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Zulassungsfreiheit von Defekturarzneimitteln
Apotheker siegt vor dem EuGH gegen Hecht-Pharma
Dass von Apotheken in begrenzter Menge selbst hergestellte Arzneimittel in Deutschland nicht zulassungspflichtig sind, steht im Einklang mit dem EU-Humanarzneimittel-Kodex. Dies entschied am heutigen Mittwoch die gleiche Kammer des Europäsichen Gerichtshofs, die vor einer Woche das weitaus weniger erfreuliche Urteil zur Rx-Preisbindung gesprochen hatte.
Winfried Ertelt, Apotheker aus dem baden-württembergischen Bisingen, kann eine Woche nach dem schwarzen Mittwoch in Luxemburg aufatmen. Er hat sein „Trostpflaster“ für das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur (Nicht-)Preisbindung für ausländische Versandapotheken bekommen. Derselbe Generalanwalt, Maciej Szpunar, hatte in beiden Fällen plädiert und dieselbe Kammer entschieden – erneut im Einklang, aber diesmal im Sinne der deutschen Apotheken.
Doch worum ging es diesmal? Ertelt stellt selbst Weihrauch-Kapseln in seiner Apotheke her und wirbt auch auf verschiedene Art für diese. Er vertreibt sie als Arzneimittel, besitzt jedoch keine arzneimittelrechtliche Zulassung. Die braucht er nach dem Arzneimittelgesetz auch nicht. Denn es handelt sich um Arzneimittel, von denen er nicht mehr als 100 Packungen am Tag herstellt. Im Jahr 2015 gab der Apotheker lediglich 213 Packungen seiner Kapseln ab. Solche Defekturarzneimittel sind von der Zulassungspflicht ausgenommen (§ 21 Abs. 2 AMG).
Der Firma Hecht-Pharma, die Weihrauchkapseln als Nahrungsergänzungsmittel vertreibt, war dieses Vorgehen ein Dorn im Auge. Sie mahnte den Apotheker ab. Er sollte nicht mehr für seine Weihrauchkapseln werben. Das Unternehmen stützte sich dabei auf eine Vorschrift des Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel (EU-Richtlinie 2001/83), die eine generelle Zulassungspflicht für Arzneimittel vorsieht. Wären die Kapseln also doch zulassungspflichtige Arzneimittel, wäre eine Werbung hierfür unzulässig nach dem Heilmittelwerbegesetz und könnte verboten werden. Weil Ertelt nicht nachgab, folgte ein rund fünfjähriger Rechtsstreit. Dieser wurde nun in Luxemburg beendet.
Vorlagefrage des Bundesgerichtshofs
Der Bundesgerichtshof hatte dem EuGH die Frage vorgelegt, ob die in § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG geregelte Ausnahme von der generellen Zulassungspflicht mit dem Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel vereinbar ist. Schon der Generalanwalt hatte in seinen Schlussanträgen dafür plädiert, dass dies so ist. Und auch diesmal ist das Gericht seinen Argumenten gefolgt.
Die Erste Kammer ist mit Szpunar der Meinung, dass die handwerkliche Kleinherstellung von Arzneimitteln in der Apotheke – wie sie aus Sicht der Kammer im gegebenen Fall vorliegt – nicht unter die fragliche Richtlinie fällt. Denn diese erfordert gerade, dass die Humanarzneimittel „entweder gewerblich zubereitet werden oder bei deren Zubereitung ein industrielles Verfahren zur Anwendung kommt“. Die Richter verweisen darauf, dass die zulässige Höchstmenge offizinaler Zubereitungen im Arzneimittelgesetz auf 100 Packungen an einem Tag begrenzt ist. Der Generalanwalt habe in seinen Schlussanträgen bereits ausgeführt, dass diese Obergrenze ausschließe, „dass die Herstellung offizinaler Zubereitungen im Rahmen der in Deutschland bestehenden Regelungen einen Umfang erreicht, der als bedeutend eingestuft und unter den Begriff ‚industrielles Verfahren‘ im Sinne von Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 gefasst werden kann“.
