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Es gibt Tage, an denen sie sich fragt, ob über das Trinkwasser bewusstseinserweiternde Drogen verabreicht werden – mancher Kundenkontakt lasse sie jedenfalls ratlos zurück, sagt Ann-Katrin Kossendey-Koch. Sie berichtet von einem ganz normalen Tag in ihrer Apotheke. Und stellt sich letztlich eine ganz grundlegende Frage.
Das Gebaren mancher Kunden ist einfach nicht zu erklären. Nehmen wir diesen normal aussehenden Mann Anfang vierzig, der meine Mitarbeiterin nach Galgant-Wurzel fragte. Überraschenderweise hatten wir davon keine Auswahl vorrätig, meine PTA bot an, Galgant-Wurzel zu bestellen. Der Preis des Anbieters erschien ihm viel zu hoch, er lehnte ab. Auch gut, dieser nicht getätigte Kauf wird weder meine Apotheke noch den Galgant-Wurzel-Anbieter ruinieren. Anstatt sich für die Auskunft zu bedanken und zu gehen, sagte der Mann allerdings zu meiner Mitarbeiterin:
„Das Kräuterhaus in Hamburg hat auch tolle Kräuter!“
Ja, mag sein, danke für die Info.
„Da könnten Sie ja
eigentlich mal was für mich bestellen. Ich bin immer nicht zu Hause, wenn der
Paketbote kommt und hier ist doch immer jemand anwesend!“
Wie bitte??? Interessante Interpretation von Service des Einzelhandels.
Meine PTA erklärte ihm geduldig, dass es nicht ginge, dass
sie ihm privat irgendwelche Kräuter bestellen würde, woraufhin er sie anfuhr,
dass sie dann eben nichts verdienen würde! Woran hätten wird denn jetzt bitte
verdienen sollen? Vielleicht dürfen wir
ja noch das Porto für den Mann übernehmen – das können wir als großverdienende
Apotheke doch sowieso absetzen.
Beratung in der Apotheke? Aber klar!
Oder die Seniorin, die unbedingt den pH-Wert der Linola-Gesichtscreme wissen muss. Schließlich kommt darüber jetzt immer so viel im Fernsehen.
Danke, meine Mitarbeiterin kennt jetzt fünf Angestellte des herstellenden Unternehmens, so oft wurde sie nämlich innerhalb der Firma weiter
verbunden, um diese höchst wichtige Frage zu klären.
Auch der sportlich gekleidete Mann Mitte fünfzig, den seine
juckende, sehr trockene Haut verrückt macht, ist so ein Beispiel. Ich zeige
ihm Körpercreme für seine Beine, worauf er mir erzählt, dass auch seine Füße so
wahnsinnig trocken wären. Richtig tiefe Risse hätte er schon. Ich mache ihn
darauf aufmerksam, dass es gut ist, viel und oft zu cremen, es aber sinnvoll
ist, auch von Innen der trockenen Haut zu helfen.
Ich erkläre und zeige ihm Borretschöl-Kapseln und seine Antwort lautet:
„Da muss ich mich erst mal schlau machen!“
Das Internet ersetzt ja heutzutage jegliche Bildung.
Drei kleine Beispiele von Kundenkontakten, wie sie in jeder deutschen Apotheke vorkommen. Sie machen deutlich, wie wir als Apotheke von Teilen der Gesellschaft wahrgenommen werden:
- Als Postannahmestelle, die nebenbei schnell die Gesichtscreme analysiert.
- Als Fachgeschäft, deren Beratung dringend mit Dr. Google gegengecheckt werden muss, da die Qualifikation der Mitarbeiter gar nicht bewusst ist.
Das erinnert mich an die Stellenanzeige einer Kollegin, die einen Apotheker suchte und die eine Bewerbung von einer jungen Frau bekam – auf einem ausgerissenen Zettel – auf dem handschriftlich stand, dass sie sich für die Stelle interessiere, aber keinerlei Ausbildungen hätte.
Wenn an solchen Tagen dann noch diese typischen
Arzt-Apotheke-Telefonate hinzukommen, überlegt man kurz, ob man am nächsten Tag
einfach mal im Bett bleibt und die Pharma-Bude nicht aufmacht.
Eine alte Dame, frisch entlassen aus dem Krankenhaus und komplett neu eingestellt mit für sie bis dato unbekannten Arzneimitteln. Auf den Rezepten standen unter anderem Marcumar und ASS 100 – da ist eine kurze Nachfrage beim Arzt Standard.
Sehen wir so, manche Ärzte allerdings nicht. Und so wurde meine PTA angeraunzt von Frau Doktor, was ihr einfiele, ihre Therapie anzuzweifeln. Sie solle sich doch mal fortbilden, dann wüsste sie auch, dass das in Einzelfällen gemeinsam verordnet werden würde.
Richtig – Einzelfälle, nicht Standard! Immer wieder schön zu sehen, wenn Menschen, die aufgrund
ihres Berufes eigentlich empathisch und gebildet sein sollten, bei Kritik, die
gar keine ist, die Contenance verlieren und vermeintlich Schwächeren
unfreundlich begegnen.
Dazu dann noch ein feiner Retax-Brief, eine unangemeldete Pharmareferentin, die endlos über das x-te Herpesmittel referiert, der Anruf vom Callcenter mit super tollen Angeboten für Versicherungen / Verbandsmitteln / Kosmetik / Zeitungsabos, die Frage nach der „Rundschau“ mit Fernsehteil und die Woche ist am Mittwoch schon durch.
Das sind so Tage, an denen man sich fragt, warum man nichts
Anständiges gelernt hat.
10 Kommentare
Erfahrungen mit gedankenlosen Mitmenschen respektive "Kunden"
von Ingrid Holm am 27.05.2016 um 23:34 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten
Borretschöl-Kapseln
von Jan Kleinmann am 26.05.2016 um 13:05 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 2 Antworten
AW: Bravo
von Ann-Katrin Kossendey-Koch am 27.05.2016 um 15:16 Uhr
AW: Eben nicht.
von Jan Kleinmann am 28.05.2016 um 15:55 Uhr
Kommunikation
von Dr. Jochen Pfeifer am 26.05.2016 um 1:55 Uhr
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AW: Standard
von Ann-Katrin Kossendey-Koch am 26.05.2016 um 10:33 Uhr
AW: Nähfehler
von Sabine Ergezinger-Dettmeier am 25.05.2016 um 21:30 Uhr
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Lieblingskunden
von Birgit Möllenkamp am 25.05.2016 um 19:29 Uhr
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LOL
von Peter am 25.05.2016 um 16:09 Uhr
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AW: Nähfehler
von Birgit Möllenkamp am 25.05.2016 um 18:56 Uhr
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