Trotz Verzögerungen

Gröhe will elektronische Gesundheitskarte nicht aufgeben

Berlin - 07.08.2017, 13:43 Uhr

Die elektronische Gesundheitskarte steht weiter in der Kritik. (Foto: BMG)

Die elektronische Gesundheitskarte steht weiter in der Kritik. (Foto: BMG)


In Medienberichten hieß es am Wochenende, die Regierung wolle womöglich die elektronische Gesundheitskarte nach der Wahl für gescheitert erklären. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) versucht jedoch, Bedenken zu zerstreuen – wie auch die IT-Firma Compugroup, deren Aktien um bis zu 8,8 Prozent fielen. Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) fordert ein neues E-Health-Gesetz.

In den vergangenen Tagen hatten Vertreter von Krankenkassen und Ärzteverbänden deutliche Bedenken an der Zukunft der elektronischen Gesundheitskarte öffentlich gemacht – auch soll die Bundesregierung laut der Deutschen Presseagentur (dpa) Pläne haben, nach der Bundestagswahl im September das Projekt für gescheitert zu erklären. Es sei „unsicherer denn je, wann die Gesundheitskarte die in sie gesetzten Erwartungen erfüllt“, erklärte der Vorstandschef der AOK Bayern, Helmut Platzer, gegenüber der Nachrichtenagentur. „Wenn man mit Fachleuten redet, hört man, das sei eine Technik, die eigentlich schon überholt ist“, zitiert die dpa den Vorstandschef der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns, Wolfgang Krombholz.

„Ich bin da zuversichtlich, kann die Ungeduld verstehen, aber für Ausstiegsszenarien gibt es überhaupt keinen Anlass“, erklärte Gröhe gegenüber dem Radiosender „MDR Aktuell“. Die Berichte über Pläne, die elektronische Gesundheitskarte aufzugeben, „entbehren jeder Grundlage“, betonte eine Sprecherin Gröhes auf Nachfrage von DAZ.online. „Sie sind schlicht falsch.“ Vielmehr habe die Bundesregierung dafür gesorgt, „dass nach mehr als 12 Jahren endlich Schwung in die Digitalisierung des Gesundheitswesens gekommen ist“, erklärte sie. „Es ist jetzt höchste Zeit, dass die Vorteile der Digitalisierung bei den Patientinnen und Patienten ankommen.“

Alle Verantwortlichen seien aufgerufen, „aktiv dafür zu sorgen, dass Krankenkassen, 200.000 Ärzte, 2.000 Krankenhäuser, 21.000 Apotheken und 2,3 Millionen weitere Beschäftigte im Gesundheitswesen sowie 70 Millionen gesetzlich Versicherte endlich über ein sicheres Netz Daten austauschen können“, heißt es aus dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) – offenbar mit nicht ganz aktuellen Angaben zur Apothekenzahl. Die Selbstverwaltung habe am 1. Juni 2017 beschlossen, dass alle Arzt- und Zahnarztpraxen an das Telematik-Netz angeschlossen werden sollen. Auch seien Echtzeit-Tests beendet worden. Die Gematik habe „den Testlauf als ‚positiv beendet‘ bewertet und sozusagen damit den Schalter umgelegt, dass es aus der Testphase jetzt in das Ausrollen des Realbetriebes geht“, sagte Gröhe auf „MDR Aktuell“.

„Insellösungen“ sind für das Ministerium keine Alternative

„Jetzt kommt es darauf an, in den Anstrengungen nicht nachzulassen, damit den Patientinnen und Patienten die Vorteile der Digitalisierung zugutekommen“, erklärte seine Sprecherin. Digitale „Insellösungen“ könnten keine Alternative darstellen, betonte sie – so hat die Techniker Krankenkasse IBM zur Entwicklung einer elektronischen Gesundheitsakte beauftragt, auch die AOK testet ein ähnliches Projekt. „Es wäre unverantwortlich, wenn jetzt Einzelne versuchen würden, das gemeinsame Projekt zu blockieren.“ Für Gröhe sind einheitliche Vorgaben zur Sicherheit und Vernetzbarkeit der entscheidende Vorteil der elektronischen Gesundheitskarte.

