Todesfälle

FDA stoppt Studie zu Krebs-Immuntherapie

Stuttgart - 12.07.2016, 07:00 Uhr

Der Therapieansatz von Juno Pharmaceutics oder Novartis soll das Immunsystem zur Bekämpfung von Krebszellen nutzen. (Foto: royaltystockphoto / Fotolia)

Der Therapieansatz von Juno Pharmaceutics oder Novartis soll das Immunsystem zur Bekämpfung von Krebszellen nutzen. (Foto: royaltystockphoto / Fotolia)


Bei einer klinischen Studie in den USA verstarben drei Patienten an Hirnschwellungen, die in Zusammenhang mit einer Tumor-Immuntherapie gebracht werden. Die Arzneimittelbehörde FDA stoppte die Studie vorübergehend. Die Ursache ist noch unbekannt. Auch Novartis entwickelt eine ähnliche Therapie – sieht aber weiterhin ein positives Risiko-Nutzen-Verhältnis.

Wie Ende letzter Woche bekannt wurde, starben bei einer Immuntherapie-Studie für Patienten mit therapierefraktärer Akuter lymphatischer Leukämie (ALL) drei Probanden. Die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA stoppte daraufhin die Phase-2-Studie „ROCKET“ der Biotech-Firma Juno Therapeutics vorübergehend.

Bei der Studie sollte die Sicherheit und Wirksamkeit der Therapie JCAR015 an mindestens 50 Probanden untersucht werden. Bei den Patienten werden hierzu eigene T-Zellen entnommen und genetisch so modifiziert, dass sie einen künstlichen T-Zell-Rezeptor (chimärischer Antigen-Rezeptor, CAR) ausbilden. Dieser zielt auf das Oberflächenprotein CD19 von B-Zellen und aktiviert das Immunsystem gegen diese. Derartige CAR-T-Therapien werden als sehr vielversprechend angesehen – auch Kite Pharma und Novartis arbeiten an ähnlichen Ansätzen.

Bisher nur leichte neurologische Nebenwirkungen

Als Todesursache der drei Patienten wurden Hirnödeme angegeben – und ein Zusammenhang mit der Studienmedikation angenommen. Laut dem Leipziger Hämatologen Dietger Niederwieser wurden derartige Zwischenfälle vorher nicht beobachtet, doch habe es durchaus leichtere neurologische Nebenwirkungen gegeben. „Die sind aber reversibel gewesen“, erklärt er gegenüber DAZ.online.

Juno Therapeutics selbst vermutet, dass das Chemotherapeutikum Fludarabin Ursache für die tödlichen Zwischenfälle sein könnte: Die drei Probanden kamen aus einem Studienarm, die neben Cyclophosphamid auch Fludarabin zur Vorbereitung der Therapie bekamen. Die Firma will nun hierauf verzichten und die Fortführung der Studie mit der einfachen Chemotherapie bei der FDA beantragen. Die Unterlagen seien bereits in der vergangenen Woche der Behörde zugestellt worden, erklärt Juno Therapeutics auf Nachfrage.

Vorzeitige Schlüsse wären eine Katastrophe

Hämatologen Niederwieser betont, dass nun die Ursache des Zwischenfalls genau analysiert werden muss. „Ich finde das nicht erschreckend“, sagt er – da es sich bei den Probanden um schwerstkranke Patienten handelt, die ohnehin eine stark erhöhte Mortalität haben. Die neuen Immuntherapien gegen Krebs sieht er weiterhin als sehr vielversprechend an – „da liegt die Zukunft drin“, erklärt Niederwieser und warnt vor negativen Schlagzeilen. „Man sollte nicht vorzeitige Schlüsse ziehen, das wäre eine Katastrophe.“

Revolutionäre Fortschritte?

Noch am Wochenende sprach Niederwieser laut der „Leipziger Volkszeitung“ auf einem Kongress vor mehr als 600 Patienten von „revolutionären Fortschritten“, die sich durch moderne Behandlungsstrategien ergäben. Er arbeitet mit dem Pharmahersteller Novartis zusammen, der – auch in Kooperation mit dem dortigen Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie – in Deutschland eine Herstellungserlaubnis für seinen „CTL019“ genannten Therapieansatz erlangen will. Über Details könne er aufgrund einer Verschwiegenheitsvereinbarung nicht reden, sagt Niederwieser.

Wie wird es angesichts des Zwischenfalls mit der ähnlichen Therapie von Juno Therapeutics mit Novartis‘ CTL019 nun weitergehen? Die Firma erklärt gegenüber DAZ.online, dass die Sicherheit und Gesundheit der Studienteilnehmer von „höchster Wichtigkeit“ für Novartis wie auch Investoren sei. Wie alle in Entwicklung befindlichen Therapien sei CTL019 nicht immer erfolgreich oder ohne Risiko. Auch die Firma betont, dass die Patienten von einer schweren und ansonsten nicht behandelbaren Erkrankung betroffen sind.

Novartis glaubt an den therapeutischen Nutzen

„Obwohl wir vielversprechende Ergebnisse in unseren klinischen Studien beobachtet haben, traten schwere Nebenwirkungen und Todesfälle ein, die mit der Erkrankung, Krankheits-begleitenden Komplikationen und Behandlungs-bezogenen Komplikationen in Verbindung standen“, erklärt Novartis gegenüber DAZ.online.

Nur ein kleiner Anteil der Todesfälle sei durch die Behandlung erklärbar. Diese stünden insbesondere mit der starken Freisetzung von Zytokinen in Verbindung. „Derzeit haben wir keine klaren Fälle, die hauptsächlich durch die Neurotoxizität ausgelöst wurden“, schreibt Novartis – auch wenn einige neurotoxische Symptome in Zusammenhang mit der Erkrankung, der Zytokin-Freisetzung oder anderen Problemen standen. „Wir bewerten alle schweren Nebenwirkungen regelmäßig als Teil unserer Risikoeinschätzung aller klinischen Studien und glauben, dass wir ein positives Nutzen-Risiko-Profil bei CTL019 haben“, erklärt Novartis.

Noch viel zu tun

Auch die Schweizer Pharmafirma nutzt das Chemotherapeutikum Fludarabin zur vorbereitenden Behandlung der Patienten. Beim Einsatz für Studien mit CTL019 habe es sich bewährt. „Fludarabin ist ein wohlbekanntes Vorbehandlungsmittel, das in vielen Situationen eingesetzt wird“, erklärt die Firma – so auch bei allogener Stammzelltransplantation.

„Die bisherigen Ergebnisse sind vielversprechend, doch bis das Versprechend der CAR-T-Therapie realisiert werden kann, gibt es noch viel zu tun“, schreibt Novartis. „Wir bleiben bezüglich des Nutzen-Risiko-Profils von CTL019 zuversichtlich und freuen uns darauf, unsere Studien weiter voranzubringen, um diese Therapie Patienten so schnell wie möglich zur Verfügung zu stellen.“

Aktienkurs brach ein

Dennoch wird der Zwischenfall wohl eine Hürde für die weitere Entwicklung der CAR-T-Therapien darstellen. So sehen es auch die Investoren: Der Aktienkurs von Juno Therapeutics sank nach der Entscheidung der FDA um rund 30 Prozent.



Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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