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Wir Apothekers sitzen so richtig tief im Schlamassel: ein desaströses EuGH-Urteil, ein hoffnungsvoller Gesetzentwurf, der allerdings schon torpediert wird, bevor er überhaupt ausformuliert ist. Und was ist, wenn der Plan, den Rx-Versand zu verbieten, abstürzt? Handfeste Vorschläge, wie's weitergehen könnte, kann und will keiner machen. Kein Wunder, das laufende Gutachten zum Apothekerhonorar blockiert alles.
24. Oktober 2016
Immerhin, bei allem Jubel von Wirtschaftsjournalisten, Ökonomen und Versendern: Es gab und gibt viele Stimmen aus der Politik, von Fachleuten und aus anderen Ländern, die das EuGH-Urteil zu Boni und Rabatten als falsch, gefährlich und sogar schädlich für das System halten. Und Verbraucherschützer warnen bereits vor mehr Fake-Apotheken im Internet. Ist ja auch irre: Da hat man ein funktionierendes System, das höchstmögliche Sicherheit, Erreichbarkeit und auch Bequemlichkeit in Gesundheitsfragen bietet: das flächendeckende Netz der Vor-Ort-Apotheken. Und nur weil einige wenige glauben, es müsse alles im Wettbewerb stehen und noch billiger werden, sollen nun auch noch Antidepressiva und Antiepileptika durch die Gegend geschickt werden wie Kleider, Heizlüfter oder Elektrozahnbürsten? Sind doch alles nur Waren? Dass es am Ende dann für den Verbraucher unbequem, gefährlich und vermutlich teurer wird, das will der Mainstream einfach nicht sehen.
Aber es gibt sie, die Politiker, die weiterdenken: Die bayerische Gesundheitsministerin Melanie Huml will über eine Bundesratsinitiative den Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln verbieten. Unterstützt wird sie von Nordrhein-Westfalens Gesundheitsministerin Barbara Steffens und Hessens Gesundheitsminister Stefan Grüttner. Im Lauf der Woche schloss sich auch der CSU-Politiker Reiner Meier der Forderung nach einem Rx-Versandverbot an. Hoffnungsfrohe Ansätze. Österreichs Apothekerkammerpräsident Max Wellan springt uns sogar bei: Der freie Warenverkehr sollte für Waren gelten, aber eben nicht für Arzneimittel. Österreich hatte es von Anfang an verstanden, keinen Rx-Versand zu erlauben – sogar die Sozialdemokratie sieht das in der Alpenrepublik als besser für den Patienten an, damit die wohnortnahe Versorgung erhalten bleibt. Schade, mein liebes Tagebuch, dass die bundesrepublikanischen Sozis den Verbraucher- und Patientenschutz mit Füßen treten.
Die
ABDA setzt auf ein Rx-Versandverbot. Mit ihm würde man das EuGH-Urteil kalt
stellen: Kein Rx-Versand, keine Boni und Rabatte der Versandapos, Problem
gelöst. Das Trio Becker-Kiefer-Schmidt hat am Montag schon mal bei Gröhe
vorgesungen.
25. Oktober 2016
Nächste Woche wird’s spannend: Das EuGH-Urteil soll im Bundestag diskutiert werden. Mein liebes Tagebuch, es wird wieder nett werden, zu verfolgen, ob Politiker zu ihren Sonntagsreden und Lobeshymnen stehen, die sie auf unser Apothekensystem gesungen haben. Die SPD will das Urteil zunächst prüfen und gesetzgeberisch keinen Schnellschuss machen, sagt Edgar Franke, Vorsitzender des Gesundheitsausschusses. Er will den „Wohlfahrtsgewinn“ für chronisch Kranke (vermutlich meint er damit die Boni und Rabatte) gegen die Gefahren für kleine Apotheken abwägen.
Mein liebes Tagebuch, theoretisch könnte Gröhe ein Rx-Versandverbot noch mit ins GKV-Versorgungsstärkungsgesetz nehmen, das derzeit in der Mache ist. Ob er dafür Mehrheiten bekommt, ob der Bundestag mitzieht? Leicht würde es auf keinen Fall. Widerstand kommt vermutlich von der SPD. Und aus der Öffentlichkeit. Die Schlagzeilen in BILD, Handelsblatt und Co. fielen heftig und deftig aus: Minister beschenkt Apotheker, Politik gegen chronisch Kranke, Union macht Lobbypolitik, Schutzzäune für Apotheken. Das müssten Gröhe und seine Partei im Wahljahr erstmal aushalten. Und DocMorris lässt seine Juristen schon mal die Klage gegen ein Rx-Versandverbot vorbereiten.
26. Oktober 2016
Die ABDA startet die Karabinerhaken-Anzeigen in Tageszeitungen. Unter der Überschrift „Sichern!“ fordert sie die Politik zum Handeln auf. „Statt Beratung durch pharmazeutische Experten stehen Preise und Renditen im Vordergrund“, heißt es in der Anzeige, und die Rundumversorgung durch wohnortnahe Apotheken „werde aufs Spiel gesetzt“. Mein liebes Tagebuch, ob die Karabiner-Anzeige so wirklich der Hingucker ist und ob der Leser versteht, was damit gemeint ist?
