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Das Rx-Versandverbot hält sie alle in Trab: Ein Juristen-Koenig schwadroniert von Staatshaftungsrisiken, ein Versand-Buse träumt von Höchstpreismodellen, ein Monopol-Wambach will Wettbewerb mit gedeckelten Rabatten und ein runder Politikertisch dreht sich im Kreis und findet keinen Kompromiss. Aber Gröhe ficht das nicht an: Er poliert seinen Gesetzentwurf und schärft die Begründung: Da geht’s lang!
23. Januar 2017
Es gibt sie, die Patientenvereinigungen, die wissen, was sie an der öffentlichen Apotheke vor Ort haben. Zum Beispiel der Diabetikerbund Bayern. In einem Positionspapier bekennt er sich klar zu den öffentlichen Apotheken, weil sie die „wohnortnahe, sofortige und qualifizierte Versorgung“ sichern und „Retter in der Not nachts, am Wochenende und an Feiertagen“ sind. Die Bayerische Landesapothekerkammer und der Bayerische Apothekerverband haben einen Videoclip „Diabetikerbund Bayern pro Apotheke vor Ort“ produzieren lassen, in dem die stellvertretende Vorsitzende des Diabetikerbundes Bayern ganz klar Position bezieht und sagt, warum die Apotheke vor Ort für Diabetiker so wichtig ist. Mein liebes Tagebuch, das finde ich gut. Das Video sollten sich alle Bayerischen Apotheken auf ihre Website stellen. Schön wäre es, wenn solche glasklaren Statements pro Apotheke auch von anderen Patientenvereinigungen kämen. Am liebsten auch von der Deutschen Parkinson Vereinigung, die dann Hello Apotheke und Good-Bye DocMorris sagen könnte…
24. Januar 2017
Das klingt ja erstmal gut: Ärzte, Apotheker und die AOK in Niedersachsen starten ab März ein neues gemeinsame Projekt für mehr Arzneimitteltherapiesicherheit. Der Patient (ab 65 Jahre, mindestens acht Wirkstoffe auf Rezept) bindet sich für mindestens ein Jahr an einen Hausarzt, der für ihn dann die Behandlungen koordiniert und kurze Wartezeiten bietet. Der Hausarzt kann dann gezielt eine Apotheke mit der Beratung zur individuellen Medikation beauftragen. Oder der Arzt kann selbst den Patienten dazu beraten – die Infos zu den Arzneimitteln liefert ihm die AOK Niedersachsen. Arzt oder Apotheker sollen dem Patienten die Wirkungsweise der Arzneimittel erläutern und über mögliche unerwünschte Wirkungen informieren. Außerdem soll die Medikation auf Wechselwirkungen, Kontraindikationen sowie Mehrfach- und Doppelverordnungen geprüft werden. Als Honorar gibt’s 60 Euro für Arzt oder Apotheker. So weit so gut. Mein liebes Tagebuch, was mir bei diesem Projekt zu denken gibt: Wird ein Arzt leichten Herzens die Beratung an den Kollegen Apotheker delegieren und auf 60 Mäuse verzichten? Was mir aber noch viel mehr zu denken gibt: Für die teilnehmenden Apotheken ist eine besondere Qualifikation zur Polymedikation erforderlich, die sie innerhalb von zwei Jahren nachweisen müssen, beispielsweise eine Athina-Schulung. Von Ärzten wird diese Qualifikation nicht verlangt – schon seltsam oder? Haben die Ärzte das alles schon im Studium gelernt? Sind die Ärzte die besseren Arzneimittelfachleute? Mein liebes Tagebuch, irgendwie läuft da gerade etwas richtig schief. Ich wünsche mir, dass wir als Apotheker Arzneimittelfachleute sind, die mit der Approbation die Qualifikation in der Tasche haben, Patienten über ihre Polymedikation zu beraten – so wie die AOK Niedersachsen glaubt, dass es die Ärzte können.
