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BVDVA-Auftragsgutachten
So argumentieren die Versandapotheken gegen das Rx-Versandverbot
Gesundheitsminister Hermann Gröhe will ebenso wie die ABDA das Rx-Versandverbot. Ganz anders der Bundesverband Deutscher Versandapotheken. Dieser will nun die Politik mit einem Auftragsgutachten überzeugen, dass Gröhes Pläne europarechtlich nicht haltbar sind und sogar „Staats- und Amtshaftungsrisiken“ mit sich ziehen können. Verfasst hat das DAZ.online vorliegende Gutachten der Jurist Christian Koenig – er ist bekannt als Verfechter des Versandhandels.
Während die ABDA mit einer groß angelegten Kampagne für ein Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln wirbt, kämpft der Bundesverband Deutscher Versandapotheken (BVDVA) dafür, diesen Vertriebsweg auch nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 19. Oktober 2016 aufrecht zu erhalten. Der jüngste Coup des 27 Mitglieder starken Verbands: Ein von Professor Christian Koenig erstelltes Auftragsgutachten.
Koenig: Ein alter Bekannter
Koenig ist Direktor am Zentrum für Europäische Integrationsforschung
(ZEI) an der Universität Bonn und stand
schon seit den Gründungstagen von DocMorris Seit‘ an Seit‘ der niederländischen Kapitalgesellschaft und
seines „kreativen Zerstörers“ Ralf Däinghaus. Das ist lange her, aber
unvergessen. Zeitweise war Koenig auch im Aufsichtsrat der Versandapotheke. Zudem brannte sich der Rechtsprofessor mit seinen Auftritten als
DocMorris-Prozessvertreter in den EuGH-Verfahren zum Versandverbot (Urteil vom
11. Dezember 2003) und zum Apothekenfremdbesitzverbot (Urteil vom 19. Mai 2009) ins Gedächtnis. Das Fremdbesitz-Verfahren endete mit einer krachenden
Niederlage für DocMorris/Koenig. Und im Urteil zum Versandhandel trat das
Gericht der von ihrem Prozessbevollmächtigten vertretenen Rechtsauffassung
entgegen, dass ein Rx-Versandverbot gegen Europarecht verstoße. Freilich
konterkarierte die „ganz Große Koalition“ von Rot-Grün und CDU/CSU kurz darauf
diese EuGH-Rechtsprechung durch die Legalisierung des Versandhandels in
Deutschland.
Nun also knöpft sich Koenig im Auftrag des BVDVA den Referentenentwurf des Bundesgesundheitsministers zum Rx-Versandverbot vor – und spricht ihm im Lichte der aktuellen EuGH-Rechtsprechung seine unionsrechtliche Tauglichkeit ab. Verfassungsrechtliche Fragen bleiben dabei außen vor. Das wenig überraschende Ergebnis. Da es keine „statistisch-empirischen Befunde“ gebe, die eine Gefährdung der flächendeckenden Arzneimittelversorgung nachzuweisen geeignet sind, lasse sich ein „kategorisches Rx-Versandverbot“ europarechtlich nicht rechtfertigen.
Koenig beendet das nun DAZ.online vorliegende Gutachten mit einem geradezu dramatischen Szenario: Die Bundesrepublik könne sich bei Einführung eines Rx-Versandverbots, wie es Gröhe derzeit vorhat, dem Risiko der „Staatshaftung“ aussetzen. Denn eine solche Beschränkungsregulierung „ins Blaue hinein“ könne als „hinreichend qualifizierter Verstoß gegen die Freiheit des Warenverkehrs“ gewertet werden.
Begründung des Referententwurfs als Maß der Dinge
In seiner Argumentation stützt sich Koenig dabei ausschließlich auf die Ziele, die das Bundesgesundheitsministerium in seinem Gesetzentwurf aufführt, nämlich die nach dem EuGH-Urteil vom 19. Oktober 2016 bestehende Ungleichbehandlung in- und ausländischer (Versand-)Apotheken zu beseitigen, die bestehende Struktur der flächendeckenden, wohnortnahen und gleichmäßigen Arzneimittelversorgung zu gewährleisten und die Steuerungsfunktion der sozialversicherungsrechtlichen Zuzahlungsregelungen zu sichern. Mit Gesundheitsschutzzielen im engeren Sinne, wie zum Beispiel der Vermeidung von Arzneimittelfälschungen oder Arzneimittelmissbrauch, argumentiert das Ministerium dagegen nicht. Königs These: Als Rechtfertigungsgründe für ein Rx-Versandhandelsverbot dürften nur solche Argumente herangezogen werden, die ausdrücklich in der amtlichen Begründung des Referentenentwurfs genannt würden.
Ein „Missverständnis“ sei es, anzunehmen, dass der EuGH mit seinem Urteil vom 19. Oktober 2016 die komplette Systematik der Arzneimittelpreisverordnung infrage stelle. Vielmehr habe das Gericht nur die EU-rechtliche Unvereinbarkeit der Geltung des einheitlichen Apothekenabgabepreises für Versandapotheken mit Sitz im EU-Ausland festgestellt. Laut Koenig sind die Urteilsgründe so zu interpretieren, dass die Apotheken auf Teile ihrer Handelsmarge verzichten könnten – ein sogenanntes Höchstpreissystem wäre als milderes Regulierungsmittel ohne Weiteres mit dem EuGH-Urteil vereinbar.
