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Neue Studie
Off-Label-Einsatz von Antidepressiva häufig ohne Evidenz
Knapp jedes dritte verschriebene Antidepressivum werde off label eingesetzt, ergibt eine neue Erhebung aus Kanada. Nur bei rund jeder sechsten Verschreibung gebe es gute Evidenz für den Einsatz, erklären sie. Auf Deutschland scheinen die Daten allerdings nicht eins zu eins übertragbar zu sein, unter anderem weil der Zulassungsstatus hierzulande teils anders ist.
Antidepressiva werden weltweit immer häufiger verschrieben – laut OECD hat sich die Zahl der verschriebenen Tagesdosen zwischen den Jahren 2000 und 2013 im Mittel aller Mitgliedstaaten rund verdoppelt, so auch in Deutschland. Eine im „British Medical Journal“ erschienene Studie untersuchte nun, wie oft Antidepressiva off label verschrieben wurden: Mit 29 Prozent sei gut jede dritte von über 100.000 untersuchten Verschreibungen in der kanadischen Provinz Quebec nicht von der Zulassung erfasst worden, schreiben die Forscher. insbesondere für Schmerzsymptome, Schlaflosigkeit und Migräne.
Trizyklische Antidepressiva hätten dabei den höchsten Anteil an Off-label-Verschreibungen gehabt, erklären die Forscher, während Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) oder Selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI) häufiger entsprechend der Zulassung verordnet wurden. Dabei habe es ihrer Auswertung nach nur für 16 Prozent der untersuchten Verschreibungen starke Evidenz für den Off-label-Einsatz gegeben. Bei 40 Prozent habe es hingegen starke Evidenz für ein anderes Präparat gegeben, erklären sie.
Mehr Evidenz ist notwendig
Als mögliche Erklärung für den Off-label-Einsatz führen die Wissenschaftler an, dass Ärzte bezüglich der zugelassenen Indikationen einzelner Produkte eventuell nicht immer auf dem neuesten Stand sind, durch Arzneimittel-Erstattungsregeln eingeschränkt sein könnten oder teils den Eindruck hätten, dass Therapiealternativen mit mehr Risiken verbunden sind als die Gabe von Antidepressiva. Zwar gestehen sie ein, dass ihre Auswertung nicht unbedingt auf andere Regionen oder Situationen übertragbar sei, doch fordern sie insgesamt mehr Forschung im Off-label-Bereich.
Ihre Ergebnisse „machen den dringenden Bedarf für mehr Evidenz zu den Risiken und Chancen von off label verschriebenen Antidepressiva klar“, betonen die kanadischen Wissenschaftler. Auch müssten Ärzte besser über die Evidenz aufgeklärt werden. Auch ein im BMJ erschienener begleitender Leitartikel hebt auf die „oftmals schlechte Evidenzlage“ ab, die jedoch nicht allein auf den Off-label-Einsatz beschränkt sei.
Deutscher Experte benennt Stärken und Schwächen der Studie
Der Psychiater Jürgen Fritze, der bis 2012 als leitender Arzt des Verbandes der Privaten Krankenversicherung tätig war und Mitglied der Off-label-Expertengruppe Neurologie/Psychiatrie am BfArM ist, findet die BMJ-Studie „wunderbar“, wie er auf Nachfrage erklärt. Allerdings handele es sich um eine „vergleichsweise winzige Datenbasis“, sagt Fritze, der aktuell selber Verschreibungsdaten von gesetzlich Versicherten auswertet – ebenfalls von Antidepressiva.
Aufgrund seiner vorläufigen Auswertung kommt er teils zu anderen Ergebnissen als die kanadischen Kollegen – so beim trizyklischen Antidepressivum Amitriptylin, welches laut der aktuellen Studie zu mehr als 90 Prozent off label verschrieben worden sei. In Deutschland habe er keinen nennenswerten Off-label-Einsatz gefunden, erklärt Fritze – was offenbar unter anderem daran liegt, dass es hierzulande beispielsweise für Schmerzpatienten zugelassen ist. Da Amitriptylin einen größeren Teil der gesamten Off-label-Verschreibungen ausmacht, rechnet er mit einem insgesamt geringeren Off-label-Einsatz von Antidepressiva in Deutschland. Bei einigen Mitteln wie beispielsweise Trimipramin sind in Deutschland laut Fritze jedoch ähnliche Ergebnisse zu beobachten.
Forschungsministerium sei zuständig
Ohnehin seien Diagnosen und Indikationen im psychiatrischen Bereich nicht klar abgrenzbar, argumentiert Fritze. So werde beispielsweise das trizyklische Antidepressivum Opipramol bei sehr vielen psychischen Störungen verordnet, obwohl es laut Zulassung nur bei somatoformen Störungen und generalisierten Angsterkrankungen zugelassen sei. „Ich will es aber nicht als Skandal verkaufen, denn bei Licht betrachtet sind unsere ganzen psychischen Krankheiten ja nur Konstrukte und Konventionen“, erklärt der Psychiater: So gebe es regelmäßig Änderungen der Krankheits-Klassifikationssysteme DSM-5 oder ICD-10, die auch einen bisherigen zulassungsgemäßen Gebrauch zum Off-label-Use machen könnten.
Auch Fritze fordert dringend mehr Forschung. Es sei „ärgerlich“, dass die Generika-Hersteller mit Präparaten wie Opipramol „viel Geld verdienen – aber keine Studien finanzieren“, betont er. Naturgemäß hätten sie kein wirkliches Interesse, Studien durchzuführen. „Am Ende müssen es öffentliche Fördertöpfe sein“, sagt Fritze. Dafür zuständig sei primär das Bundesforschungsministerium. „Ein erster finanzierbarer Schritt könnte sein, dass man zu einer Auswahl von solchen Off-label-Indikationen Register führt“, erklärt er. „Dies wäre man meines Erachtens den Patienten schuldig.“
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