- DAZ.online
- News
- Debatte & Meinung
- Mein liebes Tagebuch
Lauterbachs Gewächshaus: Wenn kleine Pflänzlein mit SPD-Hilfe zu Schlingpflanzen werden. Starkes Stück: Wie Nordrheins Hausärzte kuschelig für DocMorris werben. Sanftere Töne: Versandhandel nicht verbieten, sondern nur einschränken! Mehr Licht: Siemsen zum ABDA-Geld. Und endlich weniger Retax. Geschafft!
14. November 2016
Vermutlich ist Gärtnern sein heimliches Hobby. SPD-Fraktionsvize Karl Lauterbach hat sein Herz für kleine Pflänzlein entdeckt. Der Versandhandel aus dem Ausland nach Deutschland ist in seinen Augen so ein kleines schützenswertes Gewächs. Und Karlchen weiß, wie man mit kleinen Pflänzlein umgeht: Man sollte sie nicht erdrücken. Der Mann, der vermutlich auch mit Fliege gärtnert, möchte partout den Rx-Versandhandel erhalten. Die vom EuGH erlaubten Boni seien sogar eine Chance! Ach was? Deutsche Versandapos sollten auch Boni geben dürfen. Die Beratung in Vor-Ort-Apotheken lässt er übrigens auch nicht gelten: Beratung sei bei Chronikern oft gar nicht notwendig. Mein liebes Tagebuch, ob Karlchen das alles zu Ende gedacht hat? Ob er weiß, dass seine kleinen Pflänzlein in Wirklichkeit Schlingpflanzen sind? Das sollte er wissen: Die wirklich schützenswerten Gewächse sind nämlich unsere kleinen Vor-Ort-Apotheken in Stadtteilen, auf dem Land, in der Pampa. Und auf denen trampelt Gärtner Karl gerade herum.
Während sich SPD-Fraktionsvize Karl Lauterbach also mächtig gegen ein Rx-Versandverbot stemmt, kann man mit der SPD-Gesundheitsexpertin Sabine Dittmar immerhin noch reden. Sie möchte erstmal „alle Optionen prüfen“, bevor sie sich festlegt, sagt sie im DAZ-Interview. Dazu könnte eine Umstrukturierung des Apothekerhonorars gehören, oder man könnte allen Apotheken erlauben, Boni zu geben. An ein umsetzbares Rx-Versandverbot glaubt sie nicht. Im Gegensatz zum CDU-Gesundheitsexperten Michael Hennrich: Das Verbot ist erstmal die beste Lösung, ist er überzeugt. Und auch davon, dass es machbar und rechtssicher wäre. Dittmar ist da eher skeptisch und appelliert an die Kreativität der ABDA: Wo sind neue Ideen zur Weiterentwicklung? Von was?
Mein liebes Tagebuch, das Rx-Versandverbot kommt, es kommt nicht, es kommt, es… – man kann noch monatelang darüber streiten, was möglich ist oder nicht. Es sollte jetzt etwas passieren, und zwar ganz schnell. Mit jedem Tag mehr, an dem die Versender ihre Boni unters Volk streuen und Patienten damit ködern, etabliert sich dieses System. Seien wir mal ehrlich: Ein Zurück wird immer schwieriger. Die Hoffnung auf ein Rx-Versandverbot wird von Tag zu Tag kleiner, vor allem wenn Dittmar sagt: „Aus unserer Sicht wäre es wichtig, das Honorarsystem als Ganzes zu betrachten und zu hinterfragen.“ Der Apotheker sollte stärker als Heilberufler anerkannt werden und nicht nur als Verkäufer, ist sie überzeugt. Im Prinzip richtig, mein liebes Tagebuch, doch bis das gesamte Honorarsystem der Apotheke durchdacht ist, das Gutachten des Bundeswirtschaftsministeriums vorliegt, vergehen ein, zwei Jahre. Mindestens. Kleine Apotheken halten das nicht aus.
