Folgen des EuGH-Urteils

Apotheken droht die „schiefe Ebene“

Hamburg - 24.02.2017, 15:00 Uhr

Dr. Frank Diener brachte zu einem Seminar in Hamburg frische Daten zum Rx-Absatz der Apotheken mit. (Foto: Treuhand Hannover)

Dr. Frank Diener brachte zu einem Seminar in Hamburg frische Daten zum Rx-Absatz der Apotheken mit. (Foto: Treuhand Hannover)


Unterschiedliche Daten zum Anteil von Rx-Arzneimitteln

Diener stellte eine Analyse der Absätze verschreibungspflichtiger Fertigarzneimittel in der GKV vor. Die Zahl der Packungen sei im Oktober 2016 um 5,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr gesunken und im November um 6,3 Prozent gestiegen. Beides lasse sich durch die jeweilige Zahl der Arbeitstage erklären. Im Dezember 2016 sei die Packungszahl um 1 Prozent gestiegen und für Januar 2017 zeichne sich auch ein Anstieg ab. Hier lasse sich also noch keine Abwanderung nachweisen. Dies sei durch das Marktwachstum, kurzfristige Schwankungen und träge Verhaltensänderungen zunächst schwer. Doch habe Quintiles IMS für den Rx-Versand 7,9 Millionen Packungen beziehungsweise 1,0 Prozent Marktanteil im Jahr 2016 ausgewiesen – gegenüber 4,1 Millionen Packungen beziehungsweise 0,6 Prozent Marktanteil im Jahr 2015. Dies spreche für einen dramatischen Zuwachs in sehr kurzer Zeit. Wenn dies langfristig so weiterginge, würden die verbleibenden Vor-Ort-Apotheken die Umsätze verlieren, die sie durch das Marktwachstum und die Schließung anderer Apotheken gewinnen könnten. Zugleich würden die Betriebskosten weiter steigen. Nach Einschätzung von Diener würden daraufhin zwar nicht schlagartig tausende Apotheken schließen, aber immer mehr Apotheken würden auf eine „slippery slope“ geraten. Derzeit hätte etwa ein Fünftel der Apotheken „kein Wasser unter dem Kiel“, aber dann würden immer mehr Apotheken in diese problematische Zone rutschen. Weitere Probleme könnten durch das Verfahren vor dem Bundesgerichtshof zu Skonti drohen.  

Problematische Alternativen

Auch Diener warnte eindringlich vor den Folgen von Boni in Deutschland. Denn solche Boni müssten auch allen Stammkunden gewährt werden. Der Verlust sei dann insgesamt voraussichtlich größer als der Gewinn durch zusätzliche Kunden. Letztlich stünden alle Apotheken schlechter da. Daher folgerte Diener: „Das Rx-Versandverbot ist die einzige kausale Therapie für das EuGH-Urteil.“ Auch Diener sprach sich gegen den Vorschlag von SPD-Politikern aus, Boni zu begrenzen. Denn auch dies erfordere Zeit und greife überhaupt nicht für die PKV. Eine komplett neue Apothekenhonorierung brauche noch mehr Zeit. Dies zeige das Beispiel der Ärzte, die seit vier Legislaturperioden an einer neuen Gebührenordnung arbeiten würden. Der kleinste gemeinsame Nenner sei letztlich „wait and see“, also nichts zu tun. Dann drohe den Apotheken die „Korrosion des Systems“ durch das langsame Wegrutschen auf der zuvor beschriebenen „schiefen Ebene“, erklärte Diener.



Dr. Thomas Müller-Bohn (tmb), Apotheker und Dipl.-Kaufmann
redaktion@daz.online


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3 Kommentare

Die Schiefe Ebene ist schon da !

von Alfons Neumann am 02.03.2017 um 4:03 Uhr

Im öffentlichen Dienst sind andere Größenordnungen beschlossen worden: http://www.tagesschau.de/multimedia/video/video-261363.html
Die bisher bei uns durchgeführte 0,3%-ige Jahres-Erhöhung des Fixhonorars ist dagegen ein schlechter Witz - wir führen doch auch Gemeinwohl-Pflichten aus - sind WIR es nicht wert ??

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Wo ist die schiefe Ebene ?

von Reinhard Rodiger am 24.02.2017 um 20:13 Uhr

Besonders schief ist die Ebene,auf der die Fakten abrutschen.Niemand registriert, dass die Monopolkommission darauf hingewiesen hat,dass der Versand (durch die Freigabe der OTC-Preise) die Zahl der Apotheken vermindert hat. Der Grund ist nachhaltige Senkung der Erträge. Die bisherige Erfolglosigkeit der Rx-Versandaktivitäten ändert sich schlagartig bei Preisfreigabe.Das war vorhersehbar. Wer muss sich für dieses Zeitschinden und die Verschiebung dieses Warnsignals verantworten? Natürlich wieder keiner.
Weitsichtige Politik hätte dies sehen können.Es handelt sich um die Wiederholung des gleichen Prinzips.
Zusätzlich ist zu fragen, wieviele Apotheken werden von der Treuhand nicht erfasst? Die Gefährdungsziffer (20%) ist bemerkenswert klein gegenüber dem Anteil der unterdurchschnittlichen,unverkäuflichen Apotheken.(über 50%)

Das ist die wahre schiefe Ebene, auf der mehr als zugegeben abwärts rutschen.Schon lange.Deshalb sind solche Treuhand-Beschönigungen kontraproduktiv.Der richtige Zeitpunkt für die Mahnung ist verpasst.Cui bono?

Selbst so grobe Angaben wie bis zu 3% des GKV-Marktes gehe über Versender sollte Warnglocken läuten lassen.Es geht um etwa 1 Mrd Umsatzentzug mit unlauteren Mitteln.Dies als bedeutungslos darzustellen ist verantwortungslos.Max Müller sprach von einem Anteil an "seinem" Umsatz von 2/3 ! Das passt alles nur sehr ungefähr zusammen.Tatsache bleibt, es ist Aderlass, der mit nicht legalen Mitteln erkauft wurde.Dies ist natürlich abgeleitet von nicht gezahlten Strafen.(DMo)

Wann gibt es rechtzeitige und umfassende Analysen?

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Was ist die Steigerung von Warnungen?

von Christian Timme am 24.02.2017 um 17:45 Uhr

Änderungen im Kaufverhalten erfolgen selten in "Echtzeit" (Weihnachtsbutter/CMA), deshalb sind erlaubte Boni, egal in welcher Höhe, erstmal ein schleichendes "Anfüttern". Wenn sich dann erst mal der "Geschmack" einstellt hat, ist er sozusagen wahrgenommen, wird weiter gelernt und ist ausbaufähig. Derartige Prozesse treten nun wirklich nicht das erste Mal auf?. Der bereits genannte Datenanbieter erhebt nicht erst seit gestern und IMS Health bzw. AC Nielsen gibt es seit über 60 Jahren ...

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