Auch der IT-Hersteller Compugroup, der auf Arztpraxen und Apotheken spezialisiert ist, versuchte die Bedenken zu zerstreuen. Die Firme erwarte die Zulassung der nötigen Konnektoren durch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) „binnen Wochen“, erklärte ein Sprecher laut dpa. Diese Geräte dienen der Datenübertragung zu Arztpraxen – oder zukünftig auch Apotheken. Ein weiterer Partner bei der Telematik-Infrastrukturgesellschaft Gematik ist die IT-Tochter der Deutschen Telekom, T-Systems. Ein Pressesprecher betonte gegenüber der Nachrichtenagentur, die Industrie sei bei dem Projekt „auf der Zielgeraden“. 

Das BMG müsse „unmissverständlich klarstellen“, ob es die elektronische Gesundheitskarte aufgeben will oder nicht, erklärte die Grünen-Gesundheitsexpertin Maria Klein-Schmeink am Montagvormittag. Es sei ein Skandal, wenn der Bundesminister die Wählerinnen und Wähler im Unklaren ließe, erklärte sie in einer Pressemitteilung. Das Projekt habe immerhin bereits 1,7 Mrd. Euro gekostet. „Bereits mehrere Male musste der Start der sicheren Telematikinfrastruktur im Gesundheitswesen verschoben werden, zuletzt wegen Lieferschwierigkeiten der Industrie“, erklärte sie – die Karte wie auch das Projekt seien „in der Tat bereits reformbedürftig, bevor sie überhaupt starten können“.

Bayern hat eigene Ideen

Gröhe und die Große Koalition seien mit ihrem E-Health-Gesetz „zu kurz gesprungen“, kritisierte Klein-Schmeink weiter, auch hätten sie Patientenverbände „nie beteiligt“. „Damit haben sie es nicht geschafft, die schweren Versäumnisse des früheren FDP-Gesundheitsministers umzukehren, der das Projekt vier Jahre lang links liegen ließ“, kritisiert die Grünen-Politikerin. Alles Gerede von den Chancen der Digitalisierung bleibe „heiße Luft“, wenn es schon an der grundlegenden Infrastruktur mangelt.

Auch die bayerische Gesundheitsministerin Huml bemängelte in einer Pressemitteilung, dass die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte „seit Jahren höchst unbefriedigend“ verliefe. „Ich hätte persönlich nicht gedacht, dass die beteiligten Industriepartner so große Schwierigkeiten haben“, die technischen Voraussetzungen für die Einführung zu schaffen“, erklärte sie. Der wirtschaftliche Umgang mit Beitragsgeldern sei „ein Grundprinzip“, an dem das Projekt Zweifel aufkommen ließ.

Deswegen dürfe es laut Huml keine weiteren Verzögerungen geben. Bayern unterstütze weiter den Fahrplan, will aber an das E-Health-Gesetz. „Ich erwarte, dass in der nächsten Legislaturperiode dazu rasch ein E-Health-Gesetz II kommt“, erklärte sie. Bayern werde darüberhinaus bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen eigene Akzente setzen – wie mit den im Mai beschlossenen Eckpunkten für das Investitionsprogramm „Bayern Digital II“. „Wie Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer in seiner Regierungserklärung vom 6. Juli verkündete, soll der Freistaat Spitzenstandort für digitale Medizin und Pflege werden – im Dienst für Patienten, Menschen mit Behinderung und Pflegebedürftige“, betont Huml. Sie verwies auch auf das Modellprojekt „Meine Gesundheitsakte Digital“, das lebenslang alle individuellen Gesundheitsdaten enthalten soll. 



Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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2 Kommentare

eGK und kein Ende!

von Heiko Barz am 08.08.2017 um 12:07 Uhr

Es stehen zu viele eigensüchtige Polit-Protagonisten am Herd der finanzbestimmten Gesundheitspolitik, die dort ihr "Süppchen" kochen möchten. Da es sich hier offensichtlich wieder nur um Geldverteilungstöpfche dreht, werden alle guten Digitalisierungsveruche so unter Druck gesetzt, dass wiedermal nichts Greifbares dabei herauskommt.
Eigentlich geht es doch ausschließlich um das Wohl der Patienten und nicht um die banale finanzielle Zukunfssicherung von sich anbiedernden ITStartups.

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eGK

von Konfuzius am 08.08.2017 um 11:44 Uhr

Abschaffen den Unsinn, besser gestern als heute...

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