Die Evidenz-Sprechstunde

Raus aus der Einzelstudien-Falle

Stuttgart - 03.08.2016, 09:30 Uhr

Selbst Schlechtes kann schöngeredet werden: Nicht nur Schüler, sondern auch Forscher und Firmen berichten nicht immer objektiv über die Ergebnisse ihrer Arbeit. (Foto: Dirk Vorderstraße / Flickr, CC BY 2.0)

Selbst Schlechtes kann schöngeredet werden: Nicht nur Schüler, sondern auch Forscher und Firmen berichten nicht immer objektiv über die Ergebnisse ihrer Arbeit. (Foto: Dirk Vorderstraße / Flickr, CC BY 2.0)


Der Leser wird in die Irre geführt

Die Praxis sieht leider häufig anders aus: Die Werbung und auch manche Übersichtsarbeiten in Fachzeitschriften berufen sich in vielen Fällen sehr selektiv auf bestimmte Studien – nämlich nur solche, die zu einem positiven Ergebnis für das Mittel kommen. Untersuchungen, in denen sich keine Überlegenheit gegenüber der Standardtherapie oder Placebo findet, fallen dagegen unter den Tisch. Diese eingeschränkte Betrachtung verzerrt allerdings die Bewertung des Arzneimittels und führt den Leser in die Irre – ähnlich wie der Schüler versucht, den Eltern das Zeugnis als besser zu verkaufen, als es in Wirklichkeit ist. Das ist nicht lediglich ein akademisches Problem, sondern kann Patienten ernsthaft schaden

Systematisch und gründlich

Aus diesem Grund haben sich in den letzten Jahren systematische Übersichtsarbeiten für einen besseren Überblick durchgesetzt: Im Idealfall durchforsten die Autoren dafür zu einer definierten Fragestellung die gesamte wissenschaftliche Literatur, bewerten die Studienqualität und die jeweiligen Verzerrungsmöglichkeiten und fassen die Ergebnisse zusammen. Enthält der systematische Review auch eine quantitative Zusammenfassung, spricht man von einer Meta-Analyse. 

Zu den wichtigsten Produzenten von systematischen Übersichtsarbeiten gehört die Cochrane Collaboration, ein internationales Netzwerk von Wissenschaftlern. Die Cochrane Reviews werden in der Cochrane Library veröffentlicht. Die englischsprachigen Zusammenfassungen sind frei zugänglich, seit einiger Zeit gibt es auch zunehmend mehr deutsche Übersetzungen der Zusammenfassungen, die auf der Seite „Cochrane Kompakt“ zur Verfügung stehen.

Kritischer Blick

Allerdings sollte man den Ergebnissen von systematischen Übersichtsarbeiten nicht blind Glauben schenken – denn im komplexen Entstehungsprozess können sich durchaus Verzerrungen einschleichen, die das Ergebnis beeinflussen. Deshalb ist es wichtig, auch eine systematische Übersichtsarbeit kritisch zu überprüfen. Dazu gehören etwa die Fragen, ob die Literaturrecherche gründlich genug war und die Autoren die richtigen statistischen Methoden eingesetzt haben.



Iris Hinneburg, freie Medizinjournalistin und Pharmazeutin
redaktion@daz.online


Diesen Artikel teilen:


Das könnte Sie auch interessieren

Die Evidenz-Sprechstunde: Übersichtsarbeiten

Von Äpfeln und Birnen 

Physikalische Schutzmaßnahmen bei Viruserkrankungen

Was es bedeutet, wenn Cochrane keine Evidenz für Masken feststellt

Cochrane-Review verleitet zur Fehlinterpretation

Berechtigte Zweifel an Schutz durch Masken?

Grundlagen der medizinischen Statistik: Klinische Studien und ihre Bewertung, Teil 3

OR, RR, NNT

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.