Legal oder Illegal?

Korruptionsfallen in der Heimversorgung

Berlin - 14.09.2016, 09:00 Uhr

Kostenloses Stellen von Arzneimitteln für Heimbewohner – ein strafrechtlich relevantes Angebot? (Foto: Fotolia / PhotoSG)

Kostenloses Stellen von Arzneimitteln für Heimbewohner – ein strafrechtlich relevantes Angebot? (Foto: Fotolia / PhotoSG)


Darf eine heimversorgende Apotheke kostenlos Arzneimittel stellen? Oder gerät sie dann bereits unter Korruptionsverdacht? Im Rahmen unserer Serie zum neuen Korruptionsstrafrecht erreichten uns einige Fragen rund um die Heimversorgung – Rechtsanwältin Dr. Sabine Wesser beantwortet sie.

Die neuen Korruptionstatbestände sorgen bei einigen heimversorgenden Apotheken für Verunsicherung. Die DAZ.online-Redaktion erreichten hierzu gleich mehrere Anfragen. Vor allem zwei Punkte wurden dabei angesprochen: Sind Rabatte für Einkäufe von Mitarbeitern eines Pflegeheimes erlaubt? Und: Dürfen Arzneimittel für Heimbewohner kostenlos gestellt werden?

Nach der Zulässigkeit kostenlosen Stellens erkundigte sich eine Apotheke auch in Bezug auf die Belieferung „eines mobilen Pflegedienstes“. Eine weitere Frage lautete, ob es erlaubt ist, bereits auf die Bestellung des Heims zu liefern oder ob darauf gewartet werden muss, bis ein Rezept vorliegt, etwa als Fax. Außerdem wurde gefragt, ob es zulässig ist, den Ärzten Freiumschläge für die Zustellung der für die Heimbewohner ausgestellten Rezepte zu überlassen.

Die Kölner Rechtsanwältin Dr. Sabine Wesser hat sich dieser Fragen für unsere DAZ.online-Serie zum Korruptionsstrafrecht angenommen. Lesen Sie hier ihre rechtliche Einschätzung:

Kritische Rabatte für Heimmitarbeiter?

Was die Zulässigkeit von Rabatten für die Mitarbeiter eines Heims angeht, so kann auf einen früheren Beitrag dieser Serie verwiesen werden. Ist die Vorteilsgewährung an die Pflegekräfte des Heims Gegenleistung dafür, dass das Heim mit der vorteilsgewährenden Apotheke einen Versorgungsvertrag nach § 12a ApoG abschließt oder einen bestehenden Versorgungsvertrag verlängert und damit der Apotheke Patienten zuführt, kommt eine Strafbarkeit durchaus in Betracht.

Wann können Verordnungen beliefert werden?

Die Voraussetzungen für die Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel an Heimbewohner sowie für die Versorgung von Heimbewohnern auf Kosten der GKV haben zwar nichts mit dem Antikorruptionsgesetz zu tun. Gleichwohl sei an dieser Stelle eindringlich darauf hingewiesen: Ohne Vorliegen einer ärztlichen Verschreibung im Original darf ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel grundsätzlich nicht zulasten der GKV abgegeben werden (Ausnahme: § 4 Abs. 1 AMVV). Ebenso wenig darf eine Abgabe zulasten der GKV erfolgen. Eine gefaxte Verschreibung reicht in beiden Fällen nicht aus!

Spätestens bei der Zustellung des Arzneimittels im Heim muss der Apotheke die Verordnung also im Original vorliegen. Der Apothekenmitarbeiter, der ohne Vorliegen einer ärztlichen Verschreibung ein verschreibungspflichtiges Human-Arzneimittel abgibt, macht sich bei vorsätzlichem Handeln strafbar (vgl. § 96 Nr. 13 AMG), bei fahrlässigem Handeln liegt eine Ordnungswidrigkeit vor (§ 97 Abs. 1 AMG).

Der Inhaber einer Apotheke, der gegenüber der Kasse ein Arzneimittel abrechnet, obwohl zum Zeitpunkt der Abgabe dieses Arzneimittels der Apotheke keine Original-Verordnung vorlag, muss damit rechnen, wegen Abrechnungsbetrugs strafrechtlich verfolgt zu werden.