Saarlands Kammerpräsident Saar sieht weitere Folgen des EuGH-Urteils: Zuzahlungsverzicht, Boni und Rabatte könnten die Patienten zum Ärzte-Hopping bewegen. Eigentlich sollten die Zuzahlungen aber einen steuernden Effekt haben. Patienten sollten sparsam mit Arzneimitteln umgehen. Jetzt könnten zuzahlungsbefreite Versicherte sich erst recht mehr Arzneimittel verschreiben lassen: Für jedes verordnete Arzneimittel bekommen sie von den Versandapos Gutschriften, geldwerte Rezeptboni, die sie mit anderen Waren aus der Versandapotheke verrechnen lassen können. Mein liebes Tagebuch, wie geht es den Krankenkassen bei diesem durchaus realistischen Szenario? Da werden teuerste Arzneimittel für den Müll verordnet und der Patient bekommt dafür von der Versandapotheke bis zu 30 Euro geschenkt. Danke EU!
Zynismus in Reinform ist das Argument des EuGH (das auch Gesundheits- und Berufspolitikern übel aufstößt), Apotheken könnten in ländlichen Regionen ja höhere Preise verlangen. Das könnte sogar Anreize zu einer Niederlassung in ländlichen Regionen schaffen, so der EuGH. Die Landapotheken sollen also ihre Patienten abzocken? Und die Landbevölkerung soll ihre Apotheken teuer bezahlen? Schwachsinn, das geht nicht gut.
27. Oktober 2016
Die Marschrichtung der ABDA steht fest: ein Rx-Versandverbot muss her. Das liegt ja auch auf der Hand. Wenn verschreibungspflichtige Arzneimittel nicht mehr versandt werden, platzen die Boni der Versender. Aus die Maus. Das ist die Lösung. Schmeckt wie Zuckerwatte und liegt in greifbarer Nähe. Schon der EuGH machte 2003 darauf aufmerksam, dass ein EU-Mitgliedstaat den (grenzüberschreitenden) Versandhandel mit Rx verbieten kann. Selbst der Generalanwalt meint im aktuellen EuGH-Urteil, dass man ein Versandhandelsverbot befürworten kann. Ein Verbot würde die Inländerdiskriminierung beenden. Für ein Verbot spricht auch, dass der Rx-Versand nur in sieben von 28 EU-Ländern erlaubt ist. So ein Versandhandelsverbot könnte man noch im laufenden Gesetzgebungsverfahren unterbringen. Und politisch gibt es Chancen. Aber ganz so leicht, wie es sich anfühlt, ist es nicht zu bekommen. Es gibt auch politischen Widerstand, die SPD ist so ein Kandidat. Selbst in der Union sind noch längst nicht alle auf Linie gebracht. Die ausländischen Versender bringen sich in Stellung und setzen vermutlich schon jetzt ihre Juristenarmada darauf an, das Versandverbot zu attackieren. Die Öffentlichkeit wird gegen Gröhe und die Apotheker schießen. Auch unsere lieben Krankenkassen machen einen auf Pseudo-Fortschritt und können keinen Grund erkennen, warum der Rx-Versandhandel verboten werden sollte. Aber, mein liebes Tagebuch, die Widrigkeiten sollen uns mal nicht abschrecken. Ganz abgesehen davon: Gäbe es denn eine andere Chance?
Dass das EuGH-Urteil bis in die aktuelle Berufspolitik ausstrahlt, hätte man nicht gedacht. Tut es aber. Mein liebes Tagebuch, Kammerpräsident Kai-Peter Siemsen überraschte uns mit der Ankündigung, dass er bei der Wahl zum ABDA-Präsidenten „schweren Herzens“ nicht kandidieren werde. Schade, allein die Tatsache, aus zwei Kandidaten auswählen zu können, verströmte einen Hauch Meinungsvielfalt und gelebte Demokratie. Vorbei. Es sei kein Rückzieher, so Siemsen, aber nach langem Abwägen möchte er die geschlossene Front der berufsständigen ABDA-Vertreter erhalten, die Kräfte werden zur Abwehr des neoliberalen Angriffs benötigt. Kann man so sehen, muss man nicht. Auf jeden Fall, wir respektieren die Entscheidung.
Manchmal kommt auch Gutes vom EuGH: Wenn ein Apotheker Arzneimittel nur in begrenzter Menge (nicht mehr als 100) selbst hergestellt, dann sind sie in Deutschland nicht zulassungspflichtig, entschied der EuGH. Solche Arzneimittel fallen nicht unter die generelle Zulassungspflicht, die der Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel der EU vorsieht. Ein baden-württembergischer Apotheker hatte gegen einen Hersteller geklagt, der ihm die Herstellung eines Defekturarzneimittels untersagen wollte.
