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Preisbindung und Versandhandel im Bundestag
EU-Versandapotheken wollen sich in die Bücher schauen lassen
Die EU-Versandapotheken wollen mit aller Kraft nachweisen, dass ihre Marktzuwächse der Arzneimittelversorgung in Deutschland nicht schaden. Bei der heutigen Besprechung dreier Anträge im Gesundheitsausschuss des Bundestages bot Max Müller, Vorstandsmitglied bei DocMorris, an, interne Rechnungen vorlegen zu wollen. Außerdem wird immer klarer, dass in der nächsten Legislaturperiode eine Reform des Apothekenhonorars bevor steht.
Am heutigen Mittwoch trafen sich im Bundestag die Vertreter mehrerer Fachverbände, um von Gesundheitspolitikern aller Fraktionen zum Apothekenmarkt befragt zu werden. Gegenstand der Diskussion waren drei Anträge: Einerseits wollen die Linken das Rx-Versandverbot und das Ende der Zuzahlungen besiegeln. Andererseits fordern die Grünen in ihrem Antrag eine teilweise Aufweichung der Rx-Preisbindung sowie eine Überprüfung des Apothekenhonorars, um Apotheker künftig mehr für Dienstleistungen als für die Packungsabgabe zu bezahlen.
Bei der Besprechung des Rx-Versandverbotes zeigte sich erneut, wie weit die Meinungen der Versandhändler und der Apotheker auseinander klaffen. Befragt wurden dazu vier Einzelsachverständige, zwei von ihnen Juristen. Als europarechtskonform und verfassungsrechtlich möglich bezeichnete Professor Helge Sodan, Jurist und Experte für öffentliches Recht, das Rx-Versandverbot. Unterstützung erhielt Sodan vom Gesundheitsökonomen Professor Uwe May, der im Auftrag der Noweda und des Deutschen Apotheker Verlags ein gesundheitsökonomisches Gutachten zugunsten des Rx-Versandverbotes verfasst hat.
Juristen-Streit um das Rx-Versandverbot
May wies aus ökonomischer Sicht darauf hin, dass es „erhebliche“ Konsequenzen hätte, wenn die Rx-Preisbindung auch hierzulande aufgeweicht würde. Die Festpreise dienten einerseits dazu, Patienten vor zu hohen Preisen zu schützen und andererseits dazu, das Abrutschen der Preise unter ein Niveau zu verhindern, das sich schädlich für den Erhalt der Apotheke vor Ort auswirken könnte. Er zeigte sich „besorgt“ darüber, dass Arzneimittel im Versandhandel einen „Warencharakter“ bekämen. Wörtlich sagte May: „Arzneimittel hängen mit einer Dienstleistung des Apothekers zusammen. Wenn man sie als ‚Ware‘ deklariert, gewinnt nur der kostengünstigste Anbieter.“ Außerdem setzte diese Sichtweise voraus, dass der Verbraucher „souverän“ sei. „Aber ein kranker Patient ist nicht souverän. Er kennt den wirklichen Beratungsbedarf nicht. Wir als Gesellschaft wollen, dass der Patient eine Beratung erhält und nicht vor die Wahl gestellt wird, ob eine Beratung nötig ist oder nicht.“
Professor Sodan beschäftigte sich mit der Frage, ob das Rx-Versandverbot ein verfassungswidriger Eingriff in die Berufsfreiheit sei. Er wies allerdings darauf hin, dass es für Eingriffe in die Berufsfreiheit Ausnahmen gebe – und eine davon sei der Gesundheitsschutz. „Da Präsenzapotheken nicht nur Abgabestellen, sondern auch Beratungsstellen sind, hat der Bürger ein Interesse an einem möglichst dichten Netz an Apotheken.“ Bevor man dieses Netz gefährde sei ein Eingriff in die Berufsfreiheit verhältnismäßig, also verfassungskonform.
Wäre das Versandverbot europarechtskonform?
