Medikationsmanagement

ARMIN startet – Wo hakt es noch?

Berlin - 28.06.2016, 14:30 Uhr

Gut beraten: Ab dem 1. Juli können Apotheker in Sachsen und Thüringen multimorbiden AOK-Patienten ein Medikationsmanagement anbieten. (Foto: dpa)

Gut beraten: Ab dem 1. Juli können Apotheker in Sachsen und Thüringen multimorbiden AOK-Patienten ein Medikationsmanagement anbieten. (Foto: dpa)


Am 1. Juli startet das letzte Modul der Arzneimittelinitiative Sachsen-Thüringen (ARMIN), das Medikationsmanagement. Dann können AOK-Patienten eine umfassende Medikationsanalyse von Arzt und Apotheker in Anspruch nehmen. Noch sind alle Probleme im ARMIN-Projekt aber nicht gelöst. Eine Übersicht.

Alles muss sich ARMIN unterordnen

ARMIN ist das seit Jahren mit voller Kraft unterstützte Königsprojekt der ABDA.Hört man sich an der Apotheker-Spitze um heißt es überall: „Alle anderen Projekte müssen sich ARMIN unterordnen.“  Der Gesetzgeber hatte es Ärzten und Apothekern 2012 ermöglicht, ein regionales Modellprojekt zur Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit ins Leben zu rufen. Nach einer langwierigen Suche nach der geeigneten Testregion – Ärzte und Kassen waren nicht wirklich begeistert von der Idee – fanden sich im Vertragsgebiet der AOK Plus (Sachsen und Thüringen) die dortigen Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) und die Landesapothekerverbände zusammen. Erst zwei Jahre nach dem Inkrafttreten des GKV-Versorgungsstrukturgesetzes, also im April 2014, startete das erste ARMIN-Modul, die Wirkstoffverordnung. Es folgte der Medikationskatalog.

Bis die Apotheker nicht nur am Verhandlungstisch, sondern auch aktiv an ARMIN teilnehmen können, sind nun zwei weitere Jahre vergangenen. Ab 1. Juli können alle teilnehmenden Apotheken multimorbiden Patienten der AOK Plus das „Herzstück“ des Modells anbieten: Ein umfassendes Medikationsmanagement, an dem Arzt und Apotheker gleichberechtigt beteiligt sind und bei dem beide Heilberufe erstmals über eine digitale Lösung miteinander über Medikationspläne sprechen können.

DAZ.online hatte erst kürzlich beschrieben, wie das Medikationsmanagement in der Praxis funktioniert und wie der Datenaustausch zwischen Apotheke und Arztpraxis organisiert ist. Bei einer Pressekonferenz am heutigen Dienstag in Berlin, bei der neben den Vertretern der Ärzte und Apotheker sowie der AOK Plus auch die beiden Gesundheitsministerinnen aus Sachsen und Thüringen anwesend waren, wurde allerdings deutlich, welche Hausaufgaben die Beteiligten noch lösen müssen, damit ARMIN alle Hoffnungen erfüllen kann. Darum geht es:

Beteiligung der Ärzte und Patienten, Technikprobleme

  • Die Beteiligung der Ärzte. Die Mediziner lässt das Modellprojekt derzeit noch relativ kalt. In Thüringen beteiligen sich lediglich 361 von rund 1500 Ärzten, die für das Projekt in Frage kämen. Die KV Thüringen hatte sich schon vor Jahren als einzige KV für eine Beteiligung ausgesprochen und damals schon den dortigen Hausärzteverband ins Boot geholt. Das ist in Sachsen nicht der Fall. „Der sächsische Hausärzteverband lehnt das Modell ab“, sagte Sachsens KV-Chef Klaus Heckemann bei der PK. In den Teilnehmerzahlen spiegelt sich das wider: Nur 215 von etwa 2500 möglichen Ärzten beteiligen sich in Sachsen. Schon zu Beginn des Projektes hatten die Hausärzte davor gewarnt, die Therapiehoheit und die Medikationsexpertise in die Hände der Apotheker zu legen. Hinzu kam, dass die Mediziner der digitalen Kommunikationslösung gegenüber sehr skeptisch eingestellt waren und eine Vernetzung der Praxissoftware mit der Krankenkasse und den Apothekern ablehnten. AOK-Chef Rainer Striebel ist trotzdem gelassen: „Ärzte sind bei solchen Projekten anfangs immer sehr zögerlich. Das wird sich geben.“ Übrigens: Die Apotheker sind überzeugt von ARMIN. In Thüringen beteiligen sich 471 von 565 Apotheken, auch in Sachsen sind bereits mehr als drei Viertel aller Apotheken eingeschrieben.

