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Tausende Patienten betroffen
NRW plant keine speziellen Angebote für Betroffene des Zyto-Skandals
Tausende Patienten sind laut den Ermittlungen von nicht ordnungsgemäß hergestellten Arzneimitteln betroffen, die teils erheblich unterdosiert waren. Müssten die Krebspatienten sowie ihre Angehörigen nicht psychologisch unterstützt und medizinisch neu untersucht werden? Auf Anfrage von DAZ.online verweist das NRW-Gesundheitsministerium in Düsseldorf auf die behandelnden Ärzte und bestehende Möglichkeiten – und bezüglich der Apotheken-Überwachung auf die zuständigen Kreise.
Der Skandal um einen Zyto-Apotheker in Bottrop hat Menschen in ganz Deutschland entsetzt: Die Anklage wirft dem Pharmazeuten vor, in mehr als 60.000 Fällen Rezepturen nicht nur unter schlechten hygienischen Bedingungen hergestellt zu haben, sondern eine Unzahl von Zytostatika auch deutlich unterdosiert zu haben. Die teils Jahre zurückliegenden Fälle lassen sich im Nachhinein nur schlecht aufklären, aber ein untersuchter Infusionsbeutel enthielt laut der amtlichen Untersuchung sogar nur Kochsalz.
In 27 Fällen glaubt die Staatsanwaltschaft, dem Apotheker eine versuchte Körperverletzung nachweisen zu können – doch allein in den vergangenen fünf Jahren sollen 3700 Patienten eines der knapp 50 Arzneimittel erhalten haben, die von dem Apotheker offenbar teilweise gestreckt wurden, wie das Recherchebüro Correctiv unter Verweis auf Ermittlungsergebnisse berichtet hat. Insgesamt könnten sogar mehr als 7000 Patienten aus sechs Bundesländern problematische Arzneimittel erhalten haben. Offenbar könnte nur der Apotheker selber für Aufklärung sorgen, welche Patienten wie genau betroffen sind – doch er schweigt bislang auch auf Nachfrage von DAZ.online zu den Vorwürfen.
NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann hatte sich laut ARD-Sendung Panorama entsetzt darüber gezeigt, dass die betroffenen Patienten sowie die Angehörigen verstorbener Patienten bislang kaum informiert worden seien. „Das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales hat zudem die zuständigen Behörden und Institutionen angeschrieben und um Unterstützung gebeten, damit die betroffenen Patienten informiert werden“, erklärt ein Sprecher Laumanns nun gegenüber DAZ.online. „Die Rückmeldungen dazu stehen noch aus.“ Die Ärzte, die mit Chemotherapeutika aus der betreffenden Apotheke beliefert wurden, seien von Beginn auf dem Laufenden gehalten worden. Doch offenbar haben sie höchstens in einem Teil der Fälle die Informationen aktiv weitergegeben: Viele Patienten berichten, dass sie nur aus den Medien informiert wurden.
Müssen die Patienten nicht psychologisch unterstützt werden?
Für die Patienten wie auch für Angehörige ist die Unsicherheit über ihre Behandlung oftmals sehr belastend, wie beispielsweise der Leiter der Onkologie des Gemeinschaftskrankenhauses Witten/Herdecke, Wolf Köster, wie auch Patienten kürzlich bei einer Veranstaltung von „Correctiv“ berichten. „Bei Autos gibt es eine Rückrufaktion und eine Information der Bevölkerung – wenn ein Flugzeug abstürzt, werden auch alle Angehörigen betreut“, erklärte ein Betroffener.
Doch auf die Frage, ob eine psychologische Betreuung der Patienten und Angehörigen ausreichend sichergestellt ist oder ob das Ministerium plant, tätig zu werden, verweist der Sprecher nur auf die bestehenden Angebote. „In den Gesprächen mit Patientinnen und Patienten können die behandelnden Ärzte nicht nur individuell anhand der bisherigen Befunde auf weitere Behandlungsoptionen eingehen, sondern ebenfalls auf mögliche psychiatrische oder psychotherapeutische Hilfsangebote hinweisen und gegebenenfalls an geeignete Stellen und Praxen überweisen“, erklärt er.
