Eingelagerte Impfstoffe

Wie Deutschland auf einen Pocken-Anschlag reagieren würde

Stuttgart - 20.07.2017, 07:00 Uhr

Das Impfstoffwerk Dessau-Tornau in Rodleben bei Dessau hat unter anderem Pockenimpfstoffe hergestellt. (Foto: dpa / picture alliance)

Das Impfstoffwerk Dessau-Tornau in Rodleben bei Dessau hat unter anderem Pockenimpfstoffe hergestellt. (Foto: dpa / picture alliance)


Vor gut zehn Jahren diskutierte die Welt zuletzt über mögliche Anschläge mit Pocken-Viren. Nachdem nun bekannt wurde, dass kanadische Forscher ohne großen Aufwand ähnliche Viren synthetisch herstellen konnten, hat DAZ.online nachgefragt: Gäbe es für den Fall der Fälle ausreichende Impfstoff-Chargen? Es zeigt sich, dass Impfstoffe zwar weiterhin eingelagert sind, aber keine Zulassung mehr haben.

Kürzlich berichteten die „Süddeutsche Zeitung“ sowie das US-Fachblatt „Science“, dass kanadische Forscher mit Kosten von unter 100.000 Euro und nur wenigen Monaten Arbeit Pferdepocken-Viren im Labor nachbauen konnten. Nach Einschätzung von Experten ist damit klar, dass dies auch für die gefährliche menschliche Variante der Viren leicht möglich ist. Plötzlich geht die Pocken-Gefahr nicht nur von den offiziell letzten verbliebenen Proben aus zwei Hochsicherheitslaboren in den USA und Russland aus – oder von unbekannten Restbeständen, wie sie im Jahr 2004 in einer Abstellkammer der US-Arzneimittelbehörde FDA gefunden wurden.

Claudia Otto, Biochemikerin und Biowaffen-Expertin von der ETH Zürich, erklärt gegenüber DAZ.online, das Thema sei „als sehr problematisch einzuschätzen“. Der kanadische Forscher Dave Evans habe mit der Studie zeigen wollen, was heute mit einfachen Mitteln machbar ist – und damit „in drastischer Weise“ auf das Thema sensibilisieren wollen, erklärt Otto. „Eine angemessene Kontrolle und Regulation stehen noch aus – und werden in der Tat nicht einfach werden.“

Sie bewertet es als positiv, dass neue Forschung einen enormen Einfluss auf die Weiterentwicklung von Impfstoffen haben kann. „Aus Wissenschaftlersicht ist es unbedingt angebracht, diese Experimente kontrolliert durchzuführen“, erklärt Otto. Denn: „Erst wenn eine allgemeine Impfung gegen die Pocken mit möglichst geringen Nebenwirkungen möglich ist, wäre dem Problem am wirksamsten zuvorzukommen.“

Aber gibt es solche Impfstoffe überhaupt? In Deutschland wurden vor über zehn Jahren Vorräte an Pockenimpfstoff eingelagert, mit denen im Notfall die komplette Bundesbevölkerung geimpft werden könnte. Dieser Impfstoff ist der gleiche, der bereits zur Pockenbekämpfung verwendet wurde. „Er kann sehr starke Nebenwirkungen aufweisen“, erklärt Otto – daher sei er nicht für die Öffentlichkeit zugänglich.

Der eingelagerte Impfstoff hat keine Zulassung

Da die in Deutschland bevorrateten Pockenimpfstoffe vor der Einführung der Zulassungspflicht ab den 1960-er Jahren zur Pockenbekämpfung eingesetzt wurden, haben sie keine Zulassung, wie eine Sprecherin des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) auf Nachfrage bestätigt. In Westdeutschland wurde die in Hessen schon 1803 eingeführte Pockenimpfpflicht im Jahr 1976 aufgehoben, da das Virus erfolgreich bekämpft war – den letzten natürlich aufgetretenen Fall gab es 1977 in Somalia.

Die Sprecherin von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) betont, dass das Fehlen der Zulassung nicht bedeute, dass die Impfstoffe unwirksam sind. „Die Qualität der eingelagerten Impfstoffe wird durch das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) in regelmäßigen Stichproben überprüft“, erklärt sie. Ohnehin werde die Wahrscheinlichkeit eines Pockenausbruchs in Deutschland – wie auch eine synthetische Herstellung des Virus oder eine beabsichtigte Freisetzung von Pockenviren – „als sehr gering angesehen“.

