OTC-Geschäft

Trend zur Spezialisierung in der Pharmaindustrie

Berlin - 16.10.2017, 09:15 Uhr

Abgestoßen: Immer mehr Pharmakonzerne trennen sich von ihrem OTC-Geschäft und konzentrieren sich auf den Rx-Bereich. Was steckt dahinter? (Foto: Schelbert / DAZ.online)

Abgestoßen: Immer mehr Pharmakonzerne trennen sich von ihrem OTC-Geschäft und konzentrieren sich auf den Rx-Bereich. Was steckt dahinter? (Foto: Schelbert / DAZ.online)


Teile der Pharmaindustrie scheinen einen Strategieschwenk zu vollführen: Nachdem die Merck KGaA kürzlich angekündigt hatte, sich möglicherweise vom OTC-Bereich trennen zu wollen, trägt sich nun auch Pfizer mit dem Gedanken, das OTC-Geschäft abzustoßen. Das sieht wie ein Trend aus, ist aber keineswegs neu. Und es gibt auch Unternehmen, die auf Diversifizierung statt Spezialisierung setzen.

Die Pharmaindustrie, die durchaus bekannt für Portfolio-Umbauten ist, scheint wieder einem Trend zu folgen: Fokussierung auf die Kernaktivitäten und Trennung von nicht mehr relevanten Geschäftsbereichen. So hat der Darmstädter Pharma- und Chemiekonzern Merck, der sich selbst Wissenschafts- und Technologieunternehmen nennt, bereits im Frühjahr 2017 die Trennung von seinem Biosimilargeschäft bekannt gegeben. Im September folgte dann die Ankündigung, sich möglicherweise auch vom OTC-Geschäft verabschieden zu wollen.

Bereits im vergangenen Jahr gab Boehringer Ingelheim sein rezeptfreies Portfolio an Sanofi ab, erwarb im Gegenzug allerdings die Tiergesundheitssparte der Franzosen.

In den vergangenen Tagen erstaunte nun der US-Konzern Pfizer mit der Überlegung, eine Abspaltung seines Geschäfts mit verschreibungsfreien Arznei- und Nahrungsergänzungsmitteln zu prüfen. Denkbar sei eine vollständige oder teilweise Abgabe, ein Verkauf, ein Spin-off „oder eine andere Transaktion“. Ob es am Ende wirklich dazu kommt, ist allerdings noch unklar. So könnte es auch sein, dass Pfizer am Ende zu dem Schluss gelangt, das OTC-Geschäft doch besser zu behalten. Eine Entscheidung werde voraussichtlich im Laufe des kommenden Jahres fallen.

Pfizers Consumer-Healthcare-Linie zählt nach eigenen Angaben mit zuletzt (2016) 3,4 Milliarden Dollar Umsatz (2,9 Milliarden Euro) zu den weltweit größten OTC-Geschäften. Auch hierzulande bekannte Markennamen sind unter anderem „Centrum“, „Thermacare“ oder „Nexium“.

Konzentration auf innovative Arzneimittel

Die Idee hinter den strategischen Überlegungen von Merck KGaA und Pfizer ist die gleiche. So teilte Merck-Konzernchef Stefan Oschman mit, dass der Healthcare-Bereich im Wesentlichen auf die Biopharma-Pipeline setze. Sprich: Das Unternehmen fokussiert sich auf neue, innovative Arzneimittel, wo Merck nach Jahren der Flaute wieder in Fahrt gekommen ist. So ruhen die Hoffnungen insbesondere auf dem Multiple-Sklerose-Arzneimittel Cladribin und dem Krebsmedikament Avelumab. Offenbar will Merck seine Investitionen auf die intensive und teure Forschung und Entwicklung derartiger Mittel fokussieren. Das stark marketinggetriebene Selbstmedikations-Geschäft passt da nicht mehr rein.

Ähnlich argumentiert Pfizer: Die aktuelle Strategieinitiative gründe in den Anstrengungen des Konzerns, seine Kapital- und Personalressourcen stärker auf das Kerngeschäft mit verschreibungspflichtigen Innovationen zu konzentrieren.

„Wir sind nicht überrascht von dieser Ankündigung von Pfizer“, schrieb Vamil Divan, Analyst der Bank Credit Suisse in einer Mitteilung. „Nach unseren jüngsten Gesprächen mit dem Unternehmen ist klar geworden, dass das Pfizer-Management dieses Geschäft nicht mehr als Teil seiner langfristigen innovativen Aktivitäten sieht.“ Laut Divan ist es wahrscheinlich, dass es letztlich einen Verkauf oder eine Abspaltung des OTC-Geschäftes geben wird.

Zweiteilung des Marktes

Die jüngsten Entwicklungen verleiteten die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) dazu, in einem Kommentar von einer zunehmenden Zweiteilung in der Pharmaindustrie zu sprechen. So gebe es auf der einen Seite forschungsintensive Pharmafirmen, die neue Arzneimittel hervorbringen, und auf der anderen Seite Marketing-Maschinen, die gut im Vertreiben der Produkte seien.

Die Entwicklung ist allerdings nicht wirklich neu: Bereits im Jahr 2002 trennte sich beispielsweise Roche von seinem Vitamin-Business. Darüber hinaus gibt es in der Pharmabranche Entwicklungen, die genau in die andere Richtung zeigen, nämlich hin zu mehr Diversifizierung. So hat der Bad Homburger Gesundheitskonzern Fresenius für 656 Millionen Euro das von Merck zur Disposition gestellte Biosimilargeschäft gekauft und an die Tochter Kabi angedockt. Damit hat Fresenius einen komplett neuen Geschäftsbereich aufgemacht.

Auch Bayer ist in die Breite gegangen. Bereits 2004 fügte der Konzern seiner OTC-Range die Selbstmedikationsprodukte von Roche hinzu, 2013 übernahmen die Leverkusener dann den Mittelständler Phytopharmaka Steigerwald. Ein Paradebeispiel für erfolgreiche Diversifizierung ist Novartis. Während der Mutterkonzern das Geschäft mit innovativen Produkten betreibt, kümmern sich die Konzerngesellschaften Sandoz beziehungsweise Hexal um die Generika und Biosimilars.

Ob sich ein Unternehmen spezialisiert oder diversifiziert, ist nach Einschätzung von Ulrich Huwald, Pharmaanalyst bei Warburg Research, denn auch sehr vom Einzelfall abhängig. Entscheidend für die Unternehmen sei, dass sie in dem entsprechenden Geschäft eine bestimmte Marktmacht haben oder aufbauen können, sagte er gegenüber DAZ online. Investieren oder Trennung sei daher in vielen Fällen eine individuelle strategische Entscheidung.

Dabei kann es auch zu ganz neuen Konstellationen kommen. So soll der Schweizer Konsumgüterhersteller Nestlé mit einer Übernahme von Mercks OTC-Geschäft liebäugeln. Der Nahrungsmitteriese könnte damit auch zu einer Größe im Pharma-Marketing werden.



Thorsten Schüller, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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