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Ehemalige Gesundheitsministerin
Was macht eigentlich… Andrea Fischer?
Sie war grüne Gesundheitsministerin der ersten rot-grünen Bundesregierung unter Gerhard Schröder: Andrea Fischer. Was macht die Frau, die sich in einer ambitionierten Gesundheitsreform verkämpfte, heute? DAZ.online hat nachgefragt.
Zu Beginn habe sie schon etwas gefremdelt mit der so völlig anderen Umgebung, erzählt Andrea Fischer freimütig. Nach mehr als 30 Jahren Berlin hatte die ehemalige Bundesministerin für Gesundheit 2012 die Hauptstadt mit samt ihrem selbstbezogenen Politikbetrieb hinter sich gelassen und war umgezogen – nach Hannover. Wahrlich ein Kontrast in so ziemlich jeder Beziehung: „Manchmal staune ich über mich selbst, wie gut es mir hier gefällt“, sagt sie und lacht ansteckend. Das gleiche gelte auch für den Job als Dezernentin für Finanzen und Gebäudewirtschaft der Region Hannover, zu der sie vor vier Jahren gewählt worden war.
Dort ist sie seitdem zuständig für einen Haushalt von 1,6 Milliarden Euro und die Bewirtschaftung sämtlicher öffentlicher Liegenschaften, einschließlich Verwaltungs- und Schulgebäuden. Im vergangenen Jahr kam dann noch die Schaffung von Wohnraum für mehr als 4500 Flüchtlinge hinzu.
Sie fühle sich ausgelastet, betont Andrea Fischer. Dieser Satz ist vermutlich zum Reflex geworden seit ihrer frühen und viel beachteten Demission im Januar 2001, nach nur zweijähriger Amtszeit. Sie hatte die öffentliche Verunsicherung über die BSE-Krise nicht in den Griff bekommen. Damals war sie 40, galt als Politiktalent, Aushängeschild und Hoffnungsträgerin der Grünen. Seitdem wird sie in Interviews ständig aufgefordert, ihr aktuelles Dasein mit dem früheren Spitzenjob zu vergleichen. Zu betonen, dass das, was ist, mithalten könne mit ihrem Leben als Spitzenpolitikerin und Mitglied der ersten rot-grünen Bundesregierung.
Mit dem Thema Gesundheit habe sie heute keine Berührungspunkte mehr, sagt sie. Ein Jahr lang war sie – qua Amt – Aufsichtsrätin bei den kommunalen Krankenhäusern der Region: „Der liebe Gott hat wirklich Humor“, habe sie damals gedacht. Und dass es nicht leicht ist, ein Krankenhaus im Wettbewerb richtig aufzustellen.
Lobby reagierte mit Liebesentzug
In ihrer Zeit als Bundesgesundheitsministerin ist Andrea Fischer keinem schwierigen Thema aus dem Weg gegangen: Sie brachte eine ehrgeizige Gesundheitsreform auf den Weg, die kaum ein Reizthema ausließ: Krankenhaus- und Krankenkassenfinanzierung, Budgetierung ambulanter Leistungen, Globalbudgets zur Förderung einer sektorenübergreifenden Versorgung, Positiv-Listen für die Erstattung von Medikamenten. Die Konsens-verwöhnte deutsche Gesundheitslobby reagierte mit Liebesentzug und Verweigerung, die niedergelassenen Ärzte trugen ihren Protest sogar öffentlichkeitswirksam auf die Straße.
Weil sie am Widerstand der Länder im Bundesrat zu scheitern drohte, musste Fischer ihre Reform schließlich abspecken und auf wesentliche Punkte verzichten. Vom Tisch waren danach die Positiv-Listen, das Globalbudget, die heftig diskutierte Soforthilfe zur Entschuldung der Ost-Krankenkassen in Höhe von 1,3 Milliarden Mark und der Einstieg in die sogenannte monistische Krankenhausfinanzierung, bei der auch die Zuständigkeit für Investitionen im Krankenhaus von den Ländern auf die Krankenkassen übergeht. Letzteres halte sie auch heute noch für den richtigen Weg, sagt Andrea Fischer. Immerhin kommt kaum ein Bundesland seiner Finanzierungsverantwortung in ausreichender Form nach.