Gegen das Rx-Versandverbot sprach sich Professor Ernst Hauck, Vorsitzender Richter am Bundessozialgericht, aus. Hauck hatte in einem Fachaufsatz im März erklärt, dass das Verbot aus seiner Sicht nicht europarechtskonform sei. Das Verbot sei eine Einfuhrbeschränkung schränke die Warenfreiheit ein. Ein solcher Eingriff sei nur möglich, wenn eventuelle negative Erfahrungen mit dem Versandhandel vorlägen, was nicht der Fall sei. Sodan konterte, dass der EuGH den Mitgliedsstaaten im sogenannten „DocMorris-Urteil“ (2003) eingeräumt habe, dass der Rx-Versand im Gegensatz zum OTC-Versand reguliert werden könne und dass dies auch im überwiegenden Teil der europäischen Länder auch so gehalten werde.
Nachdem die Juristen und Ökonomen ihre Meinungsverschiedenheiten ausgetauscht hatten, stellten die Politiker auch Fragen an die Vertreter der Apotheker und Versandapotheker. ABDA-Präsident Friedemann Schmidt war alleine im Bundestag erschienen. Schmidt zeigte erneut, wo seine Stärken liegen: Als einziger Sachverständiger erschien Schmidt ohne Notizen oder Akten und redete frei. Inhaltlich brachte der ABDA-Präsident jedoch wenig neue Argumente mit in den Gesundheitsausschuss. Angesprochen darauf, ob die Präsenzapotheken den Wegfall des Versandhandels „auffangen“ könnten, erklärte Schmidt: „Es gibt schlichtweg keine Patienten, die auf den Versandhandel angewiesen sind. Die Apotheken sicherten die Versorgung über Rezeptsammelstellen und Botendienste.“
Schmidt: Patienten brauchen den Versandhandel nicht
Auch das Argument, dass die Apotheker die Patienten der sogenannten „Spezialversender“ nicht versorgen könnten, wies Schmidt erneut von sich. „Das sind einige wenige hochspezialisierte, Versandapotheken, die in einzelnen, sehr seltenen Indikationen überregional Patienten beliefern.“ Der ABDA-Präsident wies erneut auf den Vorschlag der ABDA hin, dass Apotheker sich auch gegenseitig mit solchen besonderen Rezepturen beauftragen können sollten.
Außerdem sprach sich Schmidt vehement gegen den Antrag der Grünen aus, der einen sogenannten „Boni-Deckel“ beinhaltet. Gefragt wurde er, ob auch kleine Rx-Boni von etwa einem Euro wirklich schon negative Auswirkungen auf die Apotheken haben könnten. Schmidt brachte dazu Zahlen aus seiner eigenen Apotheke mit: „Dort gebe ich pro Jahr etwa 36.000 Rx-Packungen an GKV-Versicherte ab. Bei einem OTC-Anteil von etwa 10 Prozent habe ich ein Betriebsergebnis von rund 83.000 Euro. Ein Preiswettbewerb von einem Euro würde mein Betriebsergebnis um ein Drittel absinken lassen, der Anreiz zur Selbstständigkeit wäre auf Null reduziert.“ Auch der Ökonom Uwe May erklärte, welche Auswirkungen der 1-Euro-Bonus aus seiner Sicht hätte: „Das würde in etwa 1000 Ortschaften die Apotheke kosten.“
Wie hoch ist der Marktanteil der Versandapotheken?
Eine sehr interessante Diskussion entwickelte sich zum Marktanteil der Versandapotheken. ABDA-Präsident Schmidt wurde danach gefragt, wie die ABDA denn darauf komme, dass der Versandhandel bei einer Aufhebung der Preisbindung um mehr als 20 Prozent an Marktanteilen gewinnen würde. Es folgte der schwächste Moment des ABDA-Präsidenten, der keine konkreten Belege vorwies, sondern auf „Einzelhandelsstudien“ und Kundenbefragungen der Versandhändler selbst verwies. Außerdem sagte Schmidt, dass Walter Oberhänsli, Chef von der DocMorris-Mutter ZurRose, selbst gesagt habe, dass er nur mit DocMorris einen Marktanteil von 9 Prozent anpeile.