Urteil von 2003 keine „carte blanche“
Doch der Jurist beklagt, dass das Bundesgesundheitsministerium mögliche Alternativen zum Versandverbot gar nicht ausgelotet habe. Es setzt ganz darauf, dass das Versandhandelsverbot zulässig ist. Dabei, so Koenig, habe der EuGH schon 2003 keinesfalls pauschal ein Verbot des Versandhandels im Sinne einer „carte blanche“ zugebilligt. Vielmehr beschränke das erste DocMorris-Urteil die Rechtfertigung eines solchen Verbotes ausschließlich auf die Gesundheitsschutzziele im engeren Sinne. „Gründe des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit oder die Intaktheit des nationalen Gesundheitswesens“, die ein Versandhandelsverbot rechtfertigen könnten, habe der EuGH mangels entsprechender mitgliedstaatlicher Nachweise nicht anerkannt.
Was geben die Zahlen her?
Nach der EuGH-Rechtsprechung müsse im Rahmen der Rechtfertigungsgründe für ein grenzüberschreitendes Rx-Versandverbot ein komplexes „Eignungs-, Kohärenz und Nachweisprogramm“ beachtet werden. Erforderlich sei, „zuverlässige wissenschaftliche Daten“ zu erheben, auf deren Grundlage eine „konkrete Risikoanalyse und Risikobewertung“ vorgenommen werden müsse. Letztlich müssten die Zusammenhänge gerade zwischen Rx-Versand und spezifischen Gesundheitsgefahren ausgemacht werden. Koenig beruft sich auf ABDA-Zahlen, denen zufolge nicht zu erkennen ist, dass der seit 13 Jahren bestehende Versandhandel einen signifikanten Rückgang der absoluten Apothekenzahl bewirkt habe. Erfahrungswerte sprächen dafür, dass selbst bei Boni-Gewährung oder Zuzahlungsnachlass die Preisvorteile einer EU-Versandapotheke durch deren „strukturelle Wettbewerbsnachteile“ gegenüber „Präsenzapotheken“ auch künftig aufgewogen würden.
Stutzig macht im Zusammenhang der „zuverlässigen Daten“, dass Koenig selbst mit fragwürdigen Zahlen jongliert. So verweist er auf eine Umfrage des Digitalverbands Bitkom, derzufolge es mittlerweile eine hohe Akzeptanz des Rx-Versandhandels gerade bei der besonders relevanten Patientengruppe der über 65-Jährigen gebe: 62 Prozent von ihnen bezögen Medikamente online. Dabei lässt Koenig allerdings außen vor, dass die Umfrage nur unter Internetnutzern durchgeführt wurde. Auch stellt Koenig es als Fakt hin, dass 25 Prozent der verschreibungspflichtigen Rezepturen im Versand bezogen würden, ohne zu erwähnen, dass seine Quelle nur die grobe Schätzung eines einzelnen Apothekers ist, der selber im Arzneimittelversand tätig ist.
„Empirische Befunde“ Koenigs in der Kritik
Mit seinen rechtlichen Thesen trifft Koenig bereits auf Widerspruch: Professor Dr. Hilko J. Meyer, der sich an der Frankfurt University of Applied Sciences mit europäischem Gesundheitsrecht befasst, überzeugt das Gutachten nicht. Es zitiere „ausgiebig das aktuelle EuGH Urteil, enthält darüber hinaus aber wenig Substanzielles“, erklärte Meyer gegenüber DAZ.online. So unterschlage der ins Feld geführte „statistisch-empirische Befund“, dass es in den letzten Jahren trotz Rx-Versandhandels nicht zu einer Gefährdung der flächendeckenden Arzneimittelversorgung gekommen sei, den entscheidenden Aspekt der Arzneimittelpreisbindung, die jetzt für ausländische Versandapotheken weggefallen ist.
Zudem widerspreche Koenig der eigenen „kontrafaktischen Behauptung“, ohne Versandhandel sei in Deutschland die Versorgung von Menschen mit eingeschränkter Mobilität, insbesondere im dünn besiedelten ländlichen Raum mit einer geringen Apotheken-Versorgungsdichte gefährdet. Ferner lasse das Gutachten das klare Plädoyer des ansonsten ausführlich zitierten Generalanwalts unter den Tisch fallen, wonach ein Rx-Versandhandelsverbot, wie es in den meisten EU-Ländern gilt, europarechtlich unbedenklich sei.
Was sind die Folgen des EuGH-Urteils?
Meyer kritisiert weiter: Wer, wie König, erkläre, es sei ein „Missverständnis“, dass das EuGH-Urteil die komplette Systematik der Arzneimittelpreisverordnung und damit die fundamentalen deutschen sozialrechtlichen Regulierungsansätze infrage stelle, „verharmlose die Marktdynamik, die kapitalstarke Versandapotheken entfesseln können, wenn erst die Apotheken auf Teile ihrer Handelsmarge verzichten können“.
Für abwegig hält Meyer schließlich das Szenario einer Staatshaftung – auch weil das Auftragsgutachten kein plausibles Argument für einen „hinreichend qualifizierten und haftungsbegründenden Verstoß“ benenne. Allerdings räumt Meyer ein: Angesichts der fortgesetzten Generalangriffe der EU-Kommission auf die Wertungsspielräume der Mitgliedstaaten im Gesundheitsbereich und ihr Drängen auf verschärfte Darlegungspflichten sei es durchaus nützlich, wenn in nächster Zukunft umfassende ökonomisch-empirische Studien zur Funktionsweise und Nutzen des deutschen Arzneimittelversorgungs- und -preissystems erstellt würden.
1 Kommentar
Von Christ & König über Pillen die fliegen und noch mehr wollen..
von Christian Timme am 25.01.2017 um 11:54 Uhr
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