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Kontingent-Arzneimittel! Gekürzte Einkaufskonditionen! Lieferengpässe! Versorgungsengpässe! Not-Importe! Von wegen gutes neues Jahr! Nach Weihnachtsgans und Silvester-Champagner zieht uns der Januar gleich auf den eiskalten Boden der Offizin zurück. Da tut es gut zu lesen, was unser alter, neuer Präsident gesteht: Unser Idol kann er nicht sein, aber eine gute Arbeit will er machen. So ist’s recht. Wohltuend in Zeiten von Trump & Co!
2. Januar 2017
So fing’s damals an: Der Versender DocMorris hatte der Deutschen Parkinson Vereinigung Boni für rezeptpflichtige Arzneimittel angeboten, Sonderrabatte, die in Deutschland bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln verboten sind. Die Wettbewerbszentrale hatte gegen diese Kooperation geklagt, die Klage landete beim Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf. Das Gericht war sich dann nicht sicher, ob die Arzneimittelpreisbindung in Deutschland mit dem Europarecht vereinbar ist und bat den Europäischen Gerichtshof (EuGH) um eine Einschätzung. Und die haben wir dann als Hammer am 19. Oktober bekommen: EU-Versandapos dürfen Boni auf Rx-Arzneimittel in Deutschland gewähren. Anything goes. Mein liebes Tagebuch, seitdem wissen wir hier nicht mehr, wie es weitergehen wird. Ein Rx-Versandverbot ist in der Mache, ob es kommt, steht in den Neujahrssternen, es gibt aus interessierten Kreisen massiven Widerstand dagegen. Demnächst wird das OLG mit dem Dictum des EuGH im Nacken den Streitfall DocMorris/Parkinson-Vereinigung und Wettbewerbszentrale weiter verhandeln. Die Wettbewerbszentrale will zwar die Mängel des EuGH-Urteils aufzeigen, ob sich das OLG davon beeindrucken lässt, ist mehr als fraglich. Wie’s ausgeht? Man kann’s schon ahnen.
3. Januar 2017
Jetzt geht’s richtig los: Lieferengpässe! Versorgungsengpässe! Not-Importe! Klingt irgendwie nach östlich-sozialistischen Zeiten. Nein, das ist 2017 Realität in Deutschland! Beim Kombiantibiotikum Piperacillin/Tazobactam gibt es einen Versorgungsmangel. Das bei bestimmten Infektionen unverzichtbare Präparat wurde bereits rationiert. Alternativpräparate haben gravierende Nachteile. Das Bundesgesundheitsministerium reagiert mit einer Bekanntmachung und macht den Weg frei für den Einsatz nicht zugelassener Alternativen: Not-Importe aus dem Ausland. Eine Frage der Zeit, bis auch dort das Präparat knapp wird. Die Ursache für den Mangel soll ein Betriebsunfall in einer der größten Herstellungsstätten für diesen Wirkstoff – in China – sein. Mein liebes Tagebuch, lebenswichtige Antibiotika werden nicht mehr in Europa hergestellt, wir sind abhängig von der chinesischen Antibiotika-Produktion. Die Antibiotika-Synthese scheint sich in Europa nicht mehr zu lohnen. Und warum? Wegen Sparzwängen, Gewinnmaximierung, Konzentrationsprozessen. Irgendwie alles heftig, alles too much. Kommt ein Umdenken?
4. Januar 2017
Als neuer Besen will er gut kehren: Andreas Storm, neuer Vorstand der DAK. Neuorganisation, Kostenreduktionen, Personalabbau will er angehen. Früher war er mal saarländischer Gesundheitsminister, noch früher war er CDU-Bundestagsabgeordneter und für Gesundheitspolitik zuständig. Damals, 2003, war er dabei, als Rot-Grün mit der Union den Weg frei gemacht hat für den Arzneimittelversandhandel. Arzneimittelversand, Internet, Digital – Storm liebt dieses Trio mehr denn je, wie er einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung durchblicken lässt. Die elektronische Gesundheitskarte entwickelt sich nach seiner Ansicht viel zu langsam. Von einer Regierung nach der Bundestagswahl verlangt er einen „Masterplan für die Digitalisierung des Gesundheitswesens“. Und passend dazu hält er ein Rx-Versandverbot „im Zeitalter der Digitalisierung für absolut nicht zeitgemäß“. Mein liebes Tagebuch, da fragt man sich doch: Würde es dem Vorankommen der Digitalisierung schaden, wenn Rx-Arzneimittel nicht versendet werden dürfen? Na, siehste. Und sollte er unter Digitalisierung die Euro-Taler meinen, die er hofft für seine Kasse zu gewinnen, dann sollte er das auch so sagen und nicht einfach gegen sinnvolle Verbote wettern. Storm auf neuem Posten: Das Schwadronieren von mehr Digitalisierung, der billige Kassensprech – das wird nicht reichen.
