Dr. med.

Medizinstudenten fordern Wandel der Promotionen

Stuttgart - 21.09.2016, 11:00 Uhr

Das System medizinischer Doktorarbeiten muss reformiert werden, fordern Studentenvertreter. (Foto: Fotolia / science photo)

Das System medizinischer Doktorarbeiten muss reformiert werden, fordern Studentenvertreter. (Foto: Fotolia / science photo)


Anders als in der Pharmazie strebt fast jeder Medizinstudent einen „Dr. med“ an – doch die Qualität der Arbeiten steht schon lange in der Kritik. Promotionsprogramme sollen zukünftig Abhilfe schaffen. Die Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland fordert darüber hinaus verschenkte Titel, wie Studentenvertreterin Myriam Heilani DAZ.online erklärte.  

Während laut ABDA nur 10 bis 15 Prozent aller Pharmaziestudenten promovieren, sind es in der Medizin mehr als 60 Prozent. Doch nicht erst die Plagiatsplattform VroniPlag Wiki, die auch Plagiate in der Doktorarbeit von Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen identifiziert hat, hat Qualitätsmängel offenbart: Medizinische Doktorarbeiten sind schon lange als Schmalspurpromotionen in der Kritik. Myriam Heilani von der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland (bvmd) erklärt im Interview, wie die Studenten die Zukunft des „Dr. med“ sehen.

DAZ.online: Medizinische Doktorarbeiten sind nicht erst seit den Plagiatsfällen in der Promotion von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen stark in der Kritik. Wie groß ist das Problem, Frau Heilani?

Heilani: Es gibt unglaubliche Unterschiede in der Qualität von Dissertationen – der Aufwand geht von einer schnellen dreimonatigen statistischen Auswertung bis hin zur mehrjährigen Arbeit im Labor. Normalerweise promovieren Mediziner bisher im Stile eines „Learning by doing“ während des Studiums. In der öffentlichen Debatte wird die medizinische Promotion daher sehr durch den Kakao gezogen, während die strukturellen Probleme innerhalb der Universitäten bislang oft nicht klar ausgesprochen werden. Auch international finden deutsche medizinische Doktorarbeiten wenig Anerkennung. Das ist sehr schade, weil es auch exzellente Arbeiten gibt. Ich finde es schön, dass die Studierenden jetzt Handlungsbedarf gesehen haben. 

(bvmd)
Myriam Heilani von der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland studiert im sechsten Semester Medizin in Frankfurt am Main. 

DAZ.online: In allen anderen Disziplinen schreiben Studenten zuerst eine Abschlussarbeit, bevor sie promovieren. Sind viele Medizinstudenten einfach überfordert, schon im Studium damit zu beginnen?

Heilani: Möglicherweise. An einigen Universitäten gibt es früh Kurse zu Statistik und zum wissenschaftlichen Arbeiten – aber das ist gerade das Problem: Die gibt es nicht flächendeckend an allen Unis. Das führt dazu, dass Studierende gleichzeitig ihre wissenschaftlichen Kompetenzen erwerben und ihre Dissertation anfertigen müssen. Das klappt oft nicht und führt zu Abbrüchen. Gleichzeitig müssen viele Studierende Arbeiten für ihre Doktorväter erledigen, um deren Publikationsquote zu erhöhen und Drittmittel einzuwerben.

DAZ.online: Im Juni forderte Ihr Verein, dass die Qualität von medizinischen Dissertationen drastisch erhöht werden soll – und gleichzeitig jeder Medizinstudent einen Doktortitel geschenkt bekommt.

Heilani: Schon im Jahr 2014 hat die bvmd die sehr bestimmte Position verabschiedet, die bisherige medizinische Promotion aufzuwerten und gleichzeitig ein sogenanntes Berufsdoktorat zu fordern. Mit der Approbation soll jedem Mediziner auch ohne zusätzliche Promotionsleistung ein Doktorgrad verliehen werden, wie es auch in anderen Ländern wie zum Beispiel den USA der Fall ist. Die Studierenden, die wirklich promovieren wollen und an Forschung interessiert sind, sollen zukünftig einen Titel erwerben, der international Anerkennung findet. Wie die Titel genau heißen könnten, ist noch offen.

Ein geschenkter Titel für jeden Medizinstudenten

DAZ.online: Besteht denn Konsens, dass der Titel jedem Medizinstudenten geschenkt werden soll – und warum soll es eine derartige Extrawurst für Mediziner geben?

Heilani: Die Studierenden spüren eine gesellschaftliche Erwartungshaltung, die verlangt, dass ein Arzt auch stets ein Doktor sein müsse. Diese ist sogar im Duden präsent: Eine mögliche Bedeutung des Wortes „Doktor“ ist „Arzt“. Dieses Bewusstsein der Studierenden hat sich auch in ihrer Haltung zum Berufsdoktorat niedergeschlagen. Bei unserer letzten Mitgliederversammlung hat sich eine überwältigende Mehrheit für dessen Einführung entschieden.

DAZ.online: Gleichzeitig verlangen Sie eine Aufwertung der echten Promotionen. Was stellen Sie sich vor?