Max Müller, als Vertreter der EU-Versandapotheken geladen, nutzte diese Schwäche sofort aus. „Wir haben jetzt viele Vermutungen gehört, aber keine Empirie und Fakten. Fakt ist, dass die Versandapotheken nach 14 Jahren im OTC-Markt einen Marktanteil von etwa 12 Prozent haben, im Rx-Bereich liegt das zwischen 1 und 2 Prozent.“ Was das Wachstum betrifft, so hätten die EU-Versender seit dem EuGH-Urteil im Oktober einen eigenen Anstieg von 6 bis 7 Prozent verzeichnen können. Mit Blick auf den gesamten Markt entspreche das einem Anstieg von 0,1 bis 0,2 Prozent, erklärte das DocMorris-Vorstandsmitglied. „Damit das aber für alle nachprüfbar ist, möchte ich folgenden Vorschlag machen: Wir würden über einen Zeitraum von einem Jahr alle unsere Bücher von unabhängiger Stelle überprüfen lassen. Dann würde sich zeigen: Ein Marktanteil von 25 Prozent ist Utopie und Wunschkonzert.“
Aber auch die Versandapotheken kamen nicht ganz ohne Schwächen durch die Befragung. Christian Buse, Chef des Bundesverbandes Deutscher Versandapotheken (BVDVA), wurde nach dem Marktanteil der Spezialversender gefragt und ob deren Wegfall ein echtes versorgungstechnisches Problem sein könne. Buse wich dieser Frage allerdings aus und erklärte, dass der Markt „intransparent“ sei. Er führte die Krankengeschichten von Kindern an, die an Spina Bifida leiden und von Spezialversendern versorgt werden. Auch DAZ.online hatte den BVDVA schon mehrfach gefragt, wie viele solcher Versender es gibt und wie viele Patienten von ihnen versorgt werden. Eine Antwort steht bis heute aus.
Apothekenhonorar steht vor Reformen
Nur über eine Sache waren sich alle Sachverständigen einig: Der Gesetzgeber muss das Apothekenhonorar umstellen. Zunächst diskutierte die Runde Sicherungszuschläge für Landapotheken, wie sie etwa in Großbritannien gezahlt werden. Zur Erklärung: Im Vereinigten Königreich erhalten Apotheken auf dem Land Zuschläge, wenn sie besonders versorgungsrelevant sind. Friedemann Schmidt wollte davon aber nichts wissen. Einerseits bestehe in Deutschland die Niederlassungsfreiheit.
Es liege ausschließlich am „freien Willen“ der Apotheker, wo eine Apotheke entsteht. Solche Sicherstellungszuschläge seien aber immer daran gebunden, wo und in welcher Region eine Apotheke ist und ob diese Region unter- oder überversorgt sei. „Und dafür haben wir in Deutschland keine Bewertungsmöglichkeiten. Es ist einfach schwierig zu sagen, welche Apotheke in dieses Raster fällt und welche nicht.“ Allerdings erklärte auch Schmidt, dass es „gewisse Stabilisierungsmaßnahmen“ für manche Apotheken brauche.
Als „sehr verwunderlich“ bezeichnete Johann Magnus von Stackelberg, stellvertretender Vorsitzender des GKV-Spitzenverbandes, diese Äußerungen. Er wundere sich, warum die ABDA ein solches Angebot ablehne. Deswegen appellierte er an die Abgeordneten: „Sie werden nicht daran vorbeikommen, sich die Vergütung anzuschauen. Wir würden es sehr begrüßen, wenn die Dienstleistungen der Apotheker künftig direkt vergütet würden.“
2 Kommentare
Zahlen aus erster Hand ... für "Sonderschüler" ...
von Christian Timme am 17.05.2017 um 23:56 Uhr
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RX-Versandverbot
von Dr. Radman am 17.05.2017 um 17:45 Uhr
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