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Gezänk, Egoismen, Eitelkeiten – passt eigentlich unser System von Kammern und Verbänden noch zur Apotheke der Zukunft? Zur Apotheke, die mehr als nur eine Arzeimittelabgabestelle sein soll? Sind die Aufgaben von Haupt- und Ehrenamt eigentlich richtig verteilt? Außerdem in meinem lieben Tagebuch: „Likes“ für tolle Initiativen.
17. Mai 2016
Ein Thema liegt in der lauen Frühlingsluft, es wabert durch die heiligen Hallen im Berliner Lindencorso und es dringt vor bis in die Niederungen der Basis: Welche Rolle sollen und dürfen Apothekerkammern und Apothekerverbände spielen? Wer ist für was zuständig? Und bleibt es beim alt-ehrwürdigen Grundsatz: Die Kammer ist für die Ethik und der Verband für die Monetik zuständig?
Kristallisationskeim für Diskussionen zu diesem Thema dürfte wohl ein Projekt sein, das die Apothekerkammer Westfalen-Lippe mit der AOK abgeschlossen hat: Apotheker führen in diesem Modellprojekt mit AOK-Versicherten einen Medikations-Check durch und erhalten dafür eine Vergütung von der Kasse. Dem Apothekerverband Westfalen-Lippe gefiel dies nicht, er sah dies als Einmischung in seinen Zuständigkeitsbereich. Und die ABDA beäugt solche Vorstöße von Kammern sichtlich argwöhnisch. Man erarbeitete ein Papier, das die Verhandlungsmöglichkeiten der Kammern deutlich einschränken sollte. Abgestimmt wurde darüber noch nicht. Schon heißt es aus Insiderkreisen, man brauche über solche Vorschläge auch nicht abzustimmen, Kammern und Verbände kämen doch bestens miteinander aus. Na klar, mein liebes Tagebuch, alles bestens,und bloß nichts hinterfragen, alles so lassen wie’s ist, Deckel drauf, es wird sich schon wieder abkühlen. Doch ob das auch weiterhin das richtige Rezept ist? Die Zeiten verändern sich. Wenn die Apotheke, wenn der Apotheker in Zukunft eine bedeutende Rolle im Gesundheitswesen einnehmen soll, dann wird man viel intensiver über Modellprojekte, über neue Ansätze diskutieren müssen. Eifersüchteleien zwischen Berufsorganisationen stören da nur. Und deshalb, mein liebes Tagebuch, sollte auch darüber gesprochen werden dürfen, wie man unsere Berufsvertretungen zukunftsweisend aufstellt. Wer darf was? Die Rolle von Kammern und Verbänden. Es sollte eine Diskussion beginnen, die sich ergebnisoffen unser System von Kammern und Verbänden mal vornimmt: z. B. den Luxus von 17 + 17, das Rollenverständnis der beiden (Ethik/Monetik), vor allem auch die Befugnisse von Hauptamt und Ehrenamt in den Organisationen. Ist es noch zeitgemäß, wenn Laienspieler (Apotheker mit eigener Apotheke) Politik machen? Wäre das nicht besser bei bezahlten Profis, bei Hauptämtlern aufgehoben, die sich nicht auch noch um eine eigene Apotheke kümmern müssen? Und man sollte sich über die Kleinstaatereien und Kammer- und Verbandsegoismen unterhalten. Mein liebes Tagebuch, da freuen wir uns schon auf die DAZ von kommender Woche: Professor Kaapke hat sich unsere Kammer- und Verbändelandschaft unter diesen Vorzeichen angesehen. Spannend!
