Sparpotenzial bei Zulassungsverfahren

Machen Verfahrensunterschiede Arzneimittel teurer?

Remagen - 17.08.2017, 17:50 Uhr

Was Harmonisierung angeht ist die EU Vorbild. Das spiegelt sich zum Beispiel im gemeinsamen Arzneibuch wider. In wenigen Monaten tritt die 9. Ausgabe in Kraft. (dpa)

Was Harmonisierung angeht ist die EU Vorbild. Das spiegelt sich zum Beispiel im gemeinsamen Arzneibuch wider. In wenigen Monaten tritt die 9. Ausgabe in Kraft. (dpa)


Arzneimittelzulassungsverfahren, vor allem für neue Wirkstoffe, werden heute zunehmend international verfolgt. Dabei müssen sich die Pharmaunternehmen auf unterschiedliche Gegebenheiten in den Behörden der Länder rund um den Globus einstellen. Dies betrifft unter anderem die Ressourcen der Behörden, die Geschwindigkeit der Zulassungsprozesse und die Kosten für die Pharmafirmen. Eine Erhebung des European Center of Pharmaceutical Medicine der Universität Basel zeigt einige Besonderheiten auf.

Unterschiedliche Verfahrensmodalitäten und inhaltliche Anforderungen der Zulassungsbehörden sind für international tätige Pharmaunternehmen eine große Herausforderung. Einfach kopieren reicht da keineswegs. Angefangen von den Vorgaben für Art und Umfang der Testungen, die für die Zulassungen durchgeführt werden müssen, über die Art und Weise, wie diese für die Beurteilung durch die Behörden aufbereitet werden müssen, bis hin zu den Modalitäten der Einreichung, vieles ist hier mit unterschiedlichen Haken und Ösen versehen. Es allen recht machen zu müssen, ist kostspielig und zeitaufwändig.

Wissenschaftler vom European Center of Pharmaceutical Medicine der Universität Basel haben einen Blick hinter die Türen von zwölf maßgeblichen internationalen Zulassungsbehörden inklusive der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA), der US Food and Drug Administration (FDA) sowie der japanischen und der chinesischen Arzneimittelbehörde geworfen. Ihre Erkenntnisse haben sie in der Zeitschrift Nature Reviews Drug Discovery veröffentlicht. Wer ist am besten aufgestellt, wo dauern die Verfahren am längsten und wo kostet es am meisten?  

US-FDA hat das dickste Budget

Über den größten Haushalt verfügte im Jahr 2016 die US Food and Drug Administration (FDA) mit 1,23 Milliarden US-Dollar. Zum Vergleich: Die japanische Pharmaceutical and Medical Devices Agency (PMDA)  kommt auf 241 Millionen, die Chinese Food and Drug Administration (CFDA) auf 250 Millionen und die EMA auf 342 Millionen US-Dollar. Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Arbeit, die für das europäische Zulassungssystem anfällt, im Wesentlichen auf den Schultern der nationalen Behörden ruht. Die Swissmedic und Health Canada lagen in 2016 bei jeweils 108 Millionen US-Dollar.

EMA hat den größten Bestand an Experten

Auch bezüglich der Anzahl der technischen Gutachter bei den Regulierungsbehörden haben die Forscher aus Basel große Unterschiede gefunden. Unter den Behörden in den etablierten großen pharmazeutischen Märkten (USA, Europa und Japan) hat die FDA die meisten Prüfer (rund 2.000), gefolgt von Health Canada mit etwa 1570. Die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) kann auf ein Netzwerk von mehr als 4.500 Experten zurückgreifen, das auch die Prüfer in den nationalen Behörden der Mitgliedstaaten beinhaltet. Für die japanische PMDA werden 560 technische Bewerter angegeben. Die chinesische FDA ist eher schwach besetzt, soll aber ihren Personalbestand bis Januar 2017 immerhin um etwa 300 aufgestockt haben, um den vorhandenen Antragsstau abzubauen. 

Wie lange dauert es und was kommt dabei raus?

Große Unterschiede fanden die Autoren aus Basel bei den vorgegebenen Fristen für die Bearbeitung der Anträge in den Behörden. Am wenigsten Zeit haben hierfür die Prüfer in der EU mit 210, am meisten ihre chinesischen Kollegen mit 900 Kalendertagen. Die US-FDA soll mit ihrer Bewertung in 300 Tagen fertig sein und die japanische PMDA in 365 Tagen. Die mittlere Zeitdauer bis zur Erteilung der Zulassung, die die „clock stops“ für die Behebung von Mängeln durch die Antragsteller beinhaltet, wird für die EMA mit 422 Tagen angegeben (2016). Deutlich schneller werden die Verfahren in den USA und in Japan abgeschlossen (333 bzw. 311 Tage). In der Schweiz (464 Tage in 2015), in Indien (523 Tage) oder auch in Brasilien (834 Tage) kann das Ganze aber auch noch erheblich länger dauern.

