Mittelstand im Pharmaland: Bene

Aus Münchener Vorort in die Welt

München - 04.01.2017, 07:00 Uhr

ben-u-ron-Produktion im dritten Stock, bene-Hauptsitz. Im Münchner Vorort Solln werden jedes Jahr 19 Millionen Packungen Tabletten, Zäpfchen und Kapseln gefertigt.  (Fotos (5): Unternehmen)

ben-u-ron-Produktion im dritten Stock, bene-Hauptsitz. Im Münchner Vorort Solln werden jedes Jahr 19 Millionen Packungen Tabletten, Zäpfchen und Kapseln gefertigt.  (Fotos (5): Unternehmen)


1947 gelang Dr. Wilhelm Benend erstmals die Synthese der medizini­schen Wirksubstanz Natrium-Pento­san­polysulfat. Zwei Jahre später gründete er das Unternehmen bene, 1959 führte er ben-u-ron ein. Und heute? DAZ.online hat sich einmal umgesehen, bei bene.

Ein feines Klingeln erfüllt die Werkhalle, die Luft riecht leicht süßlich. Abrupt endet die beinah meditative Ruhe. Doch kein Grund zur Sorge: Die Herstellung im Firmenhauptsitz von bene-Arzneimittel hat gestoppt, der orange-leuchtende ben-u-ron Saft ist alle. Doch es dauert nur wenige Minuten, bis eine neue Charge des Schmerzmittels in der oberen Etage wieder aus einem Schlauch läuft.

Abgemischt wird der Saft in einem separaten Kessel, dann läuft die Flüssigkeit per Schlauchsystem wieder in die ben-u-ron-Glasfläschchen. Diese wandern dann, schön der Reihe nach über Förderbänder, ungebremst zur finalen Fertigung: Der Deckel kommt darauf. Die Flasche erhält das Etikett auf das Glas aufgeklebt. Weiter. Zur Flasche wird nun die Dosierspritze gruppiert. Nochmal weiter. Zum Schluss kommen gleichzeitig Karton und Packungsbeilage um den Saft dazu. Packung zu, fertig.

Neben dem ben-u -ron-Schmerz- und Fiebersaft mit dem Wirkstoff Paracetamol werden über 19 Millionen Packungen Tabletten, Zäpfchen und Kapseln auf dem bene Firmengelände mitten in einem Wohngebiet im Münchner Vorort Solln hergestellt. Zwischen akkurat gestutzten Vorgärten, ganz am Ende einer Sackgasse, wird produziert. Und das schon seit 67 Jahren, berichtet Sandra Glück, Marketing- und Vertriebsleiterin des mittelständischen Pharmaherstellers. Die bewährten Unternehmensleitlinien: Höchste Qualitätsmaßstäbe und konsequente Orientierung an Patienten- und Marktbedürfnissen.

Besonders bei Eltern kleiner Kinder ist das Fieber- und Schmerzmittel ben-u-ron sehr beliebt. Doch die Erfolgsgeschichte des Unternehmens begründete ein anderer medizinischer Wirkstoff: Natrium-Pentosanpolysulfat (NaPPS). 1947 gelang dem Apotheker und Firmengründer Dr. Wilhelm Benend die Synthese.  

Die Wirksubstanz NaPPS, auf die die Unternehmensgründung zurückgeht, besteht aus pflanzlichem Ursprungsmaterial und wird halbsynthetisch hergestellt. Strukturell ist sie dem Heparin sehr ähnlich (niedermolekulares Heparinoid). Aufgrund der zahlreichen Anwendungsgebiete (zum Beispiel periphere arterielle Verschlusskrankheit, Behandlung von Venenentzündungen, Behandlung urologischer Erkrankungen) gewann NaPPS schnell an Ansehen bei Ärzten und Apothekern. Wegen seiner Vielseitigkeit wird umfangreich mit dem Wirkstoff geforscht. Schwerpunkte sind hierbei die Indikationsbereiche Stoffwechselspeicherkrankheiten, Gelenkerkrankungen sowie urologische Anwendungsgebiete. NaPPS wird heute in unterschiedlichen Fertigarzneimitteln in mehr als 30 Ländern vertrieben. bene ist nach wie vor weltweit der einzige Hersteller und blickt auf über 60 Jahre Produktionserfahrung zurück. 

