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Blutsauger in Deutschland
Wissenschaftler im Kampf gegen Stechmücken
Sie brüten in Gartenkolonien, auf Friedhöfen, in Autoreifen: Mücken sind nicht nur lästig. Manche können Erreger gefährlicher Krankheiten übertragen. Immer häufiger tauchen solche Arten in Deutschland auf. Forscher sind alarmiert.
Doreen Walther jagt sie auf Friedhöfen, Egbert Tannich ringt ihnen kleinste Speicheltropfen ab, und Helge Kampen wünscht ihnen einen eisigen Winter. Deutschlands Mückenforscher sind auf einer Mission: Sie möchten wissen, welche Mückenarten in Deutschland leben – und wie gefährlich sie als Überträger von Krankheitserregern für den Menschen werden können.
Das Problem: Über Mückenarten, die nach Deutschland eingewandert sind, weiß man wenig. Einige von ihnen sind in ihren Herkunftsregionen gefürchtet, denn dort übertragen sie gefährliche Krankheitserreger. In Deutschland haben sie bislang aber noch keinen größeren Schaden angerichtet.
Rund um den Globus gibt es etwa 3500 Mückenarten. In Deutschland sind gerade einmal 50 von ihnen bekannt. Die Gemeine Hausmücke (Culex pipiens) ist hierzulande am weitesten verbreitet. Maximal sieben Millimeter lang und zwei Milligramm schwer ist das Insekt – und doch bereitet der Blutsauger den Deutschen immer wieder schlaflose Nächte.
Interesse an der Mücke war mit ihrer Gefahr gewichen
Damit sich die Eier der Mücken-Weibchen entwickeln können, brauchen sie Eisen und Proteine. Diese gewinnt der Plagegeist aus seinen Blutmahlzeiten. Ihre Beute findet die Mücken-Dame besonders durch das Kohlendioxid (CO2) in der ausgeatmeten Luft.
„Dabei interessiert zwei Drittel der uns bekannten heimischen Stechmücken Menschenblut gar nicht. Sie ernähren sich von dem Blut anderer Säugetiere oder von Vogelblut“, sagt Egbert Tannich vom Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin.
An seinem Arbeitsplatz in Hamburg forscht Tannich zu Mücken, die Krankheitserreger übertragen. Dafür stehen ihm Labore der höchsten Sicherheitsstufe zur Verfügung. Das war nicht immer so. Über Jahrzehnte lag die Mückenkunde in Deutschland brach.
Denn das Interesse an der Mücke war mit ihrer Gefahr gewichen: Nachdem Malaria in den Fünfzigerjahren in Deutschland für ausgerottet erklärt wurde, geriet die Mücke als Überträger von Krankheitserregern aus dem Blickfeld. Dann befiel 2006 die Blauzungenkrankheit ganze Rinder- und Schafherden. Mehr als 25.000 Seuchenfälle wurden registriert. Virusüberträger waren winzige, gerade mal drei Millimeter kleine Insekten: Die in Deutschland beheimateten Culicoides aus der Mückenfamilie der Gnitzen (Ceratopogonidae).
Politik und Wissenschaft waren alarmiert. „Entscheidungsträger hatten unsere einheimischen blutsaugenden Insekten nicht mehr als Überträger von Krankheitserregern im Verdacht. Die Vorfälle waren ein Weckruf“, sagt Doreen Walther vom Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) in Müncheberg.
Mückenzählung ist ein Mammutprojekt
Im Auftrag der Bundesregierung sammeln Wissenschaftler nun systematisch Mücken-Daten. Welche Arten gibt es in Deutschland? Welche regionalen Unterschiede? Und wie groß sind die Populationen? Stechmücken-Monitoring heißt das Programm, an dem neben dem ZALF auch das Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) und das Bernhard-Nocht-Institut beteiligt sind.
Die Mückenzählung ist ein Mammutprojekt. Von Husum bis Berchtesgaden - quer durch die Bundesrepublik - haben die Forscher an 148 Orten Mückenfallen aufgestellt. Für eine möglichst große Datenbasis fließen in die Verbreitungskarte auch Informationen des sogenannten Mückenatlas ein. Bei diesem Gemeinschaftsprojekt des ZALF und des FLI sind Bürger dazu aufgerufen, Mücken, die zwar tot aber nicht zerdrückt sein dürfen, an eines der Institute zu schicken.