Ist das nun gut oder schlecht fürs Rx-Versandverbot, dass Sigmar Gabriel seinen Sessel für Martin Schulz freimacht? Schwer vorher zu sagen, mein liebes Tagebuch, zumal der Rückzug Gabriels auch einen Wechsel im Wirtschaftsministerium nach sich zieht, das ebenfalls ein Wörtchen bei einem Versandverbot und dem Apothekenhonorar mitredet. Die frühere Bundesjustizministerin Brigitte Zypries rückt an Gabriels Stelle. Mag Zypries Apotheken? Hhmm, in der ersten Großen Koalition hatte sie sich seinerzeit für Pick-up-Stellen eingesetzt, sie legte ein Veto gegen ein Pick-up-Verbot ein. Und wie sieht es mit Schulz aus? Er hat sich noch nicht zur Apotheke vor Ort geäußert, aber mit Lauterbach soll er nicht so gut können. Also, alles offen, nichts Genaues weiß man nicht.
25. Januar 2017
Da hat der Jurist Professor Christian Koenig – schon seit vielen Jahren Seit‘ an Seit‘ mit DocMorris – mit großen Worten in seinem Auftragsgutachten für den Bundesverband der Versandapotheken herumgefuchtelt: Gröhes Pläne für ein Rx-Versandverbot seien europarechtlich nicht haltbar und könnten sogar „Staats- und Amtshaftungsrisiken“ nach sich ziehen. Schwerer Tobak. Aber ist das wirklich so? Mein liebes Tagebuch, unsere „DAZ-Hausjuristen“ haben sich das Gutachten mal näher angesehen und den Rechtswissenschaftler Professor Hilko Meyer hinzugezogen, ein Fachmann im europäischen Gesundheitsrecht. Kurzes Fazit: In den Augen dieser Juristen ist das Gutachten keineswegs überzeugend. Da jongliert Koenig mit fragwürdigen Zahlen und meint, die Apotheken könnten auf Teile ihrer Handelsmarge durchaus verzichten – ein sogenanntes Höchstpreissystem wäre als milderes Regulierungsmittel ohne Weiteres mit dem EuGH-Urteil vereinbar. Und zudem habe das Bundesgesundheitsministerium, so Koenig, mögliche Alternativen zum Versandverbot nicht ausgelotet. Um es kurz zu machen: Meyer hält das Szenario der Staatshaftung schlichtweg für abwegig. Aber vielleicht wäre es nicht verkehrt, so Meyer, wenn mal zeitnah und vor dem Hintergrund ständiger Generalangriffe der EU-Kommission ökonomisch-empirische Studien erstellt würden zur Funktionsweise und Nutzen des deutschen Arzneimittelversorgungs- und -preissystems. Mein liebes Tagebuch, dafür könnte die ABDA durchaus mal Geld locker machen.
Die deutschen Versandapotheker bangen um ihre Existenz, wenn ein Rx-Versandverbot kommt – davon geht zumindest Christian Buse, der Chef des Bundesverbands Deutscher Versandapotheken aus. Auch wenn er nicht weiß, wie viel Rezepte tatsächlich von deutschen Versandapotheken beliefert werden: „Der Rx-Bereich ist von grundsätzlicher und existenzieller Bedeutung für viele deutsche Versandapotheken.“ Aha, mein liebes Tagebuch, das kann man ja erstmal so in den Raum stellen – so ganz glauben mag ich das nicht. Buse legt seinen Alternativvorschlag zum Rx-Versandverbot auf den Tisch: Die Apotheker sollten einen kleinen Teil ihrer Apothekenmarge zusätzlich an den Nacht- und Notdienst-Fonds abführen und damit solidarisch Apotheken stärken, die viele Nachtdienste leisten. Und er möchte ein Höchstpreismodell, am liebsten mit Deckel bei 2,50 Euro, damit Apotheken innerhalb eines Korridors selbst über den Preis entscheiden können. Mein liebes Tagebuch, nein, ein Höchstpreismodell können Vor-Ort-Apotheken nicht wollen, das wäre für viele Apotheken wirklich das Aus. Ein Höchstpreismodell wird dann nämlich ganz schnell zum Niedrigpreismodell. 2,50 Euro Bonus auf jedes verschriebene Arzneimittel heißt: Statt 8,35 Euro Apothekenhonorar gibt’s dann nur noch 5, 85 Euro, und dann abzüglich Kassenrabatt landen wir bei rund 4 Euro, weniger als die Hälfte. Undenkbar!