Stets enger Kontakt mit Apothekern

Mit Natrium-Pentosanpolysulfat nahm die Entwicklung des Unternehmens in München-Solln seinen Anfang. Heute sind hier rund100 Mitarbeiter beschäftigt. An einem weiteren Standort, in Geretsried, ist die Schwesterfirma bene pharmaChem ansässig. Hier steht die moderne Produktionsstätte für den Wirkstoff NaPPS, für den die Firma nach wie vor Monopolstellung genießt. Rund 25 Menschen sind hier tagtäglich für bene tätig. Die Unternehmensverzweigungen reichen über Deutschland hinaus bis nach Portugal: Bei bene farmacêutica, dem Tochterunternehmen mit Sitz in Lissabon, sind weitere 45 Beschäftigte im Einsatz für die Gesundheit.

bene ist stets in engem Kontakt mit Ärzten und Apothekern, diese betrachtet man als „Mittler zum Markt“. Es seien die Experten, die dem Unternehmen stets wertvolle Informationen zurückgespielt haben – und dies auch weiterhin tun, berichtet Glück.

Ebenso besteht eine kontinuierliche Zusammenarbeit mit verschiedensten Wissenschaftlern und Forschungsinstituten. Nicht zuletzt aufgrund dieses Know-hows erhielt die bene-Unternehmensgruppe 1992 die Zulassung der FDA für die Produktion von NaPPS  für die USA. Dies war zugleich ein entscheidender Grundstein für die Zulassung des NaPPS-haltigen Arzneimittels Elmiron in den Vereinigten Staaten. Seit 1996 wird Elmiron in den USA und Kanada in der Behandlung einer seltenen, chronischen und schmerzhaften Blasenentzündung eingesetzt. 

Die intensive Forschung mit Natrium-Pentosanpolysulfat seit Unternehmensgründung und die daraus resultierende große Erfahrung führte zur Entwicklung eines Portfolios von Präparaten, die alle NaPPS enthalten und für verschiedene Indikationsgebiete eingesetzt werden: cyst-u-ron, Pentosanpolysulfat SP 54 und Thrombocid.

Mit ben-u-ron ist seit 1959 ein Paracetamol-Monopharmakon im Handel, die Einführung von talvosilen war 1982 eine logische Erweiterung der Kompetenz auf dem Schmerzmittelsektor. Durch die darin enthaltene Kombination von Paracetamol und Codein gab es somit auch ein Arzneimittel gegen stärkere Schmerzen, produziert durch den Münchner Traditionshersteller. 

Hoher Preisdruck in der Branche 

Dass das mittelständische Pharmaunternehmen auch in Zukunft seinen festen Platz am hart umkämpften Markt behauptet, dafür sorgt seit 2013 Dr. Günter Auerbach. Er ist Geschäftsführer des Unternehmens, die beiden Firmeninhaber Dr. Harald Benend und Dr. Helmut Benend sind mittlerweile im Beirat. Auerbach, der zuvor bei großen Pharmafirmen wie Bayer gearbeitet hat, hat sich bewusst für die Stelle in München entschieden. „Die Schlagkraft eines mittelständischen Unternehmens ermöglicht individuelle und innovative Arzneimittelentwicklungen in kurzer Zeit“, ist er überzeugt.

Als eine der größten Herausforderungen sieht Auerbach den Preisdruck innerhalb der Branche, um dies auszugleichen, exportiert bene verstärkt ins Ausland und baut weiterhin neue Geschäftsbeziehungen auf. Und auch die Fälschungssicherheit ist ein wichtiges Thema. „Die Anforderungen ab 2019 stellen uns vor Herausforderungen, denen wir uns im Sinne unserer Kunden und der Patientensicherheit stellen und denen wir bereits vor der geforderten Deadline gerecht werden“.