Dort werden die Funde analysiert und kartographiert. „Das ist eine tolle Datenquelle. Wir bekommen jedes Jahr Tausende Zusendungen“, sagt Walther. Besonders spannend wird es für die Wissenschaftler, wenn unter den Einsendungen invasive Mückenarten sind, also Mücken, die aus anderen Regionen eingeschleppt wurden.
2014 etwa hatte ein Hobby-Fänger eine Asiatische Tigermücke in Freiburg gefangen und zur Sammelstelle geschickt. Die Asiatische Tigermücke (Aedes albopictus) ist als Überträger von Krankheitserregern gefürchtet: Sie kann unter anderem das Chikungunya-, das Dengue- und das West-Nil-Virus weitergeben. Wissenschaftler betrachten sie als größte Gefahr unter den invasiven Mückenarten in Deutschland.
Wie kommt das in Südostasien beheimatete Insekt nach Freiburg?
Zwar wurde in Europa auch schon die verwandte Gelbfiebermücke (Aedes aegypti) gesichtet, die das Gelbfieber- und auch das Zika-Virus übertragen kann. Die extrem wärmeliebende Mücke wird sich in Deutschland aber vermutlich nicht ansiedeln können.
Dagegen ist die Japanische Buschmücke (Aedes japonicus), die vermutlich das West-Nil-Virus übertragen kann, in Teilen Deutschlands bereits heimisch. Allerdings gilt sie unter den Mückenforschern als eher ineffektiver Überträger von Erregern - im Gegensatz zur Tigermücke.
Entsprechend alarmiert waren Walther und ihr Team, als sie den Umschlag mit der Tigermücke öffneten. Sie fuhren zum Fundort und suchten einen angrenzenden Friedhof ab. In Blumenvasen und Regentonnen fanden sie Eier der Mücke.
Wie aber kommt das ursprünglich in Südostasien beheimatete Insekt nach Freiburg? Aus eigener Kraft wohl nicht. Zum einen seien die Mücken mit einer Fluggeschwindigkeit von etwa zwei Kilometern pro Stunde recht langsam. „Entscheidend aber ist die Flugdistanz: Eine Asiatische Tigermücke fliegt nur wenige Hundert Meter“, sagt der Insektenforscher Helge Kampen vom Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) auf der Ostseeinsel Riems.
„Mücken reisen vor allem mit PKWs oder Warentransportern um den Globus“, erläutert er. „Die Asiatische Tigermücke ist vermutlich mit einer Ladung gebrauchter Reifen nach Europa gekommen.“ Um die Vorliebe der Mücke für diesen Reiseweg zu verstehen, muss man wissen, wie sie sich fortpflanzt.
Die Asiatische Tigermücke ist ein sogenannter Container-Brüter. Sie sucht zur Eiablage vor allem kleine künstliche Gewässer. Etwa Reifen von LKWs oder Traktoren, die unter freiem Himmel auf ihre Verschiffung nach Europa warten und mit Regenwasser gefüllt sind.
Einzelne Exemplare der Mücke in Bayern, Thüringen und Nordrhein-Westfalen
Ihre Eier legt die Tigermücke oberhalb der Wasseroberfläche ab. Bleibt es trocken, halten sie sich über Monate. Erst wenn der Wasserspiegel steigt, schlüpfen die Larven - also wenn die Reifen erneut im Freien lagern und Regen das Wasser steigen lässt. So könnten sich die Mücken über den ganzen Globus verteilen, sagt Kampen.
1979 wurde die Asiatische Tigermücke erstmals in Europa gesehen - in Albanien. „Das Land war damals absolut isoliert. Deshalb hat sich die Mücke von dort aus nicht weiter verbreitet“, so Kampen. Erst in den späten Achtzigerjahren, nachdem die Mücke nach Italien einschleppt wurde, verbreitete sie sich in Europa. 2007 wurden die ersten Tigermücken in Deutschland dokumentiert. Damals kamen sie vermutlich als blinde Passagiere mit dem Personenverkehr aus Südeuropa.
Mittlerweile wurden einzelne Exemplare der Mücke in Bayern, Thüringen und Nordrhein-Westfalen gesichtet. Die vermutlich größte Population aber gibt es in Baden-Württemberg.