Müssen nicht die Behandlungen der Tausenden Patienten erneut geprüft werden, da sie womöglich entweder stark unterdosierte Therapien oder auch Infusionen gänzlich ohne Wirkstoff erhalten haben? Dies sei eine so neue Situation, „dass das System da nicht mitkommt“, erklärte der Onkologe Köster. Im Einzelfall sei eine schnelle und genaue Überprüfung der Behandlung von Patienten des Zyto-Apothekers womöglich lebensentscheidend, betonte er.
Zur Weiterbehandlung der betroffenen Patienten erklärt der Ministeriumssprecher gegenüber DAZ.online: „Die Entscheidung über eine adäquate Behandlung obliegt allein den behandelnden Ärzten.“ Auf die Frage, ob dies nach Einschätzung des Ministeriums sichergestellt ist und inwiefern sein Haus die Nachuntersuchungen unterstützen will, geht er nicht näher ein.
Kreise müssen Apothekenüberwachung regeln, Apotheker teils zahlen
Welche Auswirkungen hat der Vorgang auf die Apothekenüberwachung im Land? Das nordrhein-westfälische Gesundheitsministerium hatte kürzlich die zuständigen Kreise in einem Erlass zu einer einheitlichen Apothekenüberwachung aufgefordert, jedoch kaum neue Pflichten geschaffen. „Unangekündigte Kontrollen sind als Handlungsinstrument der zuständigen Behörde arzneimittelrechtlich normiert“, erklärt der Sprecher auf Nachfrage. „Gemäß den arzneimittelrechtlichen Vorgaben setzen unangemeldete Kontrollen jedoch voraus, dass diese auch erforderlich sind. Diese Entscheidung kann nur im Rahmen einer Einzelfallentscheidung nach pflichtgemäßem Ermessen durch die für die Apothekenüberwachung zuständige Behörde getroffen werden.“
Der neue Erlass weise die zuständigen Behörden ausdrücklich auf diese Möglichkeit hin. „In diesem Zusammenhang werden als Kriterien für unangemeldete Inspektionen insbesondere Personalkontrollen und die Herstellung von Infusionsarzneimitteln zur Berücksichtigung benannt“, erklärt er.
Eine Änderung betrifft Rückläufer von Chemotherapeutika, die nicht angewendet werden können: „Für eine stichprobenartige Untersuchung der im Rahmen von § 35 ApBetrO hergestellten Arzneimittel ist sicherzustellen, dass patientenindividuell hergestellte, aber nicht angewendete Onkologika (Rückläufer) für den Probenzug zur Verfügung stehen“, heißt es in Laumanns Erlass – die Kreise sollen sie bei Bedarf dem Landeszentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen zur Untersuchung zuschicken. Doch wer soll sie aufbewahren, wie steht es um die Kosten – und inwiefern kann so sichergestellt werden, dass Rückläufer nicht aus dem Verkehr gezogen werden?
„Die Apothekenüberwachung ist in NRW gebührenpflichtig“, erklärt der Sprecher Laumanns. Die Gebühren für die Beprobung der Rückläufer trage daher „grundsätzlich der Apothekeninhaber“. „Bereits hergestellte, aber nicht angewendete Onkologika, welche zu Entsorgungszwecken in die Apotheke zurückgegeben werden, sind in der Regel von der Krankenkasse des jeweiligen Patienten bezahlt und führen daher grundsätzlich zu keinen zusätzlichen Kosten“, erklärt er. „Das Treffen von organisatorischen Maßnahmen für einen Probenzug – also auch die Absprache über die Aufbewahrung von Rückläufern – obliegt den Kreisen und kreisfreien Städten als zuständigen Behörden für die Apothekenüberwachung.“
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