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Italien
Homöopath muss sich wegen Todesfall verantworten
Ende Mai verstarb in Italien ein siebenjähriger Junge wegen einer Mittelohrentzündung, die auf das Gehirn übergriff. Sein Arzt muss sich nun wegen des Todesfalls verantworten, da er seinen Patient offenbar nur mit homöopathischen Präparaten statt mit Antibiotika therapieren wollte. Auch in Deutschland sorgt der Fall für Entsetzen.
Ein Junge aus dem westlich von Ancona gelegenen Dorf Cagli verstarb im Mai, nachdem eine Mittelohrentzündung sich laut Medienberichten zu einer Hirnentzündung ausgebreitet hatte. Der junge Patient könnte vermutlich noch leben, wenn er mit Antibiotika behandelt worden wäre – doch sein Arzt, der den Jungen seit drei Jahren kannte, behandelte ihn offenbar nur mit Homöopathika. Als er immer schwächer wurde, kam der Junge ins Krankenhaus – doch es war zu spät, er fiel in einen schweren komatösen Zustand.
Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen fahrlässiger Tötung – und Anfang dieser Woche wurde der Homöopath vor einer Standesorganisation befragt. Gleichzeitig ermittelt die Staatsanwaltschaft auch gegen die Eltern, um zu klären, inwiefern sie ihren Fürsorgepflichten nachgekommen sind. Der Großvater des Siebenjährigen erklärte gegenüber Medien, der Homöopath habe die Eltern davon abgehalten, den Jungen schon früher ins Krankenhaus zu bringen. Der Arzt gab der Presse gegenüber bislang keine Stellungnahme ab.
Pharmaverband verweist auf Arzt oder Apotheker
Die Behandlung – laut Medienberichten – mit homöopathischem „Arnica Montana“ anstatt mit Penicillin rief in Italien wie Deutschland Entsetzen hervor. Anlässlich des tragischen Todesfalls betonte Hermann Kortland, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Arzneimittel-Hersteller (BAH), dass homöopathische Präparate „amtlich zugelassen und auf ihre Qualität, Sicherheit und Unbedenklichkeit hin geprüft“ seien. „Wie alle anderen Arzneimittel auch, haben Homöopathika therapeutische Grenzen, die jeder verantwortungsvolle Apotheker und Arzt kennen sollte“, erklärte der Pharmaverband.
Homöopathische Präparate unterliegen in Italien und Deutschland ähnlichen Regeln: Wie hierzulande können sie entweder ohne Angabe eines Anwendungsgebietes registriert werden oder eine Zulassung durch die Arzneimittelbehörde erhalten. Zwar können viele homöopathische Mittel auch in einer so genannten „Parafarmacia“ abgegeben werden, in denen nur OTC-Präparate erhältlich sind, doch ist auch hier die Anwesenheit eines Apothekers erforderlich.
Homöopathie-Zentralverein kritisiert Kollegen
In einer Presseerklärung zeigte sich der Deutsche Zentralverein homöopathischer Ärzte (DZVhÄ) „bestürzt“ über den Todesfall. „Hier liegt offenbar ein ärztlicher Kunstfehler vor“, erklärte die Vorsitzende Cornelia Bajic. „Der Verzicht auf Antibiotika scheint in diesem Fall eine klare unterlassene Hilfeleistung und nicht mit dem ärztlichen Selbstverständnis vereinbar.“ Wenn sich die Vorwürfe gegen den Kollegen bestätigen, sollte gegen ihn die „volle Härte der italienischen Gesetze“ angewendet werde, fordert sie. Hierzulande würden klare Regeln „bei korrekter Anwendung“ vergleichbare Fälle verhindern. „Ein homöopathischer Kinderarzt kennt die Grenzen der ärztlichen Homöopathie ebenso wie die Grenzen einer konventionellen Pharmakotherapie“, hatte Bajic anlässlich eines Todesfalls eines anderen, von seinen Eltern mit Homöopathika behandelten italienischen Kindes im Jahr 2011 erklärt.
Der DZVhÄ verweist darauf, dass auch hierzulande nicht sofort Antibiotika verschrieben werden. „Auch die konventionelle Medizin mahnt die Ärzte zu einem angemessenen Einsatz von Antibiotika und steht dem hohen Verbrauch von Antibiotika in Deutschland kritisch gegenüber“, erklärt der Zentralverein. Der einzelne Arzt müsse die Risiken und Vorteile für seinen Patienten abwägen. Der DZVhÄ verweist auf die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) – bei Patienten ohne Risikofaktoren mit einer unkomplizierten akuten Otitis media sollte auf die sofortige antibiotische Therapie verzichtet werden, schreiben die Homöopathen, die auf einer Webplattform homöopathische Mittel für Mittelohrentzündungen empfehlen. Selbst bei Fieber und Erbrechen sei es laut der Leitlinie vertretbar, die ersten 24 bis 48 Stunden unter Beobachtung des Kindes abzuwarten und erst bei einer Verschlechterung der Symptome oder einer ausbleibenden Besserung Antibiotika zu verordnen, argumentiert der DZVhÄ.
Laut Kritikern nur Spitze des Eisbergs
Das Homöopathie-kritische „Informationsnetzwerk Homöopathie“ (INH) widerspricht der Stellungnahme des Zentralvereins deutlich. Der DZVhÄ sehe im Grunde den „ärztlichen Kunstfehler“ wie einen bedauerlichen Einzelfall, jedoch keine Verantwortlichkeit der Homöopathie als Therapierichtung, kritisiert das INH. Das INH ist der Meinung, dass in der Entscheidung für eine homöopathische Behandlung anstelle wissenschaftlicher Medizin das Schadenspotenzial bereits im Kern angelegt sei.
Das potenzielle Risiko für solche Vorkommnisse bestehe nach Aufassung des Netzwerkes bei einer Entscheidung für eine homöopathische Behandlung im Grundsatz und von Anfang an. Beim Zusammentreffen einer nicht selbstlimitierenden Erkrankung und der Annahme, diese mit Homöopathie bekämpfen oder gar heilen zu können, verwirkliche sich dieses Risikopotenzial zwangsläufig, heißt es. Es sei nicht unüblich, dass Homöopathie-Anhänger sich komplett von der Medizin abwenden und auch Antibiotika als „Chemie“ oder „schädlich“ ablehnen. Daher stellt der aktuelle Fall nach Ansicht des INH nur die Spitze des Eisbergs dar.
3 Kommentare
Homöopathika und Antibiotika
von 2xhinschauen am 10.06.2017 um 0:17 Uhr
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Globuli und Antibiotika sind nicht gleichwertig
von 2xhinschauen am 07.06.2017 um 22:39 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort
AW: Globuli und Antibiotika sind nicht
von Peter Oettler am 08.06.2017 um 17:22 Uhr
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