Unter Deutschlands Mückenforschern gilt die Bundesautobahn 5, die von der Schweizer Grenze bei Basel nach Norden führt, als berüchtigtste Reiseroute invasiver Mücken. In Freiburg, ganz in der Nähe der A5, wurden bereits im Mai in einer Kleingartenkolonie und auf einem Friedhof Populationen entdeckt. Vermutlich habe die Asiatische Tigermücke in diesem Jahr dort überwintert. Wegen der vielen Larven und Eier geht Egbert Tannich davon aus, dass es sich nicht um eine eingeschleppte Population handeln kann.
Zumal die Forscher dort im vorigen Jahr mehrere Tausend Tigermücken aufstöberten. Die Freiburger Gartenanlage mit ihren Regentonnen, Vogeltränken und Gießkannen bietet den Insekten ideale Brutplätze.
Trifft eine Mücke dann auf ein passendes Virus, kann es schnell gehen
Anders als viele andere Arten ist die Tigermücke anthropophil - sie ernährt sich bevorzugt von Menschenblut. Und wie der Mensch ist auch sie tagaktiv. Das macht sie als Überträger von Krankheitserregern besonders gefährlich.
Hinzu kommt: Die Tigermücke passt sich unseren Klimabedingungen immer besser an. Der aus den Tropen stammende Flieger kann sogar eine einzelne Winternacht bei bis zu minus zehn Grad Celsius überleben. «Eine längere Kälteperiode würde uns im Kampf gegen die Tigermücke sehr helfen», sagt Helge Kampen. Die globale Klimaerwärmung aber macht es für diese Mückenart einfacher, sich in eigentlich gemäßigten Wetterzonen anzusiedeln.
Wissenschaftler befürchten, dass die Tigermücke neben Dengue-, Chikungunya- und West-Nil-Viren noch weitere Erreger übertragen kann.
„Letztlich ist es eine Wahrscheinlichkeitsrechnung, ob ein Virus über Mücken verbreitet wird“, sagt Tannich. Die Gefahr einer epidemischen Ausbreitung wird umso wahrscheinlicher, je größer eine Mückenpopulation ist und je enger sie mit Menschen zusammen lebt.
Trifft eine Mücke dann auf ein passendes Virus, kann es schnell gehen: Als 2007 in Norditalien über 200 Personen mit dem Chikungunya-Virus infiziert wurden, ließ sich der Ausbruch auf eine einzelne Person zurückführen – einen Reisenden aus Indien.
Allerdings ist das Zeitfenster sehr begrenzt, in dem der Blutsauger Erreger weitergeben kann: Bis zu zwei Wochen dauert es, bis die Mücke eine infizierte Blutmahlzeit verdaut hat und das Virus über den Speichel auf den Menschen übertragen kann. „Eine Mücke wird im Schnitt aber nur drei Wochen alt“, sagt Tannich.
In ihren Hochsicherheitslaboren untersuchen Tannich und Kampen auch, unter welchen Umständen sich Viren in Mücken entwickeln. Dazu füttern sie Labormücken mit infiziertem Blut. Im Mückenspeichel prüfen sie dann, ob sich der Erreger in dem Insekt ausbreiten kann. „So haben wir festgestellt, dass die Gemeine Hausmücke zumindest theoretisch das West-Nil-Virus übertragen kann“, sagt Tannich.
Es wird nicht die letzte Überraschung sein, glauben die Forscher. Steht man den invasiven Mücken in einer globalisierten Welt also machtlos gegenüber? Einerseits ja, weil man ihnen kein Einreiseverbot geben kann. Andererseits müsse man die Entwicklung beobachten und Populationsherde möglichst früh auslöschen, um eine Ausbreitung zu verhindern. Darin sind sich die Wissenschaftler einig.
Dabei helfe es schon, stehendes Wasser etwa in Blumenvasen oder Vogeltränken zu vermeiden. In der Freiburger Gartenkolonie hat man die Population der Asiatischen Tigermücke mittlerweile eingedämmt. Ob das genügt, kann Kampen nicht sicher sagen: Auch bei einer einzigen Mücke bleibt ein Restrisiko bestehen.“
Von Annnika Middeldorf, dpa
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