Apotheker von Sanicare

Versandapotheker wollen „verfassungsmäßige Rechte“ einfordern

Bad Laer - 01.11.2016, 08:00 Uhr

Unsichere Zeiten: Die Nachwehen des EuGH-Urteils bergen für Vor-Ort-Apotheken wie auch Versandapotheken viel Zündstoff. (Foto: Sanicare)

Unsichere Zeiten: Die Nachwehen des EuGH-Urteils bergen für Vor-Ort-Apotheken wie auch Versandapotheken viel Zündstoff. (Foto: Sanicare)


Das von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe geplante Rx-Versandverbot würde die Rechte von Arzneimittel-Versendern verfassungswidrig einschränken, erklärt der leitende Apotheker von Sanicare, Heinrich Meyer. Er betont gegenüber DAZ.online, dass auch Versandapotheken den Versorgungsauftrag erfüllen – und widerspricht dem Vorwurf der Rosinenpickerei.

Das EuGH-Urteil zu Rx-Boni birgt für deutsche Versandapotheken die Chance, über bislang verbotene Rabatte Kunden zu werben. Doch sie müssten klagen, denn die Entscheidung wirkt sich nur auf ausländische Apotheken aus – inländische werden nach Ansicht des Bundesverbands Deutscher Versandapotheken (BVDVA) diskriminiert. Heinrich Meyer, Leitender Apotheker der Versandapotheke Sanicare und stellvertretender BVDVA-Vorstand erklärt gegenüber DAZ.online die Optionen, die von den Arzneimittelversendern derzeit geprüft werden – und wehrt sich gegen Vorwürfe seiner stationären Kollegen.

DAZ.online: Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe will per Gesetz den Rx-Versand verbieten. Wie bewerten Sie den Plan, Herr Meyer?

Heinrich Meyer: Wir würden uns in der Ausübung unserer Berufsfreiheit als stark eingeschränkt betrachten. Wenn das Rx-Versandverbot tatsächlich kommt, werden wir hiergegen klagen, um unsere verfassungsmäßigen Rechte einzufordern. Für uns ist auch die Inländerdiskriminierung, die das EuGH-Urteil mit sich bringt, eine sehr unglückliche Situation – und wir würden bevorzugen, dass der Gesetzgeber aktiv wird, um diese aufzuheben.

(Foto: Sanicare)
Heinrich Meyer, Leitender Apotheker von Sanicare und Vizevorstand des BVDVA

DAZ.online: Was treibt den Minister aus Ihrer Sicht?

Meyer: Herr Gröhe hat sich ja doch sehr kurzfristig zu einer Reaktion verleiten lassen, das überrascht ein bisschen. Ich weiß nicht, welche Absicht er verfolgt – unklar ist auch, ob er eine Mehrheit zustande bekommen kann. Man sieht ja, dass sich die beiden Koalitionspartner in diesem Thema offensichtlich uneinig sind. Ich weiß nicht, ob das so klug durchdacht ist – wir haben an anderer Stelle wie zum Beispiel dem Betreuungsgeld erlebt, dass solche Gesetze relativ schnell kassiert werden. Es erscheint relativ unwahrscheinlich, dass ein derartiges Verbot verfassungskonform umsetzbar ist: Nicht nur das deutsche Grundgesetz steht dagegen, sondern möglicherweise werden auch die europäischen Verträge verletzt. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Ankündigung dazu dient, zunächst ein bisschen die Wogen zu glätten.

DAZ.online: Die Versandapotheke APONEO hat angekündigt, rechtlich gegen die Inländerdiskriminierung vorzugehen – womöglich indem sie Rabatte gewähren und sich verklagen lassen. Planen Sie dies auch?

Meyer: Natürlich prüfen wir die Optionen, die uns zur Verfügung stehen, aber es ist nicht so, dass wir jetzt einfach einen Bonus gewähren und gucken, was passiert. Unsere Aufsicht – die Apothekerkammer Niedersachsen – hat bereits erklärt, gegen ein solches rechtswidriges Verhalten vorzugehen. Eine derartige Verfügung der Apothekerkammer könnten wir dann dem Verwaltungsgericht vorlegen, um die gesetzliche Regelung im Lichte dieser neuen EuGH-Rechtsprechung überprüfen zu lassen. Eine andere Möglichkeit wäre möglicherweise ein Normenkontrollverfahren um die Vereinbarkeit der hierzulande gültigen gesetzlichen Regelungen mit den europäischen Bestimmungen zu überprüfen. Aber das ist vermutlich nicht der Weg, den wir wählen, da er sehr langwierig und insofern aus unserer Sicht nicht sehr hilfreich ist. Wir würden ein politisches Eingreifen bevorzugen.