„Ich habe viel gelernt“ – eine Kernaussage des alten und neuen ABDA-Präsidenten Friedemann Schmidt im DAZ-Interview, in dem er auf seine letzte Amtszeit und auf die vor ihm liegende schaut. Und das, mein liebes Tagebuch, nimmt man ihm ab. Ich habe den Eindruck, er geht mit seiner Bilanzoffen und ehrlich um. Er freut sich über ARMIN und über das Perspektivpapier, über den Nacht- und Notdienstfonds undüber die Festsetzung des Kassenabschlags. Zu Recht. Was noch vor ihm liegt: vor allem die Dynamisierung des packungsbezogenen Abgabehonorars, die Vergütung pharmazeutischer Dienstleistungen – und das Rx-Versandverbot. Für Schmidt wäre ein Verbot die beste Problemlösung, denn bei allen anderen Vorschlägen würde das deutsche Festpreissystem aufgegeben und versucht, die Auswirkungen abzumildern. Und Überlegungen für mehr Honorar, wie sie von der SPD kommen,könnten vergiftete Geschenke sein. Was er auch in diesem Jahr angehen möchte: eine irgendwie gearteteReform des Hochschulstudiums, die unsere Studierenden besser als bisher auf ihre Berufstätigkeit vorbereitet. Es müsse nicht unbedingt eine neue Approbationsordnung sein, eine Änderung der Ausbildungsinhalte könnte ausreichen. Zu den negativen Erlebnissen seiner Amtszeit gehört das E-Health-Gesetz. Es sorgte für Frust: der Apotheker ist beim Medikationsplan hinten runtergefallen. Wobei Schmidt einräumt, er sei „fast froh, dass wir am Papier-Medikationsplan nicht federführend beteiligt sind… Das ist eigentlich ein Verliererprojekt“. Stimmt, Herr Schmidt. Und wie sieht’s bei den Interna aus? 2013, nach der Maulwurf-Affäre, war das Verhältnis zwischen Mitgliedsorganisationen und der ABDA zerrüttet, räumt Schmidt ein. Mittlerweile habe man das Vertrauen wieder hergestellt, auch der Politik. Und sein Führungsstil? Er hat hinzugelernt, ein dickes Fell bekommen. Es sei nicht leicht, eine Organisation aus Körperschaften des öffentlichen Rechts und privatwirtschaftlichen Verbänden zu führen. Oh ja, mein liebes Tagebuch, wenn 17+17 kleine Fürstinnen und Fürsten mitreden wollen, sich profilieren wollen, kann die Findung eines gemeinsamen Nenners Schwerstarbeit sein. Und Herr Schmidt, wie sieht es aus mit ein bisschen Montgomery, ein bisschen Gassen, ein bisschen Bsirske? Da bleibt sich Schmidt treu: „Die Sehnsucht vieler Mitglieder nach einem Idol, nach jemandem, der populistisch wie ein Gewerkschaftsvorsitzender in einem Tarifstreit poltert, die kann man als ABDA-Präsident nicht erfüllen.“ In Zeiten von Trump und Co. können solche Aussagen richtig guttun.
5. Januar 2017
Hersteller – Pharmagroßhandel – Apotheke: Da haben wir eine sichere und gut funktionierende Lieferkette in Deutschland. Aber einige Hersteller glauben, den Großhandel umgehen zu können: Direktlieferungen an die Apotheken ist für sie das Zauberwort. Sie haben sich dafür ein gemeinsames Dienstleistungsunternehmen, die „Pharma Mall“, aufgebaut, das sie bei der Abwicklung der Aufträge über eine Internetplattform durch allerlei Module und elektronische Dienste beim E-Commerce unterstützt. Und der Großhandel schaut in die Röhre. Das tut den Großhändlern gar nicht gut, wie Thomas Trümper, Chef des Pharmagroßhandelsverbands Phagro, deutlich macht. Die Mischkalkulation stimmt nicht mehr, das tut weh. Weniger Umsatz, viele Defekte, alles letztlich auch zum Nachteil der Apotheken. Nach Meinung Trümpers geben Hersteller vor, nicht lieferfähig zu sein, sie kontingentieren die Ware an den Großhandel willkürlich, bedienen aber über Pharma Mall die Direktlieferung. Trümper vermutet, dass Hersteller ihre Ware deshalb kontingentieren, weil sie davon ausgehen, dass Großhandel oder Apotheken Arzneimittel exportierten. Und deshalb erhält der Großhandel nur so viel Ware, wie die Hersteller meinen, dass Bedarf im deutschen Markt besteht. Mein liebes Tagebuch, welche Spielchen laufen da ab? Dass Großhändler und auch die eine oder andere Apotheke Arzneimittel exportieren, hat man schon gehört. Dass Pharmahersteller bei Direktlieferungen auch gerne die Großhandelsmarge einstreichen, auch das kann man sich vorstellen. Und was steht am Ende dieser Vorgänge, worauf läuft das hinaus? Immer weniger Großhandlungen, mehr Kosten beim Großhandel, die er an Apotheken weitergibt, ein an sich funktionierender Markt wird zerschlagen. Und warum das alles? Mein liebes Tagebuch, die Gier ist unendlich.