Unter den Ländern mit den größten Arzneimittelmärkten der Welt hat die US-FDA im Jahr 2015 mit 45 die meisten Zulassungen für neuartige Arzneimittel erteilt. Im letzten Jahr hatte die japanische PMDA mit 48 die Nase vorn. Die EMA kommt für 2015 auf 39 und für 2016 auf 27 erstmalige Zulassungen neuer Wirkstoffe.

Gebühren zwischen 1000 und 2,3 Millionen US-Dollar

Last not least werden die Antragsteller für die Zulassungsverfahren auch sehr unterschiedlich stark zur Kasse gebeten. Die geringsten Gebühren für die Bewertung eines Antrags für ein neuartiges Arzneimittel fallen mit rund 1.000 US-Dollar in Indien an, die höchsten mit sage und schreibe gut 2,3 Millionen US-Dollar in den USA. Auch in China kommen die Antragsteller mit 862.000 US-Dollar nicht gerade günstig davon. 316.000 kostet es bei der EMA und 274.000 bei der japanischen PMDA. Erstaunlich „preiswert“ ist ein solches Verfahren bei der Swissmedic mit „nur“ 72.000 US-Dollar.

Unterschiedliche Anforderungen verteuern Medikamente

Insgesamt, so glauben die Baseler Wissenschaftler, verlängern unterschiedliche Gegebenheiten und Anforderungen in den Ländern die Zeit bis zur Marktzulassung von neuen, innovativen Medikamenten und verteuern deren Kosten. Sie fordern deshalb mehr Harmonisierung, um die Effizienz der Prozesse zu steigern. „Davon würden insbesondere die Patienten profitieren, da neue Medikamente rascher und zu tieferen Kosten zur Verfügung stehen würden“, kommentiert Thomas D. Szucs vom European Center of Pharmaceutical Medicine. „Das spricht dafür, dass sich neben den Herstellern auch die Behörden stärker international ausrichten und miteinander kommunizieren sollten.“

Die EU ist das Vorbild

Hier ist allerdings bereits einiges geschehen. So ist es allem voran in der Europäischen Union mit einem jahrzehntelangen Kraftakt gelungen, die Anforderungen an arzneimittelrechtliche Zulassungen weitgehend zu harmonisieren. Über ein zentrales Zulassungsverfahren können die Antragsteller für bestimmte, im wesentlichen neuartige Arzneimittel gleichzeitig die Verkehrsgenehmigung in allen Mitgliedstaaten der EU und des europäischen Wirtschaftsraums (d. h. zusätzlich in Island, Liechtenstein und Norwegen) erhalten. Ansonsten können Zulassungen in mehr als einem Mitgliedstaat nur über ein Verfahren der gegenseitigen Anerkennung (Mutual Recognition Procedure, MRP) oder ein dezentralisiertes Verfahren (Decentralised Procedure (DCP) erreicht werden. In beiden sind mehrfache Prüfungen der Unterlagen in den Ländern nicht vorgesehen.  

Die Errungenschaften der ICH

Auch international rücken die Arzneimittel-Regulierungsbehörden bereits seit vielen Jahren immer enger zusammen. Dies betrifft vor allem die Europäi­sche Union, USA und Japan, drei globale Haupt-Erzeugerregionen für pharmazeutische Produkte. Zur Harmonisierung der Zulassungsanforderungen haben sie im Jahr 1990 die sogenannte „International Conference on Harmonisation, ICH“  ins Leben gerufen, die auch von der Industrie mitgetragen wird.  Heute sind dort viele weitere Länder aus allen Teilen der Welt mehr oder weniger mit im Boot oder haben einen Observer-Status. Eine der größten Errungenschaften der ICH neben einem Bestand von rund 70 harmonisierten Leitlinien ist das so genannte Common Technical Document (CTD), ein einheitliches Format für die Einreichung von Anträgen, das auch in zahlreichen anderen Ländern über die ICH hinaus akzeptiert wird.  

Seit dem Jahr 2006 setzen sich eine Reihe von Zulassungsbehörden aus den Regionen Nord-und Südamerika, Europa, Afrika, Asien, und Australien im Rahmen der International Coalition of Medicines Regulatory Authorities (ICMRA) regelmäßig an einen Tisch, um einen engeren Schulterschluss zu üben. Damit wollen sie nicht nur den Antragstellern einen besseren Weg zur globalen Vermarktung ihrer Produkte ebnen. Es geht ihnen auch darum, weltweit regulatorische Lücken zu schließen, und etwa Einfallstore für Arzneimittelfälschungen auszumachen. 




Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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