Die Bundesregierung hält Pläne bereit, wie auf die Infektion einzelner Erkrankter wie auch eine sich ausbreitende Epidemie zu reagieren wäre. „Für die öffentliche Gesundheit steht bei einem möglichen Pockenausbruch die konsequente und wirksame Unterbrechung der Weiterverbreitung der Viren im Vordergrund“, erklärt die Sprecherin Gröhes. „Dabei kommt neben der schnellen Diagnose von Pockeninfektionen und der Isolation Erkrankter insbesondere der Impfung vor allem von Ansteckungsgefährdeten eine große Bedeutung zu.“

Nach Plänen des Robert-Koch-Instituts soll bei einem ersten Pockenfall in einem anderem Land medizinisches Personal und ausgewählte Berufsgruppen in Deutschland geimpft werden, um das öffentliche Leben aufrechtzuerhalten. Sobald ein Pockenfall in Deutschland auftritt, werden die Kontaktpersonen geimpft – und bei Bedarf auch Massenimpfungen durchgeführt.

In der Schweiz und Österreich sieht es teils anders aus

Bei den in Deutschland eingelagerten Vorräten handelt es sich um Pockenimpfstoffe der ersten und zweiten Generation. Diese entsprechen den Qualitätskriterien, die in dem für Pockenimpfstoffe gültigen WHO-Leitfaden festgelegt sind, betont die Ministeriumssprecherin. Im Jahr 2013 wurde in Europa der Impfstoff Imvanex zugelassen, der von einigen Ländern zur vorbeugenden Impfung gefährdeter Personen genutzt wird. Für die Bundesregierung ist die Umstellung auf den Impfstoff offenbar keine Option. „Die Wirksamkeit der eingelagerten Impfstoffe gilt als gesichert, zu dem neuen Impfstoff liegen dagegen nur unzureichende Daten vor“, erklärt die Pressesprecherin des Ministeriums.

Nach Recherchen der „Neuen Züricher Zeitung“ plant die Schweizer Regierung hingegen, neue Impfstoffe zu beschaffen. „Zurzeit erarbeiten die nationalen Experten und Interessenvertreter zuhanden des Bundesrates die Entscheidgrundlagen für eine allfällige Impfstoffneubeschaffung“, erklärt eine Sprecherin des Schweizer Verteidigungsministeriums gegenüber DAZ.online. „Die Spezialisten der Sanität der Armee werden zusammen mit dem Bundesamt für Gesundheit zu gegebenem Zeitpunkt einen Antrag an den Bundesrat ausarbeiten.“ Als nächstes soll sich der Schweizer Bundesrat hiermit beschäftigen.

In Österreich ist die Lage hingegen ähnlich wie in Deutschland. „Die Gesellschaft/Politik wird sich natürlich überlegen müssen, wie auf die neuen, modernen Möglichkeiten zur Herstellung synthetischer und potenziell für den Menschen gefährlichen Pathogene zu reagieren ist“, erklärt ein Sprecher der österreichischen Gesundheitsministerin Pamela Rendi-Wagner auf Nachfrage. Nach Ansicht des Ministeriums überwiegen bei Voranschreiten der wissenschaftlichen Methoden die positiven Effekte „jedoch meist bei Weitem“ – beispielsweise auch die verbesserte Entwicklung von Impfstoffen, betont der Pressesprecher.

Sein Haus plant derzeit keine Umstellung auf die neuen Impfstoffe. Im Falle einer Katastrophe, Epidemie, Pandemie oder sonstigen Krisensituation sehe das österreichische Arzneimittelgesetz entsprechende Regelungen vor, um den eingelagerten Impfstoff trotz fehlender Zulassung einzusetzen, betont der Sprecher. Auch in Deutschland ist dies der Fall: § 71 des Arzneimittelgesetzes regelt, dass das BMG zum Zivil- und Katastrophenschutz Rechtsverordnungen erlassen darf, um Ausnahmen von der Zulassungspflicht durchzusetzen.



Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

geimpft

von Karl Friedrich Müller am 20.07.2017 um 12:48 Uhr

.... dann bleiben nur die Alten übrig.....

Ein Demographie Gau....

;-)

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