SPD-Politikerin Dittmar fordert mehr Kreativität von den Apothekern: Wo sind die Alternativen zum Rx-Versandverbot? Mein liebes Tagebuch, man kann in der Tat darüber streiten, ob es die richtige Taktik ist, nur auf ein Rx-Versandverbot zu setzen. Sucht der Thinktank der ABDA – so es ihn gibt – nach Alternativen? Wäre es sinnvoll, ein eigenes Gutachten in Auftrag zu geben, als Alternative zum Gutachten des Wirtschaftsministeriums? Angenommen, wir Apothekers dürften ein blankes Papier nehmen, um ein neues, realistisches Honorarsystem im heutigen Marktszenario zu skizzieren: Wie sähe das dann aus?
Mein liebes Tagebuch, wie wär’s damit: Die CDU/CSU hat zugestimmt, dass der SPD-Politiker Frank-Walter Steinmeier zum Bundeskanzler nominiert wird. Dafür könnte die SPD doch auch der CDU/CSU einen Gefallen tun – und das Rx-Versandverbot durchwinken.
15. November 2016
Mein liebes Tagebuch, wenigstens kleine Lichtblicke gibt es: Vielleicht schafft es der Bundesrat noch, dem Bundestag ein paar kleine Änderungen zum Arzneimittel-Versorgungsstärkungsgesetz zu empfehlen, die dann ins Gesetz miteinfließen könnten. Zum Beispiel: dass Apothekenverträge mit den Krankenkassen auch Leistungen enthalten können, die zusätzlich zur Packungsabgabe erbracht und honoriert werden. Und die Importförderklausel könnte komplett abgeschafft werden, sie ist überflüssig. Der Gesundheitsausschuss der Länderkammer hat solche konkreten Vorschläge erarbeitet, der Bundesrat übernimmt diese Empfehlungen in aller Regel. Und dann müsste sich noch die Regierung dafür stark machen und sie ins Gesetz einarbeiten. Lichtblicke.
Was ficht den Hausärzteverband Nordrhein an, bei einer Aufklärungskampagne zur Grippeimpfung ausgerechnet mit der ausländischen Versandapotheke DocMorris zusammenzuarbeiten und nicht mit der Apothekerkammer oder dem Apothekerverband Nordrhein? Vielleicht deshalb, weil Kammer oder Verband keine Kampagne machen und nicht auf den Hausärzteverband zugegangen sind, könnte man ketzerisch fragen. Quatsch. Vermutlich haben sich die Hausärzte von DocMorris belämmern lassen – ohne groß nachzudenken. Und wenn man die Hausärzte fragt, was der Versender von den Niederlanden aus denn so Tolles leistet bei dieser Kampagne, kommt nicht viel. Na ja, er verschickt Infobroschüren. Mein liebes Tagebuch: Lächerlich! Was ist das denn für eine „Aufklärungskampagne“ zur Grippeimpfung. Dafür, dass DocMorris ein paar läppische Flyer an die nordrheinischen Haushalte verschickt, rühren die Hausärzte die Werbetrommel und geben DocMorris eine Werbe-Plattform. Und das jetzt, vor dem Hintergrund des EuGH-Urteils. Schon stark, oder? Ein Affront für die deutschen Vor-Ort-Apotheken! Mein liebes Tagebuch, klemmt’s an den guten Beziehungen zwischen Hausärzten und Kammer-/Verbands-Apothekern in Nordrhein? Vielleicht sollten Kammer und Verband den Hausärzten noch rasch einen Flyer zur Grippeimpfung anbieten. So etwas ist heute über Nacht erstellt und gedruckt.
Geschafft. Wenigstens das! Der Retax-Kompromiss zwischen dem Deutschen Apothekerverband und dem GKV-Spitzenverband in Sachen Null-Retaxationen gilt rückwirkend ab dem 23. Juli 2015. Darauf haben sich die beiden Verbände vor der Schiedsstelle geeinigt. Das bedeutet, dass Krankenkassen rückwirkend bis zu diesem Datum die Apotheken nicht mehr wegen unbedeutender Formfehler retaxieren dürfen. Mein liebes Tagebuch, endlich! Ein kleiner Fortschritt.
