Arzneimittelpreise

Blockbustermodell auf dem Prüfstand

Stuttgart - 10.04.2017, 11:20 Uhr

Keine Garantie: Häufig scheitern vermeintliche Blockbuster am Markt. (Foto: Gina Sanders / Fotolia)

Keine Garantie: Häufig scheitern vermeintliche Blockbuster am Markt. (Foto: Gina Sanders / Fotolia)


Der Widerstand gegen hochpreisige Therapien hat deutlich zugenommen. Zunehmend können Biotech- und Pharmaunternehmen ihre hochgesteckten Umsatzziele deshalb nicht erreichen. Gleichzeitig sollen die Firmen die satten Renditeerwartungen der Finanzmärkte erfüllen. Beobachter fragen sich, ob das Geschäftsmodell mit teuren Biotech-Blockbustern noch funktioniert. In den USA gibt es aktuell einen Testfall.  

Trotz aller Erfolge, die die Pharma- und Biotechindustrie in jüngerer Zeit mit neuen Arzneimitteln feiern konnte, ist unübersehbar, dass auch die Zahl der Enttäuschungen zugenommen hat. Eine Reihe von Präparaten, die Umsätze im Milliarden-Dollar-Bereich versprachen, erwiesen sich angesichts zunehmenden Widerstands gegen hohe Arzneimittelpreise als kommerzielle Enttäuschung. So kamen beispielsweise 2015 die Cholesterinsenker aus der Gruppe der PKSC9-Inhibitoren Praluent und Repatha mit hohen Erwartungen auf den Markt. Jedem dieser beiden Produkte wurde nachgesagt, es könnte in der Spitze Jahresumsätze von drei Milliarden Dollar erzielen.

Wie das Fachmedium Statnews nun berichtet, stieß ihr Listenpreis von rund 14.000 Dollar für eine Jahresbehandlung allerdings nicht auf das Wohlwollen der Erstatter. Diese hätten in den USA seitdem rund 80 Prozent der erstmaligen Verschreibungen für diese Arzneimittel zurückgewiesen und damit die milliardenschweren Umsatzerwartungen der Hersteller Amgen und Sanofi vorerst zunichtegemacht. Das schlägt sich in der Bilanz nieder. Für das dritte Quartal 2016 berichtet Sanofi Praluent-Umsätze in Höhe von gerade mal 35 Millionen Dollar, davon sechs Millionen in Europa. Das Unternehmen verweist in dem Zusammenhang auf „signifikante Restriktionen“ seitens der Erstatter in den USA sowie „begrenzten Marktzugang“ in Europa.

Eine ähnliche Entwicklung hat das Herzmittel Entresto, die fixe Kombination aus Valsartan und Sacubitril, von Novartis genommen. Vorstandschef Joseph Jimenez hatte vor dem Markteintritt 2015 in dem Präparat noch einen Multi-Blockbuster gesehen, der es auf Umsätze von mehr als fünf Milliarden Dollar bringen könnte. Aber diese Hoffnung scheint angesichts schleppender Verschreibungszahlen in den USA und eines enttäuschenden Verkaufsstarts in Europa erstmal nicht erreichbar.

Testfall Dupixent

Mit Spannung blickt die Branche laut Statnews nun auf einen aktuellen Testfall. Der könnte zeigen, ob die Fehlschläge der vergangenen Jahre nur Ausrutscher waren, oder ob sie beunruhigende Einblicke in eine neue Normalität geben, in der es hochpreisigen Arzneimitteln zunehmend schwer fällt, die Gunst der Erstatter zu gewinnen und damit Chancen auf hohe Umsätze zu erfüllen. Dupixent (Dupilumab), eine neue Therapie zur Behandlung der mittelschweren bis schweren Neurodermitis, hat kürzlich grünes Licht von der US-Zulassungsbehörde FDA bekommen. Mit einem Preis von 37.000 Dollar pro Jahr ist allerdings auch dieses Präparat, welches von Regeneron Pharmaceuticals und Sanofi vermarktet wird, kein Schnäppchen. 

Erstatter machen mobil

Banker und Analysten kalkulieren damit, dass Dupixent in der Spitze mehr als fünf Milliarden Dollar Umsatz erwirtschaften kann – pro Jahr. Aber genau dieser üppige Preis könnte den wirtschaftlichen Erfolg auch gefährden. Insbesondere in den USA macht eine wachsende und zunehmend kämpferische Gruppe von Erstattern und zwischengeschalteten Institutionen gegen hochpreisige Produkte der Pharma- und Biotechbranche mobil. Laut Statnews fordert sie Rabatte, verweigert Verschreibungen und verlangt von der Industrie, ihre wirtschaftlichen Erwartungen neu auszurichten.