Versandapotheker erfüllen ihren Versorgungsauftrag

DAZ.online: Wie sollte die deutsche Politik Ihrer Ansicht nach auf das EuGH-Urteil reagieren?

Meyer: Aus unserer Sicht wäre es konstruktiver, wenn man hier eine Anpassung der Gesetzgebung vornehmen würde, die stärkeren Wettbewerb erlauben würde aber dennoch Grenzen setzt. Eine Höchstpreisverordnung wäre aus unserer Sicht ein geeignetes Mittel, um mehr Wettbewerb zu ermöglichen ohne völlig ungeordnete Verhältnisse herzustellen.

Ich meine, dass es auch wichtig ist, die Meinung des Verbrauchers zu berücksichtigten: Er schätzt den Versandhandel – und ist letztlich der Souverän in der Demokratie.

DAZ.online: Gleichzeitig ist Verbrauchern aber auch die Arzneimittelversorgung vor Ort sehr wichtig. Stimmt es nicht, dass Versandapotheken aufgrund vergleichsweise geringer Betriebskosten sehr große Wettbewerbsvorteile haben?

Meyer: Es wird den Versandapotheken vielfach Rosinenpickerei vorgeworfen. Als deutsche Apotheke beteiligen wir uns aber am Notdienst, wir geben Betäubungsmittel ab und fertigen Rezepturen an. Der Notdienstfonds hilft in Regionen mit schwachen Strukturen. Tatsächlich fallen auch Kosten in den Versandapotheken an, die in der normalen Apotheke nicht anfallen, wie allein schon die Versandgebühren. Aber es ist auch so, dass die systematische Abwicklung durchaus Vorteile haben kann – sowohl bei den Kosten als auch einer gleichbleibenden hohen Qualität. Insgesamt ist es ein Schreckensbild, dass der Versandhandel die Arzneimittelversorgung in der Fläche gefährdet.

Es wird ja vielfach geschrieben, dass sich die Versandapotheker nur auf die Hochpreiser stürzen. Wir erleben das Gegenteil, nämlich Anfragen von Kunden, deren Apotheke vor Ort diese nicht zur Verfügung stellen kann oder will. Es kommt durchaus vor, dass niedergelassene Apotheker sich es nicht antun wollen, beispielsweise Sovaldi abzugeben – dem Retaxrisiko wollen sich einige Kollegen nicht aussetzen. Das schmerzt dann schon, wenn man lesen muss, dass wir Rosinen picken würden – das kann ich so nicht erkennen. Wir erfüllen unseren Versorgungsauftrag.

DAZ.online: Die SPD schlägt als Ausweg vor, die Honorierung von Apothekern grundsätzlich zu reformieren.

Meyer: Ich halte es auch für sinnvoll, darüber nachzudenken und neue Komponenten der Vergütung herzustellen. Die leistungsgerechtere Vergütung ist ein Thema, das von mehreren Experten schon seit längerem gefordert wird. Besondere Leistungen bedürfen auch gesonderter Bezahlung. Um nur ein aktuelles Beispiel aufzugreifen, bin ich der Überzeugung, dass wir eine Vergütung für Beratungsleistungen zur Steigerung der Arzneimitteltherapiesicherheit benötigen. Die Einzelfallbetrachtung erfordert den pharmazeutischen Sachverstand und ist aufwändig, stiftet aber vielfach einen durch die Betroffenen direkt spürbaren Nutzen durch eine Verringerung der unerwünschten Arzneimittelwirkungen. Da sich dies häufig durch eine Reduktion der eingesetzten Arzneimittel äußert, profitieren wirtschaftlich davon derzeit in erster Linie die Kostenträger.



Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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5 Kommentare

So ein..

von Stefan Haydn am 02.11.2016 um 14:28 Uhr

dummes Geschwätz. "Tatsächlich fallen auch Kosten in den Versandapotheken an, die in der normalen Apotheke nicht anfallen, wie allein schon die Versandgebühren"

Komischerweise kann man aber ab einer gewissen Bestellsumme oder dem Erwerb von RX-Arzneimitteln darauf verzichten. Ich würde dies Argument als den berühmten Schuß ins Knie bezeichnen.