„Die Apotheker wollen den Versandhandel mit Arzneimitteln verbieten“ – für den einfachen Mann auf der Straße kamen die Apothekeraktionen der letzten Tage so rüber. Mit dem Zusatz „Rx“ können die meisten eh nichts anfangen und der Zusatz, dass das Verbot für „verschreibungspflichtige Arzneimittel“ gelten soll, wird überlesen. Verbot ist Verbot. Und Verbote im Internet und Onlinehandel kommen immer schlecht an. Mit dem Insiderbegriff des Rx-Verbots zu arbeiten, wenn man die Öffentlichkeit erreichen will, ist kontraproduktiv. Mein liebes Tagebuch, der bayerische Apotheker Dieter Kaufmann regte an, die Wortwahl zu wechseln, weg vom „Rx-Versandverbot“ (was eh kaum ein normaler Bürger sofort versteht) und lieber von einer Beschränkung des Versandhandels auf OTC, also auf rezeptfreie Arzneimittel sprechen. Es käme aufs Gleiche raus, klingt aber liberaler, offener: verboten wird da erst mal nix. Nur ein bisschen eingeschränkt, der Sicherheit wegen. Für die Öffentlichkeit und die neoliberalen SPD-Politiker wäre das wohl eine bessere Strategie gewesen. Es kommt aufs „Wording“ an.
16. November 2016
„Lauterbach ist an dieser Stelle feige“, meint die niedersächsische Kammerpräsidentin Magdalene Linz. Zum einen sagte er, Hartz-IV-Empfänger sollten sich mithilfe von Rx-Boni ein bisschen was dazu verdienen – was so gar nicht zum sonst gepredigten solidarischen Verhalten in der GKV passt –, zum andern verweigert sich Lauterbach dem Gespräch mit Apothekern. Mein liebes Tagebuch, Recht hat sie. Und sie ist auch der Meinung, wir sollten nach außen nicht von einem „Versandverbot“ sprechen, ein unpopuläres Wort. Ja, und dann kritisiert sie noch die Postkartenaktion der ABDA: Postkarten mit aufgedruckten politischen Botschaften an Bundestagsabgeordnete. Mein liebes Tagebuch, auch richtig: Gedruckte Postkarten sind billig, besser wäre, wenn Apotheker persönliche Briefe schreiben.
Vielleicht denkt die ABDA ja auch noch mal über ihre geplante Unterschriftenaktion nach: Apotheken sollen ihren Kunden eine Unterschrift abringen, mit der diese sich zur Arbeit der inhabergeführten Apotheke vor Ort bekennen. Also nichts zum EuGH-Urteil, nichts zum Rx-Versandverbot. Kann man machen. Ob man mit Unterschriftenaktionen generell etwas erreichen kann? Es lief schon mal eine Unterschriftenaktion schief. In den letzten Tagen hört man auch schon mal das Gerücht, dass die Aktion doch noch abgeblasen wird. Vielleicht der bessere Weg.
17. November 2016
In diesen grauen Novembertagen kommt die bunte Auflockerung durch den Chef-Hausarzt Ulrich Weigeldt gerade recht. Er warnte vor den unleserlichen Eintragungen der Apotheker auf dem Medikationsplan. Ha ha ha, mein liebes Tagebuch, unleserliche Eintragungen durch Apotheker! Sagt ein Hausarzt! Dabei ist doch der ganzen Welt klar, dass die Arztschrift per se und schon legendär unleserlich ist. Alle Apotheker, die noch handschriftlich ausgestellte Rezepte der Ärzte kennen, wissen es: Früher standen Patienten ehrfürchtig dem Apotheker gegenüber, weil er die Krakelschrift des Arztes entziffern konnte. Mein liebes Tagebuch, nein, Weigeldt meint eigentlich auch nicht nur die Apothekerhandschrift. Eigentlich kritisiert er, dass es den Plan nur in Papierform gibt und dass seine Kollegen und Apotheker handschriftlich Ergänzungen vornehmen dürfen – eine Quelle für Fehler und Unklarheiten. Wo er Recht hat, hat er Recht. Worauf es Weigeldt aber ganz besonders ankommt: Erstellung und Aktualisierung des Medikationsplans liegt in den Händen der Hausärzte. Mein liebes Tagebuch, da hat Herr Weigeldt nicht so Recht, er wird sich umstellen müssen, wenn er elektronisch daherkommt, der Medikationsplan. Dann soll auch der Apotheker aktualisieren dürfen – und vielleicht auch erstellen?