Auch der Arzneimittel-Kodex sieht Ausnahmen vor
Sollte allerdings der Bundesgerichtshof nach den „tatsächlichen Feststellungen“ doch zu der Auffassung gelangen, es liege eine gewerbliche oder industrielle Fertigung vor, müsse er eine weitere Ausnahme prüfen. Denn auch der Humanarzneimittel-Kodex sieht solche vor. So gilt die Richtlinie nicht für „in der Apotheke nach Vorschrift einer Pharmakopöe zubereitete Arzneimittel, die für die unmittelbare Abgabe an die Patienten bestimmt sind, die Kunden dieser Apotheke sind (sogenannte formula officinalis)“ (Art. 3 Nr. 2 RL).
Hier hat der EuGH tatsächlich Zweifel an der Vereinbarkeit der nationalen und der europäischen Ausnahmeregelung. Und zwar, weil die nationale Bestimmung – also § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG – zwar ausdrücklich verlangt, dass ein Arzneimittel in einer Apotheke zubereitet wird, jedoch nicht, dass diese Zubereitung „nach Vorschrift einer Pharmakopöe“ erfolgt.
Doch diese Zweifel ließen sich im Verfahren ausräumen. Die Richter kamen zu dem Schluss, dass die Ausnahmevorschrift im Arzneimittelgesetz in Verbindung mit § 6 Abs. 1 Apothekenbetriebsordnung zu lesen ist. Nach dieser Bestimmung „[müssen] Arzneimittel, die in der Apotheke hergestellt werden, … die nach der pharmazeutischen Wissenschaft erforderliche Qualität aufweisen. Sie sind nach den anerkannten pharmazeutischen Regeln herzustellen und zu prüfen; enthält das Arzneibuch entsprechende Regeln, sind die Arzneimittel nach diesen Regeln herzustellen und zu prüfen“.
Diese beiden Vorschriften zusammen genommen, sind für die Luxemburger Richter plausibel. Ihr Schluss daher: Die fragliche Vorschrift des Arzneimittelkodex zu einer Ausnahme von der Zulassungspflicht, stehe diesen beiden Bestimmungen nicht entgegen, soweit diese die Apotheker der Sache nach verpflichten, bei der Zubereitung von Arzneimitteln in der Apotheke die Pharmakopöe zu beachten. Es obliege jedoch dem vorlegenden Gericht, zu prüfen, ob die Weihrauchkapseln nach Vorschrift einer Pharmakopöe zubereitet wurde.
Die Herstellung von Weihrauch-Arzneimitteln findet sich im Europäischen Arzneibuch. Ob dieses als Pharmakopöe zu werten ist, muss der Bundesgerichtshof allerdings nur dann entscheiden, wenn er nicht schon in einem ersten Schritt wie der EuGH die Anwendbarkeit des Humanarzneimittelkodex ablehnt.
Ein Sieg für die Pharmazie
Apotheker Winfried Ertelt jedenfalls ist jetzt schon glücklich. Nach fünf Jahren Rechtsstreit falle ihm nun ein „Steinbruch von der Seele“, sagte er DAZ.online. Für ihn ist das Urteil gerade nach der Entscheidung der vergangenen Woche eine „pharmazeutische Genugtuung“. Es sei ein „Sieg für die Pharmazie und die Präsenzapotheke vor Ort, die Rezepturen und Defekturen betreiben“.
Dem Apotheker ist klar: Er hätte sich viel erspart, hätte er seine Kapseln gleich als Nahrungsergänzungsmittel vertrieben. Aber das wollte er nicht. Er ist überzeugt von der arzneilichen Wirkung des Weihrauchs und wollte die „altehrwürdige Arzneipflanze nicht verramschen“.
Urteil des Gerichtshofs (Erste Kammer) vom 26. Oktober 2016, Rs. C-276/15
5 Kommentare
Frage
von Lisa Müller am 27.10.2016 um 19:38 Uhr
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AW: Frage
von Kirsten Sucker-Sket am 31.10.2016 um 16:03 Uhr
Urteil Weihrauch
von Susanne Klein am 27.10.2016 um 11:06 Uhr
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Endlich
von norbert brand am 27.10.2016 um 7:53 Uhr
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Urteil
von Frank Ebert am 26.10.2016 um 15:00 Uhr
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