Synthetisches Cannabinoid AMB-FUBINACA

Zombie-Droge aus Brooklyn identifiziert

New York - 26.01.2017, 17:55 Uhr

Löste im Juli 2016 „zombiehaftes“ Verhalten aus: Das synthetische Cannabinoid AMB-FUBINACA. (Foto: katalinks / Fotolia)

Löste im Juli 2016 „zombiehaftes“ Verhalten aus: Das synthetische Cannabinoid AMB-FUBINACA. (Foto: katalinks / Fotolia)


Im Juli 2016 fielen 33 Menschen im New Yorker Stadtteil Brooklyn durch zombiehaftes Verhalten auf – aggressiv, motorisch retardiert mit stierem Blick. Bislang war unklar, was die Menschen zu Zombies machte – nun ist das Rätsel gelöst.

12. Juli 2016: Die New York City Emergency Medical Services werden zu einem, Einsatz im Stadtteil Brooklyn gerufen. Bei ihrer Ankunft bietet sich den Helfern offenbar ein skurriles Bild – zahlreiche Menschen torkeln durch die Straßen, geben stöhnende Laute von sich, sind teilweise lethargisch aber auch aggressiv. Augenzeugen beschreiben das Verhalten dieser insgesamt 33 Menschen als „zombiehaft“. Die Sanitäter transportierten 18 dieser 33 vermeintlichen Zombies in zwei naheliegende Krankenhäuser. Alle waren männlich und zwischen 25 und 59 Jahre alt.

Dass wohl keine von den Toten wieder zum Leben erweckten, seelenlosen Menschen durch Brooklyns Straßen taumelten, war den Helfern trotz des zombieartigen Erscheinens dieser jungen Männer klar. Die Sanitäter vermuteten einen kollektiven Drogenmissbrauchs in toxischen Ausmaß. Nur welche berauschende Substanz steckte dahinter? Die auslösende Droge war tatsächlich bis vor kurzem nicht analysiert. Wissenschaftler veröffentlichten ihre Analytik-Ergebnisse dazu in der Januar-Ausgabe 2017 des New England Journal of Medicine: AMB-FUBINACA.

Synthetisches Cannabinoid verursacht Zombie-Allüren

AMB-FUBINACA ist ein synthetisches Cannabinoid. Als Agonist am Cannabinoid-Rezeptor 1 wirkt es 85 Mal stärker als Δ9-Tetrahydrocannabinol (Δ9-THC). Das synthetische Cannabinoid hat allerdings mit dem Inhaltsstoff Δ9-THC aus der Cannabispflanze keine strukturelle Ähnlichkeit mehr.

Die klinische Symptomatik dieses Zombie-Ausbruchs beschrieben die Wissenschaftler im New England Journal of Medicine exemplarisch anhand eines 28-jährigen Mannes. Dieser hatte einen starren Blick, auf Fragen reagierte er verzögert. Retardiert waren auch seine motorischen Bewegungen. Der junge Mann schwitze, sein Blutdruck lag bei 101/61 und sein Herz schlug mit einer Frequenz von 88 Schlägen pro Minute. Kein ausgeprägter Speichelfluss. Herz- und Atemgeräusche befanden die Ärzte als unauffällig.

Erste Drogentests im Blut lieferten keine positiven Ergebnisse. Die Mediziner testeten auf Amphetamine, Kokain, Opiate, THC, Barbiturate, Benzodiazepine, tricyclische Antidepressiva und Ethanol. Die Muttersubstanz AMB-FUBINACA ist im im Blut oder Urin praktisch nicht nachzuweisen. Als Esterverbindung unterliegt sie einer raschen Hydrolyse. Was die Analytiker fanden, waren Metabolite der Ursubstanz.

Um seine Bewusstseinslage einzuschätzen, zogen die behandelnden Ärzte den Glasgow Coma Score heran. Dieses Bewertungsschema nutzen Mediziner eigentlich, um Hirnfunktionsstörungen nach einem Schädel-Hirntrauma einzuordnen. Menschen ohne Bewusstseinsstörung erreichen einen Wert von 14 bis maximal 15 Punkten. Bei dem „Zombie-Patienten“ war das Bewusstsein mit 13 Punkten nur leicht eingeschränkt.