Und schon meldet sich die Politik: Die Apotheker sollten ihre Rolle überdenken, meint die Grüne Gesundheitspolitikerin Maria Klein-Schmeink. Eine der Kernaufgaben der Kammern sei, zu sehen, „wie sich das Versorgungsgeschehen verändert hat und welche Kernkompetenzen die Apotheker dazu beitragen können, bei diesen Veränderungen am Ball zu bleiben“. Als Beispiel nennt sie das Modellprojekt der Apothekerkammer Westfalen-Lippe mit der AOK. Na also, mein liebes Tagebuch, das sieht sie richtig. Hoffentlich hat sie auch den NDR-Bericht gesehen (siehe meinen nächsten Eintrag in diesem Tagebuch), der zeigt, was das Athina-Projekt (Arzneimitteltherapiesicherheit in Apotheken) in Niedersachsen bewirken kann.
Klein-Schmeink fordert die Apotheker dazu auf, sich noch stärker mit den Ärzten auszutauschen, z. B. Fallkonferenzen einzuberufen. Ja, gute Idee, nur: Herr Gröhe scheint dies nicht so recht zu wollen, sonst hätte er den Apotheker beim Medikationsplan schon besser eingebunden. Was Klein-Schmeink auch sieht: „Die Apotheker sollten deutlich machen, dass sie mehr sind als nur eine Abgabestelle. Denn sonst wird mit Sicherheit irgendwann die Frage entstehen, ob diese bloße Abgabestelle nicht auch irgendwo anders sein kann.“ Mein liebes Tagebuch, diesen Satz kann man sich nicht oft genug vor Augen halten.
18. Mai 2016
Es gibt sie, die zaghaften positiven Ansätze in Apotheken, die versuchen, Medikationsanalysen umzusetzen. Umso schöner, wenn es auch die Medien sehen und auf die neue Rolle der Apotheken hinweisen. Zum Beispiel die Sendung „Visite“ des NDR: Medikationsanalyse – Apotheker beraten. Der Fernsehbeitrag macht die Zuschauer darauf aufmerksam, wie wichtig eine Medikationsanalyse sein kann, wenn Patienten vier oder mehr Arzneimittel einnehmen. Konkret haben sich die Macher von „Visite“ das Athina-Projekt (Arzneimitteltherapiesicherheit in Apotheken) in Niedersachsen angesehen. Die Apothekerseite wird sympathisch vertreten von Niedersachsens Kammerpräsidentin Magdalene Linz, die vor den lebensgefährlichen Wirkstoffcocktails warnt. Und ebenso sympathisch vom jungen Apotheken Alexander Zörner aus Munster, der an einem Fall selbstbewusst zeigt, dass es nach Rücksprache mit dem Arzt notwendig werden kann, die Therapie umzustellen. Die Sendung zeigt auch, dass es bei einigen Ärzten (auf Funktionärsebene) noch Vorbehalte dagegen gibt, sie empfinden das Angebot der Apotheker als Einmischung (mein liebes Tagebuch, diese Generation wird aussterben, weil nicht mehr zeitgemäß). Klinikärzte seien dagegen offener. Ihre Software weise zwar auch auf Arzneiprobleme hin, heißt es in der Sendung, aber das Gespräch mit dem Apotheker oder dem Pharmakologen sei für sie als Kliniker wertvoll, wenn es um die Risikobewertung und Alternativen gehe, bestätigt ein Krankenhausarzt. Worauf der Beitrag auch aufmerksam macht: Die Medikationsanalyse kann nicht zum Nulltarif angeboten werden. Apotheken in Niedersachsen, die diesen Service anbieten, verlangen dafür 69 Euro, die der Patient aus eigener Tasche zahlen muss. Die Krankenkassen würden derzeit überlegen, ob sie in Zukunft die Kosten dafür übernähmen, so der Visite-Beitrag. Mein liebes Tagebuch, bei solchen Beiträgen wünscht man sich, dass sie zur Primetime im Hauptprogramm laufen. Und, klar, ein großes „Like“ für Linz und Zörner.