Kostenloses Stellen von Arzneimitteln

Beim patientenindividuellen Stellen ist zu unterscheiden:

Das kostenlose patientenindividuelle Stellen von (Fertig-)Arzneimitteln, die bereits an den Heimbewohner abgegeben worden sind, dürfte nicht strafbar sein. Erfolgt das patientenindividuelle Stellen unter Verwendung von bereits an den Patienten abgegebenen Fertigarzneimitteln, handelt es sich um die Herstellung eines neuen, patientenindividuellen Arzneimittels aus bereits im Eigentum des Patienten stehenden Fertigarzneimitteln. Es ist folglich eine Tätigkeit, die nur von dem Patienten oder der zu seiner Vertretung berechtigten Person in Auftrag gegeben werden kann. Dementsprechend handelt es sich  um eine Leistung, die die Apotheke an den Patienten erbringt – mag auch das Heim von dieser Leistung profitieren, weil seine Pflegekräfte hierdurch entlastet werden.

Die Gewährung eines Vorteils an den Angehörigen eines Heilberufs liegt in dem konkreten Stellvorgang nicht vor. Der Vorteil – die Dienstleistung der Herstellung eines patientenindividuellen Arzneimittels – wird dem Patienten gewährt. Zwar erfasst § 299b StGB auch den Fall, dass dem Angehörigen eines Heilberufs ein Vorteil für einen Dritten angeboten, versprochen oder gewährt wird; doch sollen Vorteile, die dem Patienten zugutekommen, laut Gesetzesbegründung hiervon nicht erfasst sein. Strafbar dürfte ein kostenloses patientenindividuelles Stellen daher nicht sein.

Eine andere Frage ist, ob kostenloses Stellen mit dem Heilmittelwerbegesetz und den Berufspflichten eines Apothekers in Einklang steht. Und wieder eine andere Frage ist, ob es strafbar ist, den Abschluss oder die Fortdauer eines Heimversorgungsvertrages (und damit die Zuführung von Patienten im Sinne des § 299b Nr. 3 StGB) dadurch zu erwirken, dass einem für das Heim handelnden Heilberufsangehörigen die generelle Bereitschaft angezeigt wird, den Heimbewohnern ein kostenloses Stellen ihrer Arzneimittel anzubieten.

Denn das Anbieten oder Gewähren der Möglichkeit, dass das Heim bei der von ihm an die Heimbewohner zu leistenden pflegerischen Tätigkeit des patientenindividuellen Richtens der Arzneimittel eine kostenneutrale Entlastung erzielt, stellt sich durchaus als Vorteil für das Heim dar. Die Unlauterkeit gegenüber anderen sich um den Abschluss des Heimversorgungsvertrages bemühenden Apotheken resultiert daraus, dass ein unentgeltliches Stellen gegen das Heilmittelwerberecht verstößt. Denn als Arzneimittelherstellung ist es genuine Apothekentätigkeit und nicht bloß handelsübliche Nebenleistung.

Die nachträgliche Herstellung eines patientenindividuellen Arzneimittels aus den zuvor an den Patienten abgegebenen Fertigarzneimitteln stellt zudem eine unzulässige Werbegabe zu diesen (Rx-)Fertigarzneimitteln dar. Außerdem wird das kostenlose Stellen zumindest von einigen Berufsordnungen ausdrücklich verboten.

Von dem Fall, dass sich das patientenindividuelle Stellen auf bereits an den Heimbewohner abgegebene Arzneimittel bezieht, zu unterscheiden ist der Fall, dass schon das an den Patienten abgegebene Arzneimittel ein patientenindividuell hergestelltes ist (weil etwa der dem Heimbewohner Arzneimittel verschreibende Arzt eine Auseinzelung zur patientenindividuellen Arzneimittelversorgung angeordnet hat).

Im Wege der Auseinzelung patientenindividuell hergestellte Arzneimittelblister sind vom Anwendungsbereich der Arzneimittelpreisverordnung ausgenommen, sofern Darreichungsform, Zusammensetzung und Stärke der ausgeeinzelten Arzneimittel unverändert bleiben. Die Arzneimittelpreisverordnung sieht vor, dass bei Abgabe von aus Fertigarzneimitteln entnommenen Teilmengen die Sozialleistungsträger, private Krankenversicherungen oder deren Verbände das Verfahren für die Berechnung der Apothekenabgabepreise für die zu ihren Lasten abgegebenen Arzneimittel mit Apotheken oder deren Verbänden vereinbaren können.

§ 6 Abs. 2 Satz 4 Rahmenvertrag wiederum sieht vor, dass ein vertragsärztlich verordneter patientenindividueller Arzneimittelblister nur dann auf Kosten der GKV abgegeben werden darf, wenn zuvor zwischen der Krankenkasse und der Apotheke oder deren Verbänden eine Einigung über dessen Preis erzielt worden ist. Zur Abgabe eines patientenindividuell gestellten Arzneimittels sollte es mithin nur kommen, wenn für dieses ein Apothekenabgabepreis vereinbart ist. Ist aber für das patientenindividuell hergestellte Arzneimittel ein Apothekenabgabepreis vereinbart, ist dessen Herstellung – das patientenindividuelle Stellen – durch den vereinbarten Preis abgegolten. Ein unentgeltliches Stellen kommt hier daher von vornherein nicht in Betracht.

