solche Karte an Flüchtlinge geben, berichten von einer Arbeitserleichterung für ihre oft überfüllten Behörden.
Versorgungsniveau sei gewährleistet
Bayern will von der Option zur Einführung der Karte keinen Gebrauch machen. Das derzeitige Versorgungssystem gewährleiste ein dem Gesetz entsprechendes Versorgungsniveau, erklärte das Staatsministerium für Soziales. Auch Sachsen plant keine Gesundheitskarte. Das Land hat zur medizinischen Betreuung der Asylsuchenden „Internationale Ambulanzen“ in Dresden, Leipzig und Chemnitz eingerichtet. Mecklenburg-Vorpommern und das Saarland haben ebenfalls keine Gesundheitskarte. In Baden-Württemberg steht das Projekt nach Angaben des Sozialministeriums nicht im Koalitionsvertrag.
In Hamburg und Bremen dagegen bekommen Asylsuchende schon seit Jahren eine eigene Gesundheitskarte. Hamburg, wo die Karte 2012 eingeführt wurde, hat nach eigenen Angaben im ersten Jahr 1,6 Millionen Euro gespart. „Die elektronische Gesundheitskarte bietet Geflüchteten einen diskriminierungsfreien Zugang zu ärztlicher Versorgung und sorgt zudem für einen Bürokratieabbau auf Seiten der Verwaltung“, sagte Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) der dpa. Berlin hat das Projekt Anfang 2016 eingeführt und bisher mehr als 2700 Gesundheitskarten ausgegeben. Schleswig-Holstein ist seit Januar ebenfalls dabei.
Akute Startschwierigkeiten
In Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen hat die elektronische Gesundheitskarte für Asylbewerber jedoch akute Startschwierigkeiten. Alle drei Länder haben mit den Krankenkassen zwar entsprechende Rahmenvereinbarungen geschlossen, umgesetzt werden müssen die aber von den Kommunen – und in Niedersachsen und Rheinland-Pfalz zieht keine einzige Kommune mit, in NRW sind es von 396 bislang nur 20, meist größere Städte.
Die Kommunalverbände ärgern sich über hohe Zusatzkosten durch die Verwaltungspauschale von acht Prozent für die Krankenkassen. „Die Rahmenbedingungen sind derzeit so, dass nur einige Städte in NRW davon Gebrauch machen“, sagte der Vize-Geschäftsführer des Städtetags NRW, Helmut Dedy. Der Hauptgeschäftsführer des Niedersächsischen Landkreistags, Hubert Meyer, riet von einem Beitritt zur Rahmenvereinbarung sogar ab: „Aus unserer Sicht klappt die Gesundheitsversorgung der Asylbewerber bisher reibungslos.“
Nicht nur humanitärer Erfolg
NRW-Sozialministerin Barbara Steffens (Grüne) hält dagegen. Jeder dritte Flüchtling in ihrem Land könne durch die Gesundheitskarte direkt medizinische Hilfe in Anspruch nehmen. „Das ist ein Erfolg, und zwar nicht nur aus humanitärer Sicht“, sagte sie der dpa.
Die übrigen Bundesländer sind noch auf dem Weg. In Brandenburg wird weiter verhandelt, ebenso in Thüringen. In Hessen wurden Krankenkassen und Gebietskörperschaften zu einem Meinungsaustausch gebeten, erklärte das Sozialministerium. In Sachsen-Anhalt hat die neue Koalition aus CDU, SPD und Grünen ein eigenes Modell vereinbart, eine „Asylbewerberkarte“, die im Notfall sofort einen Arztbesuch ermöglichen soll.
Ärztepräsident kritisiert Blockade
Der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, hatte sich gegenüber dem Bayrischen Rundfunk für eine Verbesserung der Gesundheitsversorgung von Flüchtlingen eingesetzt. „Wir können nicht aus den Finanznöten der Kommunen heraus einzelne Bevölkerungsgruppen von einer guten medizinischen Versorgung ausschließen“, sagte er. Er kritisierte scharf die Einschränkung, dass nur die Behandlung akuter Probleme übernommen wird. So zum Beispiel, wenn ein Patient mit einer akuten Infektion kommt – aber eine Zuckerkrankheit zugrunde liegt. „Dann dürfen sie eigentlich die Zuckerkrankheit erst behandeln, wenn sie entgleist ist“, sagt Montgomery. „Das wollen wir als Ärzte nicht, für uns sind alle Menschen, die wir behandeln, gleich.“
Er plädierte auch für die Gesundheitskarte: Diese spare sogar Geld. „Das haben die Länder Bremen und Hamburg sehr klar bewiesen“, sagt der Ärztepräsident. „Das, was man an Verwaltung spart, weil man nicht mehr den Umweg über das Sozialamt machen muss, kann man in Patientenversorgung investieren.“ Montgomery kritisiert, dass die Einführung der Karten auf lokaler Ebene blockiert wird: „Im Moment sind es vor allem die Kommunen, die mauern – die Kommunen, die zum Teil in ihren Sozialhaushalten deutlich überfordert sind, die verweigern sich einer offenen Lösung, bei der man alle Erkrankungen der Flüchtlinge gut behandeln könnte.“
1 Kommentar
Einheitlicher Befreiungsstatus ...?!
von Gunnar Müller, Detmold am 17.05.2016 um 13:23 Uhr
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