Besonders stolz ist man in Solln auf seine jüngste Entwicklung: 2015 nimmt bene-Arzneimittel cyst-u-ron ins Sortiment auf, eine Lösung zur Behandlung von Interstitieller Cystitis, einer schwerwiegenden chronischen Blasenerkrankung.

cyst-u-ron: Als Standardtherapie zur Behandlung der schweren chronischen Blasenerkrankung Interstitielle Cystitis (IC) ist der Wirkstoff Pentosanpolysulfat (PPS) in den europäischen und US-amerikanischen Ärzte-Leitlinien bereits verankert. Jetzt erhielt der Wirkstoff von der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA den Status eines Orphan Drug für die Indikation IC zuerkannt.

Die Interstitielle Cystitis (IC) zählt zu den sogenannten Seltenen Erkrankungen (Orphan Diseases). Von der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA wurde der Wirkstoff PPS 2015 offiziell als Orphan Drug für dieses Anwendungsgebiet registriert. Die IC ist eine schwere, chronische Blasenerkrankung, die die Lebensqualität in erheblichem Maße einschränkt. Mit durchschnittlich weniger als zwei Patienten pro 10.000 Einwohner und dem großen Leidensdruck ist sie offiziell als sogenannte Seltene Erkrankung (Orphan Disease) anerkannt. Für die Betroffenen bedeutet sie sehr häufige, erschwerte und schmerzhafte Blasenentleerungen, insbesondere nachts, sowie starke Schmerzen im Unterbauch.

Ursache für die chronische Krankheit ist unter anderem eine Schädigung der Blasenschleimhaut, wobei insbesondere die Glykosaminoglykan(GAG)-Schicht betroffen ist. In der Folge ist deren Schutzeffekt vermindert, wodurch toxische Harnbestandteile in tiefere Gewebeschichten vordringen und Gewebereizung beziehungsweise Entzündungen hervorrufen können.

Über den Wirkstoff PPS

In den europäischen und amerikanischen Ärzte-Leitlinien ist der Wirkstoff Pentosanpolysulfat für die Standardtherapie zur Behandlung der IC angegeben. Aufgrund seiner strukturellen Ähnlichkeit zu den Glykosaminoglykanen ist PPS in der Lage, die geschädigte GAG-Schicht der Blase wieder aufzubauen und verhindert so weiteres Eindringen schädigender Substanzen in tiefere Gewebeschichten. Darüber hinaus unterstützt PPS die Hemmung der Ausschüttung des Gewebehormons Histamin, wodurch sich die Entzündung als Begleit- und Folgeerscheinung der Erkrankung reduziert. Insgesamt führt dies zu einer spürbaren Verbesserung der Lebensqualität der betroffenen Patienten.

bene: Brauchen Politik, auf die wir uns verlassen können

„Die Erteilung des Orphan-Drug-Status für Pentosanpolysulfat in der Europäischen Union war ein großer Erfolg für bene", sagt Auerbach, „ein bedeutender Meilenstein für die Zukunft unseres Unternehmens, um Patienten mit seltenen, aber schweren Erkrankungen innovative Präparate in der Urologie zur Verfügung stellen zu können.“

„Für derartige Entwicklungen brauchen wir seitens der Politik aber Bedingungen, auf die wir uns verlassen können“, sagt Auerbach. Die Sicherheit, dass es möglich ist, die enormen Ausgaben für eine Entwicklung und Zulassung im späteren Arzneimittelvertrieb wieder ausgeglichen zu bekommen, sei unabdingbar. Leider werde das Nutzenbewertungsverfahren zunehmend restriktiver, sagt der Geschäftsführer. Das mache bene Forschung und Entwicklung ungleich schwerer.

„Es ist nicht nachvollziehbar, wieso eine Branche, die für höchst sensible Patientenversorgung und kontinuierliche Arzneimittel-Innovationen steht, trotz steigender Anforderungen an Qualität und Sicherheitsmechanismen die Kostenbelastung nicht weitergeben kann, wie im Falle des Preismoratoriums. Wichtig wäre eine gesamtheitliche Betrachtung aller Ausgaben im Gesundheitssystem – nicht ausschließlich aufseiten der Industrie.“

Dennoch: In Zukunft will man – trotz aller Widrigkeiten – dran bleiben, in München. In der Werkshalle klingeln derweil die Gläser wieder, der Saft läuft in die Fläschchen. Schon morgen werden diese in Portugal sein. 



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