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Apobank-Studie
„Apotheker müssen umdenken und brauchen neue Visionen“
Mit ihrer Studie zur Zukunft der Heilberufe hat die Apobank in dieser Woche den ganzen Apothekenmarkt verunsichert. Gehen wirklich die meisten Apotheker davon aus, dass es bald nur noch Apothekenketten gibt und dass die Arbeit in der Offizin ausstirbt? Wie verlässlich sind die Zahlen der Apobank überhaupt? DAZ.online hat unter anderem beim Vize-Chef der Bank, Ulrich Sommer, nachgefragt.
„Zukunftsbild Heilberufler 2030 – Entwicklung der Versorgungsstruktur aus Sicht junger Professionals“ – so hieß die Umfrage, die das Meinungsforschungsinstitut forsa im Auftrag der Apobank unter 403 Heilberuflern durchgeführt hatte. Neben Zahnärzten und Ärzten hatten sich genau 100 Apotheker an der Befragung beteiligt. Und: Es ging ausschließlich um die Meinung des Nachwuchses. Gefragt wurden nur Apotheker, die zwischen 25 und 43 Jahren alt sind.
Die Ergebnisse sind teilweise erschreckend: 71 der 100 befragten Pharmazeuten gehen davon aus, dass im Jahr 2030 private Investoren im Markt tätig sind und dass es überall Kettenkonzepte gibt. Und: 53 Prozent sagten sogar, dass die inhabergeführte Apotheke ein „Auslaufmodell“ sei. Auch die Selbstständigkeit ist für junge Apotheker offensichtlich nicht zu empfehlen: Nur 3 Prozent der männlichen und 9 Prozent der weiblichen Apotheker würden das Modell „Selbstständiger Apotheker in Einzelapotheke“ weiterempfehlen. Kann das wirklich stimmen?
DAZ.online hat nachgefragt, bei Ulrich Sommer, stellvertretender Vorsitzender der Apobank, und bei dem Leiter der Studie Daniel Zehnich, Direktor Gesundheitsmärkte und -politik bei der Apobank.
DAZ.online: Herr Zehnich, zunächst eine Frage zur Umfrage selbst: Warum haben Sie „nur“ 100 Apotheker befragt und insgesamt „nur“ etwas mehr als 400 Heilberufler? Wie aussagekräftig schätzen Sie Ihre Umfrage ein?
Zehnich: Die finale Befragung ist eine von drei methodischen Bausteinen. Vor der Befragung der 400 Heilberufler wurden mehrere Fokusgruppengespräche zusammen mit dem Meinungsforschungsinstitut forsa durchgeführt. Dadurch wurde sichergestellt, dass das Erhebungsinstrument alle zur Beantwortung der Forschungsfrage erforderlichen Aspekte umfasst. Die Zahl der in der anschließenden Befragung eingeschlossenen Heilberufler ist absolut ausreichend, um Trends und Stimmungen zu identifizieren und um belastbare Aussagen über das Zukunftsbild des Heilberuflers 2030 machen zu können.
DAZ.online: Herr Sommer, wie erklären Sie sich, dass die Apotheker ihre eigene Zukunft anscheinend so schwarzsehen und beispielsweise davon ausgehen, dass die Offizin nicht mehr attraktiv sein wird?
Sommer: Wir beobachten, dass die Apotheker einem tiefgreifenden Wandel ihres beruflichen Umfelds entgegensehen. Zurzeit herrscht zum einen eine gewisse Unsicherheit über die ökonomischen sowie die politischen Rahmenbedingungen, wie zum Beispiel das Versandhandelsverbot für verschreibungspflichtige Medikamente. Damit sind Fragen verbunden, wie sich der Markt bei einer potenziellen Änderung dieser Bedingungen entwickelt und welche neuen Akteure auf den Markt drängen könnten. Zum anderen spüren Apotheker eine mangelnde Wertschätzung ihrer Arbeit. Sie können ihre pharmazeutischen Kompetenzen in der Offizin bei weitem nicht so einsetzen, wie sie es gerne tun würden.
Resignation ist nicht die richtige Antwort
DAZ.online: Wie sollten die Apotheker also reagieren?
Sommer: Resignation ist nicht die richtige Antwort darauf. Dem deutschen Gesundheitswesen stehen herausfordernde Aufgaben in der Zukunft bevor. Aus unserer Sicht können die Apotheker einen wesentlichen Teil zur Bewältigung dieser beitragen und sollten aktiv an der Gestaltung der künftigen Gesundheitsversorgung mitwirken. Dafür bedarf es aber auch eines Umdenkens und neuer Visionen. Denkbar wäre die Rolle eines Gesundheitsberaters zu übernehmen.