Heilani: Wir fordern die Einführung strukturierter Promotionsprogramme an allen Fakultäten. Es soll Seminare, eine unterstützende Plattform für Promovierende, ein Mentoring-Programm und Softskill-Kurse geben. So soll die Qualität verbessert und verhindert werden, dass Promotionen im Sande verlaufen. Dies wäre ein grundlegender Wandel der ganzen Promotionskultur.

DAZ.online: Ähnliches wird in vielen Disziplinen ausgebaut. Wie sieht es in der Medizin aus?

Heilani: Es gibt sehr große Unterschiede: Einige Fakultäten bieten Promotionsprogramme an, aber nicht für die Breite der Studierenden. Bei anderen Fakultäten läuft es wie vor 30 Jahren. Aber der Medizinische Fakultätentag hat bereits zugesagt, dass strukturierte Promotionsprogramme eingeführt werden sollen.

DAZ.online: Wäre das nicht mit viel Aufwand verbunden, wenn zwei von drei Studierenden derartige Programme durchlaufen?

Heilani: Ich bin der Meinung, dass nur diejenigen, die ein tiefergehendes Interesse an der Forschung haben, promovieren sollten. Das Promotionssystem selbst setzt die falschen Anreize – und produziert damit die schwankende Qualität der Arbeiten. Die Strukturierung der Promotionen dient dem Selbstschutz der Studierenden – sie soll die Studierenden nicht gängeln, sondern absichern.

DAZ.online: Würde es nicht viele Studenten davon abhalten, zu promovieren?

Heilani: An Fakultäten gibt es eine Angst, dass kein Nachwuchs mehr gewonnen werden könne. Wir können das nicht nachvollziehen. Die aktuelle Promotionslandschaft schreckt viele Studierenden von einer späteren Forschertätigkeit ab. Wir wollen das Interesse an Forschung durch die Beschäftigung mit wissenschaftlichen Themen während des Studiums fördern. Nur so lernen sie, eine neue Studie zu beurteilen – oder das neueste Angebot der Pharmaindustrie. Das sind grundlegende Kompetenzen.

DAZ.online: Wie sehen denn die Fakultäten und Universitäten Ihre Pläne?

Heilani: Die bvmd ist in einer Arbeitsgruppe der Hochschulrektorenkonferenz und des Medizinischen Fakultätentages zu dem Thema vertreten. Ich halte es für sehr unwahrscheinlich, dass das Berufsdoktorat umgesetzt wird – beide Gremien lehnen es ab. Klar ist, dass die medizinische Promotion aufgewertet werden soll, um international anerkannt zu werden. Der größte Streitpunkt ist eine grundsätzliche Frage: Sollen Medizinstudenten studienbegleitend promovieren – oder nicht? Bei der Hochschulrektorenkonferenz gib es wenig Verständnis dafür, dass für Mediziner extra Plätzchen gebacken werden.

DAZ.online: Was ist Ihre Meinung?

Heilani: Ein ständiges Argument ist, dass wir aufgrund des besonders langen Studiums andere Anforderungen haben. Es ist aber auch nur ein Jahr länger als ein typischer Bachelor plus Master. Die bvmd ist wie die Hochschulrektorenkonferenz der Meinung, dass die medizinische Promotion international nur dann Anerkennung findet, wenn man sich auf lange Sicht vom Konzept der studienbegleitenden Promotion verabschiedet. Das ist das Ziel, das wir auch im neuen Papier verfolgen.

DAZ.online: Aktuell promovieren rund 60 Prozent der Medizinstudenten. Wie viele werden es zukünftig sein?

Heilani: Bei einer flächendeckenden Einführung von strukturierten Promotionsprogrammen werden es wohl deutlich weniger sein. Die Hochschulrektorenkonferenz hat eine Zahl von 20 Prozent in den Raum geworfen – es kann durchaus sein, dass sie noch weiter sinkt. Vielleicht auch auf 10 Prozent.

Mit unserer Position haben wir versucht, einen Balanceakt zu schaffen zwischen dem, was realistische Verbesserungen sind, und dem, wie es bisher funktioniert. Das ist nicht immer ganz einfach, aber ich glaube, dass wir es ganz gut geschafft haben. Wenn es umgesetzt werden sollte, wäre das ein großer Erfolg.



Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Nur um das klar zu stellen...

von Tanja Theiss am 12.04.2018 um 11:44 Uhr

Wenn alles kommerzialisiert ist und die Idee des Dienstes aus der Gleichung entfernt wird, spricht nur Geld. Es kommt dann auf das Management an (von der Regierung bis zu den Institutionen selbst), um sicherzustellen, dass das System für alle Beteiligten effizient und effektiv funktioniert. Man sympathisiert mit den Lehrern und mit den Schülern, aber diese Art von Konfrontation ist unvermeidlich, wenn die Hauptfaktoren darin bestehen, den Profit zu maximieren, Gemeinkosten zu minimieren und alles und jedes für Geld auszubeuten https://deutschschreiben.de/. Wer ist verantwortlich für diese Situation: Regierung für die Einrichtung eines korrupten und korrumpierenden Systems.

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