Wenn aber RX nur zur Porto-Deckung gebraucht wird, dann können doch die Kollegen im Versand gerne auch auf diesen eh nur marginalen Anteil verzichten und sich so vielleicht sogar noch lästige Konkurrenz aus dem Ausland vom Leibe halten.

Schon mal daran gedacht liebe Versender?

Wenn man die Situation nämlich ganz nüchtern betrachtet, könnt auch ihr nur gegen die Versandhändler aus dem Ausland verlieren. Oder habt ihr keine gesetzlich gedeckelten Einkaufsrabatte?
DocMo und Konsorten werden euch schon gerne zeigen, wer den längeren Atem hat.
Und wenn eure Offizin den Bach runter gehen sollte, ist auch mit Versand nichts zu wollen, da ohne stationäre Apotheke auch kein Versand!

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Höchstpreisverordnung

von Dr. Jürgen Leikert am 01.11.2016 um 20:02 Uhr

Oh je, ein Versandapotheker ist die Rettung für unsere Patienten und unser Gesundheitssystem :-)
Eine Höchstpreisverordnung würde ich auch gerichtlich anfechten. Wäre ja selbst laut dem EuGH-Urteil nicht erwünscht, da dadurch die Apotheken auf dem Land keinen Vorteil hätten.
Generell muss man auch überlegen, warum für die Rezeptausstellung in Deutschland die physische Anwesenheit des Patienten beim Arzt erforderlich ist, für die pharmazeutische Beratung des Apothekers aber nicht?

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Höchstpreisverordnung

von Dr. Heiko Walther am 01.11.2016 um 10:22 Uhr

Gegen eine Höchstpreisverordnung würde ich als Landapotheker klagen. Es war das Hauptargument des EUGH die Preisbindung aufzuheben. Landapotheker sollten höhere Preise verlangen dürfen. Dies ist zwar maximal unsozial aber marktwirtschaftlich in Ordnung. Es scheint im Moment ausser dem Versandverbot, welches nicht mehrheitsfähig ist, keine wirklich innovativen Ideen zu geben.
Wie wäre es mit einer Gebührenordnung für Apotheken? Vorbild die der Ärzte. Jeder Patient sucht sich seine Stammapotheke (die kann auch in Rumänien liegen) selbst aus. Diese muss dann aber auch ein Quartal diesen Versicherten versorgen. BTM, Rezepturen zu verweigern führt zum Ausschluss (DM kann auch von Holland aus alle Patienten mit BTM versorgen. Früh losfahren dann kommt man überall hin).
Die Alternative wäre die Preisbindung komplett aufzuheben.

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PS

von Karl Friedrich Müller am 01.11.2016 um 8:42 Uhr

Der Bürger hat auch "verfassungsgemäße Rechte".
Die sollten über dem Recht stehen, egoistisch und hemmungslos Kohle zu scheffeln.
Wir Apotheker haben eine Verantwortung, verdammt. Wie jeder im Gesundheitswesen.

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Entschuldigung

von Karl Friedrich Müller am 01.11.2016 um 8:38 Uhr

Hirn einschalten? Wollen Sie ernsthaft weniger verdienen? Ausbaden werden es die Mitarbeiter.
Eine ehemals große Versandapotheke Deutschlands hat bis zuletzt gebettelt und prozessiert, 5 € Rabatt für Rx geben zu dürfen. Nach dem Tod des Inhabers stellte sich raus, dass mehrere Hundert Millionen Schulden aufgelaufen waren.
DocMorris hat noch NIE Gewinn gemacht.
Sie haben Ihren Betrieb in Deutschland. Da wäre doch mal Solidarität mit den deutschen Kollegen angesagt!
Man könnte doch eher mal überlegen, wie man die Kuh vom Eis bringt, statt sie weiter reinzureiten!
So langsam geht mir die Geduld mit diesen hohlköpfigen Egoisten aus!
Aus dem Gesundheitswesen müssen die Kapitalgesellschaften entfernt werden. Das Gesundheitswesen ist eine Sache des Staates und nicht des Monitoren Wettbewerbs!
Die Versorgung wird sonst immer schlechter. Wenig Krankenhäuser, die nur noch anbieten, was Geld bringt. Die Schwangere kann dafür 100 km fahren.
Die AM nur noch im Internet, ohne Beratung. Der Doc nur noch per Video.
Der Versandhandel mit Rx muss verboten sein, diese Reaktion zeigt es um so mehr!

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