  • Die Beteiligung der Versicherten. Das Modellprojekt ist zunächst bis 2018 zeitlich begrenzt. Laut AOK-Chef Striebel kommen für die Teilnahme in beiden Bundesländern rund 300.000 multimorbide Patienten in Frage, die mehr als fünf Rx-Medikamente gleichzeitig einnehmen. Damit ARMIN auch für andere Krankenkassen interessant wird und seine volle Vorbildfunktion auf anderen AMTS-Projekt auswirken kann, müssen alle Beteiligten den Patientennutzen nachweisen. Striebel hat sich zum Ziel gesetzt, dass bis 2018 mindestens ein Viertel, also etwa 75.000 Patienten, sich in das Modell einschreiben. Weil die teilnehmenden Apotheker in beiden Ländern in der Überzahl sind, wird ihnen bei der „Rekrutierung“ und Werbung für das Projekt eine wichtige Rolle zukommen.

  • Die Technik. Die technische Verbindung zwischen Arzt, Apotheker und Krankenkasse hat allen Beteiligten über Jahre hinweg Kopfschmerzen bereitet. Ärzte-Chef Heckemann sagte, dass die Mediziner wahrscheinlich vor ARMIN „zurückgeschreckt“ wären, wenn sie von Anfang an die Dimensionen der technischen Umsetzungsprobleme gekannt hätten. Die Ärzte hatten und haben Angst, dass ihre Praxisinformationssysteme zu durchsichtig werden. Gleichzeitig musste eine aus datenschutzrechtlicher Sicht absolut sichere Datenleitung etabliert werden. Vorgängerbeispiele gab es nicht – alles musste neu erfunden werden. Und: Weil sich so wenig Ärzte beteiligen, sehen natürlich auch die Hersteller der Praxissoftware keinen wirtschaftlichen Grund, ihre Systeme für ARMIN umzurüsten. Stefan Fink, Vorsitzender des Thüringer Apothekerverbandes, sprach von einem „hohen Marktanteil“ bei den Softwareanbietern. Alle Beteiligten warben bei der PK aber dafür, dass noch mehr Anbieter sich an dem Modell beteiligen sollten. Thomas Dittrich, Chef des Sächsischen Apothekerverbandes, sagte, dass die flächendeckende Etablierung aus diesen technischen Gründen noch etwas Zeit in Anspruch nehmen werde.

Kompetenzgerangel und hohe Erwartungen

  • Die Wirkstoffverordnung und der Medikationskatalog. Für die AOK Plus sind die ersten beiden Module von ARMIN die wichtigsten. Durch die Wirkstoffverordnung erhofft sich die Kasse eine höhere Rabattquote. Der Medikationskatalog soll dafür sorgen, dass Ärzte leitliniengerecht verschreiben. Aber auch hier gibt es noch Verbesserungsbedarf: Nur etwa die Hälfte aller Verordnungen können schon über den Wirkstoff erfolgen. Derzeit können die Mediziner 171 Monosubstanzen und 17 Wirkstoffkombinationen ohne Markennamen verschreiben. „Ziel ist es hier ganz klar, noch mehr Wirkstoffe einzubeziehen“, sagte Dittrich. Der Medikationskatalog umfasst derzeit zwölf Indikationen, aus denen die Mediziner bei der Verordnung auswählen können. Auch hier müsse es noch eine Entwicklung nach oben geben.

  • Die Kooperationskultur. Ärzte, Apotheker und die Politik versprechen sich durch ARMIN eine neue, verbesserte Arbeitsgemeinschaft zwischen Ärzten und Apothekern. Sachsens Staatsministerin für Soziales, Barbara Klepsch, sprach davon, dass ARMIN eine „Blaupause“ für die weitere Digitalisierung des Gesundheitswesens werden könne. Sicherlich ist die neue, digitale Serverlösung als Kommunikationsebene für beide Heilberufler einzigartig und könnte für andere AMTS-Projekte als Vorbild dienen. Aber was hilft diese Lösung, wenn gerade die Hausärzte keine Kompetenzen an Apotheker abgeben wollen? Thüringens KV-Chefin Annette Rommel appellierte auch deswegen noch einmal an ihre Kollegen: „Unsere Therapiehoheit bleibt erhalten. Wir brauchen aber für das Modell einen bestimmten Arzt-Typen. Der Typ ‚Ich bin Arzt, lasst mich hier durch!‘ wird sicherlich kein Interesse an ARMIN haben.“