„Ich habe in bestimmten Bereichen versucht, Weichen zu stellen und Akzente gesetzt“, resümiert sie heute. Die Pflege zu unterstützen, sei ihr ein besonderes Anliegen gewesen. Auf ihr Konto geht die Einführung der Abrechnung von medizinischen Leistungen im Krankenhaus über Fallpauschalen. Kaum ein Reformschritt hat das Wirtschaften in Krankenhäusern ähnlich einschneidend verändert. „Die Abrechnung nach DRG hat in entscheidendem Maße zur Weiterentwicklung von Krankenhäusern beigetragen und war deshalb richtig“, sagt Fischer. „Die äußere Anmutung von Krankenhäusern und die Einstellung zu Patienten und ihren Wünschen und Ansprüchen haben sich fundamental verändert.“ Das System habe sich weiterentwickelt und anfängliche Fehlanreize korrigiert: „Die handelnden Akteure und ihr Verständnis der zu lösenden Probleme entwickeln sich weiter und das ist gut so.“
„Ich habe aber auch nicht Männchen gemacht, um vielleicht doch noch gemocht zu werden.“
Auch für den Einstieg in die sogenannte Integrierte Versorgung, also die Möglichkeit, über den Abschluss von Verträgen zwischen Leistungserbringern und Krankenkassen, stationäre und ambulante Leistungen besser zu verzahnen, legte Fischers Gesundheitsreform den Grundstein. Sie förderte den Ausbau von Präventionsleistungen und von Modellvorhaben im Bereich der Patientenberatung. Das Gesetz zur Rechtsangleichung in der gesetzlichen Krankenversicherung schließlich beschleunigte die Anpassung der Krankenkassen-Systeme in West- und Ost und schrieb die Kriterien für einen gesamtdeutschen Risikostrukturausgleich fest.
Nicht alle Punkte, von denen sie damals überzeugt war, würde sie heute wieder so auf die Agenda setzen, sagt Fischer. Etwa die Positiv-Listen. Sie halte sie inzwischen für den besseren Weg, Wirkungsweise und Nutzen von neuen Medikamenten zu bewerten und auf dieser Grundlage Preise zu ermitteln. Das öffentliche Urteil über die Ministerin und ihre Errungenschaften fiel seinerzeit unter dem Eindruck ihres Rücktritts und der erzwungen Zugeständnisse an den Bundesrat eher harsch aus. Auf die lange Sicht hat das als verwässert kritisierte Reformwerk vermutlich deutlich mehr bewegt, als ihm zunächst zugestanden wurde.
„Es ist das selbstverständliche Recht einer Partei, sich gegen einen Politiker zu entscheiden,“
Dass ihr ihre Partei damals das Vertrauen entzog, war ein harter Schlag für die noch junge Politikerin. Nur wenige Monate nach ihrem erzwungenen Rücktritt legten die Berliner Grünen nach und nominierten ihre ehemalige Frontfrau nicht mehr für den Bundestag. Die Enttäuschung darüber saß tief, öffentlich gehadert hat Fischer nie. „Es ist das selbstverständliche Recht einer Partei, sich gegen einen Politiker zu entscheiden“, sagte sie in Interviews: „Ich habe aber auch nicht Männchen gemacht, um vielleicht doch noch gemocht zu werden.“
Sie zog sich aus der Politik zurück, arbeitete als Publizistin, moderierte Talkshows bei ntv, arbeitete als selbständige Beraterin, hielt Vorträge. Ganz ohne Politik hielt sie es schließlich aber doch nicht aus. 2011 kandidierte Fischer bei der Berliner Kommunalwahl im Bezirk Mitte für den Posten der Bürgermeisterin. Berlin Mitte sei ein Bezirk mit vielen Widersprüchen, begründete sie damals: „Es gibt das Regierungsviertel, die Friedrichstraße, es gibt junge Schickeria und gleichzeitig viel Armut in anderen Straßenzügen: Jeder vierte im Bezirk lebt von Hartz IV.“ Mit diesen Unterschieden Politik zu machen, habe sie gereizt.
Und es war dann schließlich doch das Ticket ihrer Partei, welches sie nach Hannover brachte, als Leiterin des Dezernats für Finanzen und Gebäudewirtschaft. „Ich habe festgestellt, dass ich sehr gerne in großen Organisationen arbeite“, sagt sie. Die Region Hannover war 2011 aus den Kommunen des bisherigen Landkreises Hannover und der kreisfreien Stadt Hannover gebildet worden. In der Region leben knapp eineinhalb Millionen Menschen. Die Landschaft zwischen Lüneburger Heide und Steinhuder Meer ist schön, ungemein grün und reich an Wasser. Ein Paradies für Fahrradfahrer.
„Die Lebensqualität ist extrem hoch, sagt Andrea Fischer, „auch und gerade im Vergleich zu Berlin.“ Gewählt wurde sie auf acht Jahre, was danach kommt, muss sie jetzt noch nicht entscheiden. Vielleicht eine weitere Amtszeit in Hannover. Vorstellen könne sie sich das gut.
1 Kommentar
Was macht...
von Frank ebert am 24.08.2016 um 9:34 Uhr
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