DAZ.online: 71 Prozent der Apotheker in ihrer Umfrage gehen davon aus, dass die große Liberalisierung in jedem Fall kommt, dass es also nur eine Frage der Zeit ist, bis das Fremd- und Mehrbesitzverbot fällt. Ist das wirklich ein realistisches Ergebnis? Und: Glauben Sie das auch?
Zehnich: Laut unserer Studie erwartet ein Großteil der jungen Heilberufler, dass sowohl das Fremd- als auch Mehrbesitzverbot im Jahr 2030 nicht mehr existieren werden. Tatsächlich sind in der Vergangenheit die Regelungen zu Mehrbesitzverboten bereits gelockert worden. So kann ein Apotheker ja heute schon bis zu vier Apotheken besitzen. Wer die gesundheitspolitischen Debatten verfolgt, weiß auch, dass einige Parteien die vollständige Abschaffung dieser Restriktionen anstreben.
DAZ.online: Das stimmt ja nur zum Teil. Nur die FDP verlangt die komplette Abschaffung des Fremdbesitzverbotes.
Zehnich: Richtig. Die Abschaffung des Fremdbesitzverbotes wird nur im Bundestags-Wahlprogramm der FDP eingefordert. Allerdings gibt es inzwischen auch einige FDP-Landesverbände, die sich dafür ausgesprochen haben, das Mehrbesitzverbot in ländlichen Regionen zu lockern.
DAZ.online: Aber warum sollten denn gerade Apotheker ihr eigenes System in Frage stellen?
Zehnich: Bevor die eigentliche Umfrage startete, führten wir in Fokusgruppen Gespräche mit den einzelnen Heilberufsgruppen. Als das Thema Mehr- und Fremdbesitzregelungen zur Sprache kam, sahen manche Apotheker in einer Lockerung dieser Restriktionen sogar Chancen für neue Geschäftsmodelle. Aus ihrer Sicht müsse sich auch nicht direkt ein qualitativer Nachteil für die Arzneimittelversorgung ergeben, solange ein Apotheker als Leiter vor Ort ist.
DAZ.online: Laut Ihrer Umfrage würden die allermeisten Apotheker auch die Selbstständigkeit und die Arbeit in der Offizin-Apotheke nicht weiter empfehlen. Welche Auswirkungen würde es denn Ihrer Ansicht nach auf die Arzneimittelversorgung haben, wenn die Offizin nicht mehr attraktiv ist?
Sommer: Wenn viele der jungen Apotheker wirklich nicht mehr in der Offizin arbeiten werden, dann wird sich die Versorgung neu ordnen müssen. Auch wenn die Studie zeigt, dass fast jeder zweiter Pharmazeut oder Pharmazeutin außerhalb der Offizin tätig sein will, so wollen immer noch über die Hälfte kurativ in einer Apotheke wirken. Für sie müssen wir Rahmenbedingungen schaffen, unter denen sie ihre innovativen Ideen entwickeln können, sei es im Bereich der Präventivmaßnahmen oder der Medikationsanalyse und -management.
Das Wissen der Pharmazeuten effektiver nutzen
DAZ.online: Welche Veränderungen sollten Ihrer Ansicht nach geschehen, damit sich die Offizin weiterentwickelt und attraktiv bleibt?
Sommer: Die Studie prognostiziert zunächst eine Zukunft, die so noch nicht geschrieben ist. Doch das dort skizzierte Bild ist alarmierend, und vor allem für Apotheker gilt es, hier entgegenzusteuern. Sie haben nun die Chance weiterzudenken und aufzuzeigen, wie sie den Beruf perspektivisch interessanter machen wollen und welche neuen Themen sie besetzen können. Einen wichtigen Schritt in die Richtung macht bereits die ABDA mit dem Perspektivpapier „Apotheke 2030“. Nun kommt es darauf an, die dort aufgezeigten Modelle zu den Leistungen und Angeboten konsequent in die Praxis umzusetzen – sowohl zum Wohl des Patienten als auch zur Steigerung der Attraktivität der Offizin.