Freibriefumschläge für Ärzte

In Bezug auf die Freibriefumschläge gilt Folgendes: Sofern die Apotheke einen Versorgungsvertrag nach § 12a ApoG abgeschlossen hat, ist das Heim berechtigt, die Rezepte für die von der Vertragsapotheke zu versorgenden Heimbewohner zu sammeln und der Vertragsapotheke zuzuleiten. Ein solcher Versorgungsvertrag begründet insoweit eine Ausnahme vom Rezeptsammelverbot. Ist aber dem Heim das Sammeln der Rezepte gestattet, kann es den Vorgang des Sammelns auch dadurch abkürzen, dass es die die Heimbewohner behandelnden Ärzte darum bittet, ihre Rezepte direkt der Vertragsapotheke zuzuleiten. Nicht selten ist das rechtzeitige Organisieren von Nachfolgerezepten im Heimversorgungsvertrag auch der Vertragsapotheke übertragen. Wenn die Vertragsapotheke den betreffenden Ärzten dann für die Übermittlung der Rezepte Freibriefumschläge zur Verfügung stellt, fällt dies nicht unter § 299b StGB. Denn die Zuständigkeit der Vertragsapotheke zur Versorgung der Heimbewohner ergibt sich aus dem Versorgungsvertrag. Eine unlautere Bevorzugung im Wettbewerb liegt nicht vor, wenn die Ärzte dieser Apotheke die Verschreibungen für die Heimbewohner übermitteln. Folglich kann das Zurverfügungstellen von für diese Übermittlung zu nutzenden Freibriefumschlägen keinen Vorteil darstellen, der den Ärzten als Gegenleistung für die Zuführung von Patienten an die Vertragsapotheke gewährt wird. Anders ist der Sachverhalt allerdings zu beurteilen, wenn ein für das Heim handelnder Heilberufsangehöriger (zum Beispiel der die Geschäfte des Heims führende Gesundheits- und Krankenpfleger) den Abschluss oder die Fortdauer des Heimversorgungsvertrages davon abhängig macht, dass die Apotheke den Ärzten solche oder ähnliche Vorteile gewährt; denn bei der Entscheidung, wer Vertragsapotheke für das Heim wird, geht es sehr wohl um die Zuführung um Patienten. Und für eine Strafbarkeit nach § 299b StGB reicht es aus, wenn dem für das Heim handelnden Heilberufsangehörigen der Vorteil für einen Dritten angeboten oder gewährt wird.

Belieferung mobiler Pflegedienste

Was die Belieferung „mobiler Pflegedienste“ angeht, so ist darauf hinzuweisen, dass ein Vertrag nach § 12a ApoG nur zur Versorgung von Bewohnern von Heimen abgeschlossen werden kann. Patienten, die durch mobile Pflegedienste betreut werden, zählen dazu nicht. Es ist daher nicht möglich, über einen solchen „Versorgungsvertrag“ den Pflegedienst vom Rezeptsammelverbot zu befreien. Das Einreichen von Rezepten durch den Pflegedienst bei einer bestimmten Apotheke setzt daher immer voraus, dass der Patient den Pflegedienst hiermit beauftragt hat. Hat der Patient den Pflegedienst außerdem damit beauftragt, sich darum zu kümmern, dass die Apotheke die Arzneimittel für ihn patientenindividuell stellt, ist das in Ausführung dieses Auftrags erfolgende Stellen der Arzneimittel eine Leistung, die die Apotheke an den Patienten erbringt. Haben allerdings für den Pflegedienst handelnde Heilberufsangehörige der Apotheke nahe gelegt, das patientenindividuelle Stellen den Patienten des Pflegedienstes kostenlos anzubieten, damit wiederum der Pflegedienst diese Apotheke seinen Patienten für die Arzneimittelversorgung empfiehlt, erfüllt es den Tatbestand des § 299b StGB, wenn die Apotheke diesem Ansinnen nachgibt. Denn sie erbringt an Heilberufsangehörige im Zusammenhang mit deren Berufsausübung einen Vorteil: Der Pflegedienst wird bei seiner  Tätigkeit des patientenindividuellen Richtens der Arzneimittel kostenneutral entlastet und soll die Apotheke als Gegenleistung bei der Zuführung von Patienten unlauter bevorzugen.

Dr. Sabine Wesser, Kanzlei Dr. Valentin Saalfrank, Köln




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