AMB-FUBINACA: „Out of this world potent“

Insbesondere ZNS-Depression mit Schläfrigkeit und Benommenheit sind häufige Nebenwirkung bei synthetischen Cannabinoiden, aber auch Tachykardien und ein unregelmäßiger Herzschlag. Krampfanfälle und kardiotoxische Wirkungen sind ebenfalls beschrieben, gleichermaßen akutes Nierenversagen. Der Cannabinoid-Rausch kann bei den Konsumenten auch Psychosen verursachen.

Im Falle des Brooklyn-Missbrauchs erstaunte die Wissenschaftler jedoch, dass die starke Unterdrückung des zentralen Nervensystems nicht einherging mit diesen häufigen Wirkungen Tachykardie, Arrhythmien, Krampfanfälle und akutes Nierenversagen – was ungewöhnlich sei bei potenten synthetischen Cannabinoiden oder hoher Dosen derselbigen. Auf Online-Plattformen wurde die Droge auch mit „out of this world potent“ beschrieben.

Von der Arzneimittelforschung zur Droge

Ganz neu und unbekannt ist das synthetische Cannabinoid AMB-FUBINACA nicht. Bereits 2014 wurde es in Louisiana als Bestandteile einer Droge mit dem Namen „Train Wreck 2“ identifiziert und per Notfallverordnung vom Staat unverzüglich verboten. In Deutschland listet die Anlage 2 des Gesetzes über den Verkehr mit Betäubungsmitteln (BtmG) AMB-FUBINACA als verkehrsfähiges, aber nicht verschreibungsfähiges BtM.

Ursprünglich entwickelte die pharmazeutische Industrie in den Vereinigten Staaten und Europa synthetische Cannabinoide, um das Endocannabinoid-System zu erforschen. So auch Im Falle der Zombie-Droge aus New York: Pfizer entwickelte AB-FUBINACA – eine unveresterte Variante von AMB-FUBINACA – primär als Analgetikum, meldete das Cannabinoid 2009 auch zum Patent an, verfolgte aber offensichtlich den Einsatz von AB-FUBINACA beim Menschen nicht weiter. Die Drogenszene war beim menschlichen Einsatz hartnäckiger: 2012 tauchte die Substanz erstmals illegal in Japan auf. Der Ester AMB-FUBINACA 2014 erstmals in „Train Wreck 2“ in den USA.

Diesen Wechsel – raus aus den Forschungslaboren und rein in die Drogenszene – erfahren die synthetischen Cannabinoide seit 2008. Überwiegend in China und Südasien produziert, gelangen sie über kriminelle Banden in den europäischen und amerikanischen Drogenmarkt.

2 Dollar Einkauf – 500 Dollar Verkauf

Diese synthetischen Cannabinoide sind sowohl bei den Dealern als auch bei den Konsumenten beliebt, stellen sie doch eine kostengünstigere Alternative zu den klassischen Rauschmitteln wie Heroin, Kokain und Amphetamine dar. Ein Gramm AMB-FUBINACA kostet gerade mal 1,95 US-Dollar – das entspricht bei aktuellem Wechselkurs etwa 1,80 Euro. Gestreckt entsprechend mit Kräutern hat dieses Gramm nachher einen Marktwert von etwa 500 US-Dollar. Die durchschnittliche Konzentration, die die Brooklyn-Zombies in den Taschen trugen, lag bei 16 Milligramm AMB-FUBINACA pro Gramm Gesamtdroge.

Klassischerweise werden synthetische Cannabinoide nicht als Reinsubstanz konsumiert. Sie werden zunächst gelöst, anschließend in eine Kräutermischung gepackt, um dann – wie Cannabis – geraucht zu werden.

Von den mehr mehr als 540 neuen psychoaktiven Substanzen, die dem United Nations Office on Drugs and Crime gemeldet wurden, stellen synthetische Cannabinoide die am stärksten wachsende Substanzgruppe dar. Die Behörde registrierten 2014 allein 177 neue Cannabinoidderivate. 2015 verzeichnete Europol 24 neue synthetische Cannabis-Abkömmlinge.

Ein altbekanntes synthetisches Cannabinoid ist JWH-018 in „Spice“. Auch hier wird die berauschende Substanz in einer „Kräutermarinade“ gepackt und geraucht.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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