28. Oktober 2016
Wäre ein schönes Ende diese Woche gewesen: Bundesgesundheitsminister Gröhe will den Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln in Deutschland verbieten. Er hat seine Experten beauftragt, ein entsprechendes Gesetz vorzubereiten. Mein liebes Tagebuch, da hat sich das B’süchle des ABDA-Trio beim Minister doch gelohnt. Gemach, frohlocken wir nicht zu früh. Poltergeist Karl Lauterbach schnürt seine Fliege enger und krächzt ein Nein zu Gröhes Versandverbot. Er möchte lieber die Beratungsleistung der Apotheker besser vergüten, sagt er, will aber keine Schnellschüsse vor dem Hintergrund des laufenden Gutachtens zum Apothekenhonorar. Ähnlich Hilde, die Wilde. Frau Mattheis möchte erst mal Alternativen zum Versandverbot prüfen. Wackelt der Gesetzentwurf, bevor er geschrieben wurde?
Unterdessen gibt es auch andere Überlegungen, wie dem Spuk des Rx-Versands beizukommen wäre. Ein Ansatz könnte im Arzneimittelrahmenvertrag zwischen dem Deutschen Apothekerverband und dem GKV-Spitzenverband liegen, meint das Haus Kohlpharma mit der Kooperation Avie. Gemäß diesem Vertrag wäre die Rabatt- oder Boni-Gewährung ein Verstoß gegen den Vertrag. Er stellt nämlich fest, dass die deutschen Preisregelungen auch für ausländische Versender gelten, wenn sie Arzneimittel nach Deutschland liefern. Auch die Kölner Rechtsanwältin Sabine Wesser geht davon aus, dass ausländische Versender, die dem Rahmenvertrag beigetreten sind, sich an die Preisbindung halten müssen, da Mitgliedstaaten ihre Systeme der sozialen Sicherheit trotz EuGH-Urteil selbst ausgestalten dürften. Allerdings: Verträge lassen sich schneller ändern als Gesetze. DocMorris plant bereits, Verträge mit Kassen abzuschließen, die Kassen wollen an den DocMorris-Rabatten partizipieren.
Und gibt es bei der ABDA auch Plan C und D? Und wie geht’s weiter, wenn alles schief geht?
29. Oktober 2016
Mein liebes Tagebuch, wie vorhergesehen: Gröhe wird für seinen Vorstoß, den Rx-Arzneimittelversand zu verbieten, von den Medien attackiert. Die FAZ titelt: „Gröhe knickt ein“ (fehlt da nicht das Wort „nicht“?). Das Blatt meint: „Nur eine Woche haben die Apotheker gebraucht, um Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) auf Linie zu bringen.“ Die FAZ glaubt, Gröhe knicke „vor der Kampagnenmacht der Apotheker im Wahljahr 2017 ein“. Huhu, liebe FAZ, meinst du das im Ernst? Mein Tagebuch kringelt sich schon. Kampagnenmacht und Apotheker! Kennt die FAZ die ABDA nicht? Nun ja, das kann man noch lustig finden, aber wenn das Blatt dann schreibt: „Wohl selten hat eine Gruppe so schnell ihre wirtschaftlichen Schutzinteressen zu Lasten Dritter durchgedrückt“, dann ist das der typische wirtschaftsliberale Sprech. Liebe FAZ, es geht hier wirklich um den Patienten, um seine schnelle Versorgung, zu gleichen fairen Preisen, in jedem Winkel der Republik. Ist das so schwer zu verstehen?
14 Kommentare
Geld als Motor für Apothekenbashing
von Karl Friedrich Müller am 31.10.2016 um 9:52 Uhr
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Lösungen sind nicht gewollt.
von Christian Timme am 31.10.2016 um 4:57 Uhr
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Guten Morgen, meine Lieben !
von gabriela aures am 30.10.2016 um 11:07 Uhr
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AW: Guten Morgen, meine Lieben
von gabriela aures am 30.10.2016 um 11:09 Uhr
Guten Morgen
von Dr. Christian Meisen am 30.10.2016 um 10:21 Uhr
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alles scheinheilig
von Karl Friedrich Müller am 30.10.2016 um 10:17 Uhr
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Werte Kollegen,
von Christiane Patzelt am 30.10.2016 um 9:41 Uhr
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Rx-Versand meistens verboten
von Peter Ditzel am 30.10.2016 um 9:31 Uhr
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7, 21, 28? wes gegen diz?
von Christian Timme am 30.10.2016 um 9:06 Uhr
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AW: 7, 21, 28? wes gegen diz
von Peter Ditzel am 30.10.2016 um 9:25 Uhr
Neue Blickwinkel sind gefragt...
von Ulrich Ströh am 30.10.2016 um 8:54 Uhr
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Urteil
von Frank Ebert am 30.10.2016 um 8:38 Uhr
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RX
von Anita Peter am 30.10.2016 um 8:35 Uhr
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Tagebuch
von Michael Zeimke am 30.10.2016 um 8:27 Uhr
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