  • Die Erwartungen an das Projekt. Die Erwartungen an ARMIN sind enorm hoch. Die AOK Plus hat mehr als 3 Millionen Euro in die Errichtung der technischen Infrastruktur investiert und muss die Apotheker und Ärzte vergüten. Natürlich will die Kasse möglichst bald finanzielle Vorteile sehen. Die Apotheker wollen mit Hilfe von ARMIN zeigen, dass sie Medikationsmanagement können, dass auch die Zusammenarbeit mit dem Arzt klappt und sich somit für weitere Projekte mit Zusatzhonoraren bewerben. Nicht zuletzt hat der Gesetzgeber alle Beteiligten beauftragt, das Projekt zu evaluieren und den Patientennutzen herauszustellen. ARMIN kann also für alle Beteiligten eine große Chance sein. Läuft etwas schief, weil sich beispielsweise nicht genügend interessierte Patienten finden, werden aber insbesondere die Apotheker eine herbe Niederlage einstecken müssen.



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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3 Kommentare

Aufmarsch der Reichsbedenkenträger bei ARMIN

von Uwe Bauer am 29.06.2016 um 7:32 Uhr

Dieses ständige Gemeckere über jedwede Versuche einer Neuorientierung , das hyperaktive Suchen des Haares in der Suppe und noch einiges mehr geht mir nur noch auf den Senkel.

Hat irgendjemand gesagt, es würde einfach werden?

Hat jemand bessere Ideen für eine aktivere Orientierung auf den heilberuflichen Teil unserer Arbeit?

Meint irgendwer, die Schwierigkeiten im Umgang mit Technik & Datenschutz wären lockerer aus dem Weg zu räumen?

Fand schon jemand den Königsweg bei der Zusammenarbeit mit unseren heilberuflichen Brüdern & Schwestern auf ärtzlicher Seite?

Dann immer heraus mit solcherlei brillianten Ideen!

Fast alles, was dort bisher vorgetragen wurde, ist nichts als heiße Luft. Es springt als Tiger ab und landet als Bettvorleger.

Ja, die Sache mit dem Honorar ist Mist, aber daran muss eben gearbeitet werden. Mit genau der gleichen Hartnäckigkeit wie bei der Überwindung der o. g. Probleme.

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AW: Aufmarsch der Reichsbedenkenträger bei

von Pillendreher am 01.10.2019 um 10:15 Uhr

Wir haben zu tun mit massenhaften Defekten, müssen improvisieren, um die Patienten zu versorgen, wir haben den Rahmenvertrag umzusetzen (damit auch ja die richtigen Nummern auf dem Rezept stehen), unsere "ärztlichen Brüder und Schwestern" arbeiten ja nur mit bestimmten Apotheken zusammen, nicht mit allen... Ein Orientierung auf den heilberuflichen Teil meines Berufes vermisse ich und habe dies ad acta gelegt, nachdem ich ganze Vormittage verbringem um einen Arzt ans Telefon zu kriegen, nach Lorazepam in SMT Form Ausschau halte, Venlafaxin vergeblich in D suche... Armin? Das Lieblingsprojekt einiger Funktionäre aus Sachsen und Thüringen - praktikabel ist es erst, wenn ich als Pharmazeut mich heilberuflich (!) betätigen kann. Die sehe ich für die nächsten Jahre nicht.

Will die ABDA "Arminsklaven"?

von Heiko Barz am 28.06.2016 um 20:12 Uhr

Ein gewaltiges Damokles Schwert bedroht ARMIN und dessen "Brüder und Schwestern" in den anderen Bundesländern,
nämlich die faire finanzielle Bewertung dieser Zusatzbelastung.
Ich garantiere, sobald bundesweit über eine Finazierung dieser Sonderaufgaben gesprochen wird, dann höre ich die " Gesundheistskasse " wieder reden von der Selbstverständlichkeit der bestehenden Beratungsgebühr.
Lobpreisung über alles - wenn es nichts kostet. Super!!
Es ist geradezu lächerlich, wenn die ABDA vermeldet, es habe sich dieser ARMIN-Konstruktion alles unterzuordnen.
Man sollte davon ausgehen, dass die notwendigsten Aufgaben: BTM-Vergütung, Nacht und Notdienstverbesserung, Honorarverhandlungen etc keine momentanen Richtwerte mehr sind.
So schön und schnell können sich Schmid und Co. aus der Bedrängnis wieder ins helle Licht bringen.

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