Die ersten Reaktionen von Großhändlern kündigten sich an: Gehe und Phoenix gewähren ihren Kunden keine Rabatte mehr auf Kontingent-Artikel, also Arzneimittel, die ein Hersteller nur in begrenzter Menge ausliefert! Kontingent-Artikel – das Wort wird die Runde machen. Kontingent-Artikel – welche auch immer im Einzelnen das sind, und es können immer mehr werden – gibt’s dann nur noch zum AEP. Basta! Und weil wir gerade dabei sind: „Die aktuelle Marktentwicklung und die daraus resultierenden Auswirkungen machen es zudem erforderlich, das derzeitige Vergütungsniveau deutlich zu reduzieren“, kündigt Phoenix seinen Kunden an.
Mein liebes Tagebuch, das Jahr fängt nicht gut an. Für Apotheken bedeutet die Kontingent-Entwicklung: Mehr Direktvertrieb, viel mehr Bürokratie, weniger Einkaufsrabatte. So haben wir uns das alles nicht vorgestellt. Und fragt man nach, wer dafür verantwortlich ist, schiebt es der eine auf den anderen: Der Großhandel sagt, wir bekommen nicht genug Ware von den Herstellern. Fragt man bei Herstellern nach, heißt es: Och, wir sind da nicht schuld, der gierige Großhandel verhökert zu viel ins Ausland. Wie auch immer: Der Apotheker ist der Gekniffene.
6. Januar 2017
Süße Sirenenklänge von Krankenkassen: Liebe Apotheker, wenn ihr unsere Patienten mit Blutzuckerteststreifen auf billige Rabatt-Teststreifen umstellt, wird dies auf die Erfüllung eurer „B-Quote“ angerechnet und – wie fein – ihr könnt die vorgesehene Umstellungsgebühr von satten 20 Euro auch bei Umstellung auf rabattierte Blutzuckerteststreifen abrechnen. Damit nicht genug: Ihr lieben Apothekers könnt sogar noch dicke 50 Cent pro abgegebener 50er Packung zusätzlich zum vereinbarten Preis abrechnen über eine Sonder-PZN. Na, mein liebes Tagebuch, wie klingt das denn!? Halt, mein lieber Freund, da heißt’s genau hinsehen: Der Aufwand für dieses Procedere ist gewaltig. Denn die sogenannten Open-House-Verträge sind nicht in der Apotheken-Software integriert, die ständig variierenden Liste der Verträge muss man sich auf der vdek-Website anschauen. Außerdem gibt’s für das alles keinen Vertrag mit dem Deutschen Apothekerverband, es ist eine Willenserklärung der Kassen. Und die Rechenzentren könnten die Verträge zwischen Kassen und Herstellern nicht überprüfen. Irgendwie ist das alles ein vertragsloses Kuddelmuddel – viel Arbeit für die Apotheke, sich da einzufuchsen, den Patienten überzeugen etc. So was muss man mögen – oder lassen.
7 Kommentare
Apropos Securpharm oder Transparenz für wen?
von Bernd Jas am 08.01.2017 um 14:23 Uhr
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Hintergrund reicht nicht
von Reinhard Rodiger am 08.01.2017 um 12:34 Uhr
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Anything goes.
von Christian Timme am 08.01.2017 um 12:14 Uhr
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Umdenken?
von Bernd Jas am 08.01.2017 um 11:51 Uhr
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...kein bisschen Liebe!
von Christian Giese am 08.01.2017 um 11:33 Uhr
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Ein bisschen Frieden, ein bisschen Liebe...?
von Gunnar Müller, Detmold am 08.01.2017 um 10:29 Uhr
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AW: Ein bisschen Frieden, ein bisschen Liebe ...
von Christian Timme am 09.01.2017 um 1:13 Uhr
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