„Vor einigen Jahren bedeutete die Zulassung eines Arzneimittels, Zugang zu vielen Patienten zu bekommen“, zitiert das Medium Simos Simeonidis, einen Biotechanalysten von RBC Capital Markets. „Das ist heute definitiv nicht mehr der Fall.“

Heute gehöre es vielmehr dazu, vor Pharmacy-Benefit-Managern zu katzbuckeln, die für US-Erstatter den Preis von Arzneimitteln aushandeln. Das habe dazu geführt, dass die Pharmaunternehmen mittlerweile Nachlässe von durchschnittlich 30 Prozent auf ihre Listenpreise gewähren. Übernachterfolge wie der von Gilead Sciences’s Hepatitis-C-Therapie, der allein im ersten Jahr der Vermarktung zehn Milliarden Dollar Umsatz einbrachte, gehören damit nach Analystenmeinung der Vergangenheit an. 

Manager in der Zwickmühle 

Auf der anderen Seite verlangen die Investoren in der Biotech- und Pharmabranche unverändert eine stattliche Rendite. Diese Mischung aus finanziellen Erwartungen und wachsendem Preiswiderstand bringt die Vorstandschefs von Biotech- und Pharmaunternehmen in eine unkomfortable Position. Setzen sie den Preis ihrer Produkte zu niedrig an, riskieren sie eine Revolte der Geldgeber oder gar ihren Job. Ist der Preis dagegen zu hoch, droht Gefahr, dass Ärzte und Krankenkassen das Produkt nicht in dem erwarteten Ausmaß verschreiben. 

Umso interessierter richten sich derzeit die Blicke der Pharmabranche auf Sanofi und Regeneron. Die Frage: Wieviel Umsatz und Ertrag können die Konzerne aus der neuen Ekzem-Arznei Dupixent herausholen – und wie gehen sie dabei vor? Immerhin können die Unternehmen argumentieren, dass ihr Injektionspräparat bislang erstaunliche Ergebnisse gezeigt hat. In klinischen Tests sollen die Ekzeme in rund 40 Prozent der Fälle verschwunden sein, bei rund der Hälfte der Patienten sei der Ausschlag um mindestens 75 Prozent zurückgegangen.

„Ich habe zahlreiche Patienten, die förmlich darauf warten, dass das Produkt auf den Markt kommt“, zitiert Statnews Dr. Jenny Murase, Dermatologist an der Palo Alto Medical Foundation in Kalifornien. Gestützt wird diese Aussage von Analysten der US-Investmentbank Baird, die davon ausgehen, dass das Präparat rasch von Dermatologen verschrieben wird.

Krankenversicherer könnten blockieren

Doch könnten Krankenkassen auch in diesem Fall den wirtschaftlichen Erfolg des hochpreisigen Produktes erschweren oder gar zunichtemachen. So könnten sie von behandelnden Ärzten Nachweise verlangen, dass bei den Patienten zuvor andere Therapien angewendet worden sind, die nicht den gewünschten Erfolg brachten.

„Wohlwissend, dass dies ein naiver Kommentar ist, hoffe ich, dass die Erstatter den Ärzten und Patienten die Entscheidung überlassen, welche Therapie die richtige ist“, zitiert Statnews Julie Block, Präsidentin und Vorstandschefin der US-amerikanischen National Eczema Association. Sollten Krankenversicherungen und Benefit-Manager sich dem in den Weg stellen, sei die Organisation bereit, zu kämpfen.

Rückschläge für Tesaro und Marathon Pharmaceuticals

Wie vorsichtig die Branche mittlerweile bei der Preisgestaltung neuer Arzneien vorgeht, zeigt das aktuelle Beispiel des US-Biotech-Unternehmens Tesaro: Es lehnte dieser Tage ab, den Listenpreis für ein neues Krebspräparat zu nennen. In einem anderen Fall hat Marathon Pharmaceuticals nach einem öffentlichen Aufschrei sein Vorhaben aufgegeben, ein Präparat zur Behandlung der Muskeldystrophie Duchenne für 89.000 Dollar pro Jahr zu verkaufen.

Möglicherweise lernt die Industrie gerade dazu. So sollen sich im Fall Dupixent Vertreter von Regeneron mit US-Erstattern getroffen haben, noch ehe die FDA ihr Okay für das Präparat gegeben hat. Möglicherweise mit positiven Resultaten. So soll Express Scripts, ein Unternehmen, das die Arzneimittelpreise im Namen von rund 83 Millionen Versicherten aushandelt, geäußert haben, dass der Preis von Dupixent durchaus angemessen sei. Derweil lässt Regeneron-Chef Leonard Schleifer verlauten, er sei optimistisch, dass sein Unternehmen in Kooperation mit Erstattern „neue Paradigma“ setzen könne. 



Thorsten Schüller, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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