DAZ.online: In der Politik wird ja derzeit die Zusammensetzung des Apothekenhonorars in Frage gestellt …
Sommer: Ja. Es muss eine attraktive ökonomische Basis geschaffen werden, in dem die Apothekenvergütung so ausgestaltet wird, dass die Existenzgrundlage der Offizinen sichergestellt ist. Noch besteht die Möglichkeit, die Attraktivität des Berufes zu steigern, damit Deutschland nicht in eine Versorgungslücke laufen soll. Werden die Leistungen der Apotheker mehr wertgeschätzt – und dafür sehen wir durchaus Indikatoren – dann werden auch mehr Pharmazeuten in der Offizin arbeiten wollen. Vor dem Hintergrund einer alternden Gesellschaft bedarf es in der Arzneimitteltherapie einer fachkundigen Beratung.
DAZ.online: Sollten Apotheker ihr Wissen aus Ihrer Sicht noch viel mehr und besser einbringen? Und sollte es dafür auch neue Honorarkomponenten geben?
Zehnich: Die Apotheker geben in der Studie an, dass sie sich heute zum Teil nur als „Schubladenzieher“ sehen. Aber eigentlich bieten sie Spezialistenwissen an, das bei einer guten Arzneimitteltherapie existenziell ist. Hier fallen Wunsch und Wirklichkeit auseinander. Das liegt aber auch an dem externen Rollenverständnis. Die befragten Apotheker beklagen, dass die Patienten um die Fachkompetenz der Apotheker zum Teil gar nicht wissen und lediglich die Arztmeinung akzeptieren. Auch den Ärzten würde eine stärkere Vernetzung mit Apothekern helfen, eine höhere Arzneimitteltherapiesicherheit zu gewährleisten und das Wissen der Pharmazeuten effektiver nutzen.
DAZ.online: Wie kommentieren Sie den Widerstand der Ärzte dagegen, dass die Apotheker neue Dienstleitungen anbieten wollen?
Zehnich: Das Thema der Delegation – sei es vertikal zum Beispiel auf physician assistants oder eben horizontal zum Beispiel auf Apotheker – wird kontrovers diskutiert. Wir sehen aber in der Befragung, dass die jungen Heilberufler immer stärker in Kooperationen und vernetzt arbeiten wollen. Gleichzeitig wollen sie auch eine höhere Work-Life-Balance erreichen. Eine Neuverteilung der Aufgaben kann dazu beitragen, dass das in der Zukunft steigende Behandlungsaufkommen in der gleichen Qualität erbracht werden kann, wie es heute der Fall ist. So kann mehr Zeit mit dem Patienten verbracht werden. Auch aus Patientensicht wäre dies ein Gewinn. Ein Ausbau der Zusammenarbeit von Ärzten und Apothekern wäre also eine Win-Win-Win-Situation.
DAZ.online: Was empfehlen Sie den Standesorganisationen der Apotheker für Ihre Lobby-Arbeit mit Blick auf Ihre Umfrageresultate?
Sommer: Die jungen Apotheker scheinen zum Teil recht wenig mit der Arbeit ihrer Standesorganisationen vertraut zu sein. Auf der anderen Seite – das zeigt auch die Studie - erwarten sie mehr Zusammenhalt und ein engeres Zusammenarbeiten unter den Apothekern. Denn sie sehen genau, welche Herausforderungen auf sie und den Apothekenmarkt zukommen, und wissen, dass ein einzelner Apotheker wenige Möglichkeiten hat, sich mit großen Playern auseinander zu setzen. Genau dieses Zusammenrücken bieten ja die Standesorganisationen, doch offenbar sind sie im beruflichen Alltag zu wenig präsent und ihre Arbeit ist wenig bekannt. Daher lautet eine wichtige Aufgabe für die Berufsstände, ein Zukunftsbild aufzuzeigen, Perspektiven auszuloten und ihr Wirken jungen Heilberuflern näher zu bringen.
6 Kommentare
Selbst schuld ?
von Dr. Wolfgang Schiedermair am 24.06.2017 um 9:30 Uhr
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Bird's eye view statt Nabelschau ...
von Christian Timme am 23.06.2017 um 23:37 Uhr
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Heiße Luft
von Christian am 23.06.2017 um 21:58 Uhr
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In einigen Dingen hat er recht.
von Peter Bauer am 23.06.2017 um 17:51 Uhr
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Schwarz-seher
von Frank ebert am 23.06.2017 um 16:59 Uhr
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AW: Notwendige Ergänzung
von G. Wagner am 23.06.2017 um 21:43 Uhr
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