Apropos Medikationsplan. Seit 1. Oktober haben Patienten, die drei oder mehr Arzneimittel länger als 28 Tage einnehmen, Anspruch auf einen Medikationsplan. Haben Ärzte solche Pläne bereits ausgestellt? Wurden eigentlich schon mal Medikationspläne in Apotheken zur Aktualisierung vorgelegt? Mein liebes Tagebuch, man hört so gar nichts mehr aus der Praxis darüber.
18. November 2016
Er bringt Licht in die ABDA-Finanzen: Hamburgs Kammerpräsident Kai-Peter Siemsen, zugleich Vorsitzender des ABDA-Haushaltsausschusses, sprach auf Einladung der Kammer Schleswig-Holstein vor deren Kammerversammlung: „Wo bleibt in der ABDA unser Geld?“. Gute Frage. Mein liebes Tagebuch, diese Frage stellen sich nicht nur die Schleswig-Holsteiner. Immerhin beträgt der ABDA-Haushalt gut 17 Mio. Euro, knapp die Hälfte davon geht für Personalkosten raus. Siemsen weiß nicht, ob so viele Kosten gerechtfertigt sind, wie er einräumt. Es sei nicht transparent, was alle Mitarbeiter machen und ob dies alles nötig sei. Beim Controlling hapert es sichtlich noch. Und ja, das schöne Berliner Apothekerhaus in der Jägerstraße, das zurzeit einsam und verlassen herumsteht, ist mit 19,7 Mio. Euro der größte Posten im ABDA-Vermögen. Für 6 Mio. wurde es saniert, seitdem wartet es auf einen neuen Käufer. Das Versteigerungsverfahren sei angelaufen. Ach ja, das Haus verfolgt uns.
Genau das ist es: Apothekerin Ines Eder aus Braunschweig schreibt alle 630 Bundestagsabgeordnete persönlich an, um sich für ein Versandverbot von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln stark zu machen. Per E-Mail schickt sie allen einen Brief, in dem sie ausführt, wie wichtig die Preisbindung bei Rx-Arzneimitteln sei. Um den Aufwand überschaubar zu halten, nimmt sie dafür weitgehend denselben Text, für einige Politiker allerdings ändert sie den Text noch ab und geht auf besondere Äußerungen dieser Politiker ein. Von Politikern aller Parteien erhielt sie Antwort. CDU/CSU-Abgeordnete sind pro Apotheke, SPD-Abgeordneten wollen zwar auch die Apotheke vor Ort, aber die Versender nicht benachteiligen. Mein liebes Tagebuch, stell dir vor, das würden noch andere Apothekerinnen und Apotheker machen! Persönliche E-Mails! Es würde zeigen, dass wir es wirklich ernst meinen.
----------------------------------------------------------------------------------------------------
* In einer früheren Version des Artikels hatte es geheißen, dass die Grünen nicht auf den Brief der Apothekerin Ines Eder geantwortet haben. Das ist nicht korrekt. Die Grünen haben der Apothekerin inzwischen geantwortet. Wir bitten dies zu entschuldigen. Die Redaktion.
8 Kommentare
Tagebuch
von Heiko Barz am 21.11.2016 um 12:13 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten
Thinktank
von Christian Giese am 20.11.2016 um 14:29 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten
Finger weg von Unterschriftsaktionen....
von Ulrich Ströh am 20.11.2016 um 14:12 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten
Kammerversammlung in Nordrhein
von Veit Eck am 20.11.2016 um 11:51 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort
AW: Kammerversammlung in Nordrhein
von Bernd Jas am 20.11.2016 um 19:08 Uhr
scheinheilg
von Karl Friedrich Müller am 20.11.2016 um 11:08 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten
Schachoperation am offenen Parlament
von Bernd Jas am 20.11.2016 um 10:15 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort
AW: soweit geht's dann doch nicht
von Peter Ditzel am 20.11.2016 um 10:29 Uhr
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.