19. Mai 2016
Nein, das britische Apothekensystem ist nicht unseres. Und trotzdem lohnt es sich, einen Blick auf die Insel zu wagen. Mein liebes Tagebuch, Großbritanniens Apotheken werden schon bald mit Kürzungen beim Apothekenhonorar rechnen müssen. Der Nationale Gesundheitsdienst muss sparen, die Apotheken müssen ihren Beitrag dazu leisten und auf sechs Prozent ihres Gehalts verzichten. Schließungen von 1000 bis 3000 Apotheken werden erwartet. Da hört man schon das Kettenrasseln bei Celesio/Lloyds und Walgreens Boots Alliance, die mit Verlusten rechnen. Aber solche Konzerne werden die Einschnitte wohl nicht ohne Gegenmaßnahmen hinnehmen: Sie werden Druck auf ihre Kettenapotheker ausüben – mehr Umsatz, weniger Beratung. Von Walgreens Kettenapothekern hörte man schon, dass sie Druck von oben ausgesetzt sind, so viel Umsatz zu machen und Dienstleistungen anzubieten wie nur möglich. Auch Celesio/Lloyds ließ durchblicken, dass Kunden sehr gerne Dienstleistungen wie Medikations-Checks annähmen. Mein liebes Tagebuch, gut, dass wir keine Ketten haben. Nachdenklich stimmt allerdings der Sparzwang, dem das britische Gesundheitswesen ausgesetzt ist. Auch in Deutschland weisen Demographie und Hochpreiser darauf hin, dass die Ausgaben der Krankenkassen steigen werden. Umso mehr muss sich die Apotheke als unverzichtbar behaupten: Mehr als nur eine Arzneimittel-Abgabestelle sein. Nur, irgendwie muss dann auch mal das Honorar dafür folgen. Ob das die Consulter, die im Auftrag des Wirtschaftsministeriums das Gutachten zum Apothekerhonorar erstellen, berücksichtigen?
20. Mai 2016
Das ist hoch professionell und zur Nachahmung empfohlen, was die Kammern von Nordrhein und Westfalen-Lippe hier auf die Beine gestellt haben: ein internetgestütztes Fehlerberichts- und Lernsystem. Unter dem Kürzel CIRS-Pharmazie (CIRS steht für Critical Incident Reporting-System) können Apotheken Medikationsfehler und „Beinahe-Medikationsfehler“ online melden, unabhängig davon, ob der Fehler von der Apotheke oder vom Arzt verursacht wurde. Es versteht sich von selbst, dass vor einer Veröffentlichung alle Angaben gelesen, anonymisiert und kommentiert werden. Es geht nicht darum, Ärzte oder Apotheken an den Pranger zu stellen, sondern es ist die Chance, offen mit Fehlern umzugehen und daraus zu lernen. Je mehr Apotheken dies nutzen, je mehr Apotheken die Einträge lesen, umso größer ist der Nutzen für alle. Mein liebes Tagebuch, wünschenswert, wenn sich auch andere Kammern diesem System anschlössen. Für diese Initiative geht daher ein dickes „Like“ an die Kammerpräsidenten Gabriele Overwiening und Lutz Engelen.
10 Kommentare
Die Diskussionsrunde um "Kaisers Bart ..."
von Reinhard Herzog am 22.05.2016 um 16:18 Uhr
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Gewaltenteilung Fremdwort!
von Christian Giese am 22.05.2016 um 14:36 Uhr
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Denkfehler
von Reinhard Rodiger am 22.05.2016 um 14:32 Uhr
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Das kann man natürlich auch Alles ganz anders sehen ...
von Wolfgang Müller am 22.05.2016 um 12:36 Uhr
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AW: Assistent?
von Dr.Jochen Pfeifer am 22.05.2016 um 14:21 Uhr
AW: Alles bitte richtig einordnen!
von Wolfgang Müller am 22.05.2016 um 15:25 Uhr
Warum erst jetzt?
von Thesing-Bleck am 22.05.2016 um 11:32 Uhr
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Medikationsmanagement
von Dr.Jochen Pfeifer am 22.05.2016 um 9:14 Uhr
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Reicht einer ?
von Ulrich Ströh am 22.05.2016 um 9:08 Uhr
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AW: Nord-Verband
von Uwe Hansmann am 23.05.2016 um 14:18 Uhr
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