Am ernsthaften Willen des Bundesgesundheitsministers, für ein Rx-Versandverbot zu kämpfen, kann man nicht zweifeln. Er hat sogar seinen Gesetzentwurf nachpoliert: In der Sache unverändert, aber mit zum Teil geschärfter Begründung. Das Gesetz soll auf den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung abzielen und die Versorgung der Patienten mit Arzneimittel sicherstellen. Es dreht sich alles um den Gesundheitsschutz – allein darauf kommt es an, vor allem mit Blick darauf, dass man einen Rechtfertigungsgrund für das Verbot braucht, das in den Binnenmarkt eingreift. Und dann wird aufgezeigt, warum das Rx-Versandverbot eine geeignete Maßnahme dafür ist. Außerdem erklärt das Ministerium, warum das Gesetzesvorhaben mit dem Europarecht vereinbar ist und es keine milderen Maßnahmen gibt. Mein liebes Tagebuch, die Begründung liest sich schlüssig, da kann sich doch auch die SPD nicht querstellen. Eine Partei, die „sozial“ im Namen führt, kann dem Entwurf eigentlich nur zustimmen.
26. Januar 2017
Heiße postfaktische Luft wehte da kurz durchs Netz: Angeblich würden alle Ministerien dem Rx-Versandverbot zustimmen und nur noch die SPD-Bundestagsfraktion halte dagegen. Falsch, ließ die Fraktion umgehend wissen und dementierte. Das Wirtschaftsministerium habe weiteren Prüfungs- und Klärungsbedarf, es gebe keine Freigabe des Gesetzentwurfs und die Ressortabstimmung sei noch nicht eingeleitet. Mein liebes Tagebuch, das sieht wahrlich nicht nach einer Einigung zwischen Union und SPD aus. Da muss noch Überzeugungsarbeit geleistet werden.
Na klar, das hat noch gefehlt: Der Chef der
Monopolkommission, Achim Wambach, hat sich vehement gegen ein Rx-Versandverbot
ausgesprochen. Das wäre eine Schwächung des Wettbewerbs. Ginge es nach ihm,
wäre ein Bonus-Deckel die richtige Maßnahme.
Will heißen: Alle Apos dürfen Rabatte anbieten und damit der Wettbewerb nicht
zu heftig wird, soll ein Deckel drauf, der zwischen 2,50 und 5 Euro liegt. Mein
liebes Tagebuch, die Monopolkommission wäre nicht die Monopolkommission, wenn
sie auf einmal einem Versandverbot das Wort reden würde. Eine Monopolkommission
steht für Wettbewerb, koste es was es wolle – und wenn es die Gesundheit ist.
Diese Wirtschaftsprofessoren können einfach nicht anders, als an die Freiheit
des Wettbewerbs zu glauben. Dass es Waren gibt, bei denen Beschränkungen des
Wettbewerbs einen tiefen Sinn machen, steht nicht in den Lehrbüchern dieser
Professionen. Wenn solche Wirtschaftler an Arzneimittel denken, sehen sie Big
Pharma, Arzneimittelschachteln, teure Preise
– und deshalb muss da der Wettbewerb regieren. Das austarierte Gefüge von
Gesundheit und Krankheit, Patienten und Lebensqualität,
Arzneimitteltherapiesicherheit und flächendeckender Versorgung durch
inhabergeführte Apotheken passt nicht in deren Denkschemata. Und auch Wambach ist
irgendwie falsch gepolt, wenn er meint, ein Online-Versandverbot zu verbieten,
sei in einer zunehmend digitalisierten
Gesellschaft ein „falsches Signal“. Hallo, Monopolkommissions-Chef, Päckchen
verschicken ist nicht digital, sondern stinknormal analog! Und was gedeckelte
Rabatte betrifft: Das halten Vor-Ort-Apotheken nicht aus. Letztlich zerstört
das ein gut funktionierendes Gefüge, zum Nachteil von Patienten.
27. Januar 2017
Sie haben versucht, den Konflikt um ein Rx-Versandverbot zu lösen: Politiker der CDU (Nüßlein, Hennrich, Michalk) und der SPD (Franke, Dittmar, Mattheis und Lauterbach) trafen sich im Bundestag mit der gesamten ABDA-Spitze (Schmidt, Kiefer, Becker, Schmitz und Tisch) und dem Bundesverband Deutscher Versandapotheken (Buse). Mein liebes Tagebuch, da saßen sie nun, tauschten sich aus, legten Argumente pro und contra Rx-Versandverbot auf den Tisch und sprachen über Alternativvorschläge: Ob man Rx-Boni übers Sozialrecht einschränken oder verbieten kann oder ob ein Höchstpreismodell was bringt. Die Erwartungen an das Treffen wurden voll erfüllt, denn: Herausgekommen ist nichts. Man hat festgestellt, dass man von einer inhaltlichen Einigung oder gar einem Kompromiss weit entfernt ist. Die SPD-Politiker lehnen das Rx-Versandverbotsgesetz ab: zu kompliziert und zu unsicher wegen des EU-Notifizierungsverfahrens. Also, ein Treffen für die Katz? Auf keinen Fall! Miteinander reden ist immer gut. Von einem ersten Treffen kann man sich eigentlich gar nicht mehr erwarten, außer dass man weiter miteinander im Gespräch bleiben möchte. Und so soll es sein: In den kommenden Wochen will sich die Runde mehrfach treffen, hieß es. Da hilft nur eins: dran bleiben, argumentieren, kämpfen.
Während die Politik mit uns Apothekern um eine Lösung ringt, jagt DocMorris mit einer Werbebeilage für Boni und mit Freiumschlägen im DAK-Magazin den Rezepten der Versicherten hinterher. Ist bezahlte Werbung, rechtlich zulässig, sagt die DAK. Mag sein, mein liebes Tagebuch, aber eigentlich rechtlich nicht zulässig sind Rabatte auf Rx-Arzneimittel – wenn eine (Versand-)Apotheke dem Rahmenvertrag beigetreten ist. Denn dieser untersagt Boni und Rabatte auf Rx. Aber DocMorris ist das bekanntlich schnurz. Und die DAK schaut weg. Vielleicht sollte die ABDA mal eine Info-Beilage im DAK-Magazin buchen.
12 Kommentare
SPD
von Karl Friedrich Müller am 29.01.2017 um 18:13 Uhr
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Wartebank und verschobene Perspektiven
von gabriela aures am 29.01.2017 um 14:51 Uhr
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Ein Bild sagt mehr als 1.000 Worte ...
von Christian Timme am 29.01.2017 um 12:26 Uhr
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Niedersachsen vollständig
von Reinhard Rodiger am 29.01.2017 um 11:58 Uhr
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Zwangsfortbildung Niedersachsen: Wer hat´s gewollt?
von Wolfgang Müller am 29.01.2017 um 10:59 Uhr
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AW: ach, Herr Müller,
von Christian Giese am 29.01.2017 um 11:28 Uhr
AW: Puh, lieber Kollege Giese,
von Wolfgang Müller am 29.01.2017 um 18:43 Uhr
AW: Zwangsfortbildung Niedersachsen
von Dr. Schweikert-Wehner am 30.01.2017 um 9:37 Uhr
Rechtsbruch
von Karl Friedrich Müller am 29.01.2017 um 9:28 Uhr
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AW: Rechtsbruch als dosierte Pflichtanwendung.
von Christian Timme am 29.01.2017 um 13:27 Uhr
DAZ 4
von Karl Friedrich Müller am 29.01.2017 um 8:50 Uhr
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AW: DAZ 4 - Wo ist die Gegenanwendung zur Rechtsanwendung?
von Christian Timme am 29.01.2017 um 12:14 Uhr
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