DAZ.online-Serie Die Besonderen

Apothekerin rettet sich mit Facebook

19.10.2017, 11:45 Uhr

Andrea Käßmann (links) und PTA Anne Löffler. (Foto: Marketing Service Strobel)

Andrea Käßmann (links) und PTA Anne Löffler. (Foto: Marketing Service Strobel)


Die Löwen-Apotheke im sächsischen Falkenstein stand kurz vor dem Aus. Apothekerin Andrea Käßmann gab nicht auf, stellte das Sortiment auf den Kopf und nutzt seitdem Facebook, um Kunden anzulocken. Der digitale Blick hinter die Kulissen gepaart mit eigenen Rezepturen, homöopathischer Arznei, Schüssler-Salzen und orthomolekularen Nahrungsergänzungen treffen den Nerv der Zeit. Und siehe da: Der Wandel ist geglückt, die Kundenzahlen steigen.

Andrea Käßmann hat lange dem Alltagstrott vertraut. 2005 übernahm sie im sächsischen Falkenstein eine Apotheke, weil der Inhaber Suizid begangen hatte. „Es lief lange alles gut“, erinnert sich die 58-jährige gebürtige Thüringerin. Doch seit Monaten sinken Umsätze, Kunden machen einen Bogen um Käßmanns „Löwen-Apotheke“, weil Sortiment und Nachfrage auseinanderklaffen. Sie erfährt in vertraulichen Gesprächen mit Stammkunden, dass andere Apotheken am Ort „pfiffiger“ seien. Als schließlich rote Zahlen drohen, überlegt Käßmann sogar, den Standort zu schließen.

Hilfe für den digitalen Wandel

Doch die jungen PTA der Löwen Apotheke geben der Chefin einen Tipp: Digitalisierung und Soziale Medien sollen helfen. Weil Käßmann sich in der Onlinewelt zu wenig auskennt, holt sie sich Hilfe für den digitalen Wandel. Auf Rat ihrer Mitarbeiterin Anne Löffler entscheidet sie sich für Marketing-Experte Manuel Marburger. Die junge PTA hatte in einer ihrer vorherigen Arbeitsstellen gute Erfahrungen mit externen Beratern gemacht, die mit dem Blick von außen auf die Apotheke schauen. Marburger ist Profi, wenn es um öffentliche Wahrnehmung geht: Als Gründer der Kletter-Spezial-Einheit war er mehr als 30 Mal im TV und etliche Zeitungen haben über ihn, sein Team und die spektakulären Arbeiten in bis zu 160 Metern Höhe berichtet. Der Berater findet einiges zum Verbessern. Sein Urteil über die Löwen-Apotheke: „Sie ist zu langweilig“. Gemeint sind Außendarstellung, Sortiment und Akquiseverhalten der Chefin. „Geahnt habe ich das schon länger“, gibt Käßmann zu.

Um das zu ändern, erstellt sie mithilfe ihrer PTA als erstes eine Facebook-Seite. „Ich bin in der DDR groß geworden, meine Privatsphäre ist mir heilig“, sagt Käßmann über ihre inneren Widerstände, Details auf der Social-Media-Plattform preiszugeben. Wiederum ist es die junge Anne Löffler, die sie überzeugt, ein Firmenprofil auf der Netzwerkseite anzulegen. Und Marburger erklärt, was da zu posten ist: „Die Leute erwarten einen Blick hinter die Kulissen einer Apotheke“. Die drei jungen PTA in Falkenstein liefern prompt: So gibt es Fotos vom Besuch auf dem Dachboden der Apotheke. Zu sehen sind Abschriften alter Rezepturen und angestaubte Flaschen. Oder wie Lösungen im Labor hergestellt werden. Hintergrund pur.

Wenn der Kunde nicht kommt, geht die Apotheke zum Kunden

Im zweiten Schritt ist es notwendig, den Internetauftritt (inklusive Suchmaschinenoptimierung) zu modernisieren. Bisher ist die „Löwen-Apotheke“ von Käßmann bei Apotheken.de gelistet. Die Hausaufgabe lautet: Jede Mitarbeiterin schreibt einen 1000-Zeichen-Text mit selbstgewählten Suchbegriffen. Immer in Kombination mit dem Ortsnamen reicht die Liste von „Hustensaft Falkenstein“ bis zu „Pille danach Falkenstein“. Als Suchbegriff mit besonders hoher Relevanz kristallisiert sich „Ziegenmilchsalbe“ heraus. Er ist im Netz nicht belegt und verspricht somit ein gutes Ranking, etwa bei Google. Auf den Begriff gekommen sind die PTA, weil vor allem ältere Kunden eigene Ziegenmilch in die Apotheke bringen und um das Anrühren von Salben bitten.

Auch beim Sortiment stellt Käßmann um. Was im 20 Kilometer entfernten Crinitzberg, dort ist die Filialapotheke, die Nachfrage ankurbelt, soll auch in Falkenstein über den HV-Tisch gehen: Spezielle Rezepturen, homöopathische Arznei, Schüssler-Salze und orthomolekulare Nahrungsergänzungen. Schlussendlich kreidet Marburger der Chefin an, sie mache zu viele Handverkäufe und zu wenig Botendienst. Ärzte und Altenheime soll Käßmann mindestens zweimal pro Woche besuchen, um sich ins Geschäft zu bringen. „Das widerstrebte mir anfangs“, gibt die Unternehmerin zu. Bisher sei es richtig gewesen, immer im Geschäft zu stehen. Vor allem ältere Kunden goutieren das. Doch die Zeiten ändern sich. Präsenz bei Multiplikatoren am Ort ist für Dienstleister genauso unersetzlich wie die Kommunikation in digitalen Medien. Ein bestehender Fahrdienst soll zudem ausgeweitet werden. Mehr Service für die Kunden sei notwendig im 9000-Einwohner Ort, der vier Apotheken vorhält. Wobei Käßmann 3000 Einwohner auf eine Apotheke für ein gesundes Verhältnis hält.

Das Konzept geht auf

So sieht Apotheke mit Zukunft also in Sachsen aus. Die Frischzellenkur wirkt. Die Talfahrt ist gestoppt. „Schon heute kommen rund 10 Prozent mehr Kunden in die Apotheke“, sagt Käßmann. Bis Anfang 2018 sollen es 20 Prozent mehr sein. Aktuell steuern rund 80 Menschen täglich die Löwen-Apotheke an. Damit die Kundenfrequenz steigt, nimmt Käßmann samt Team dieses Jahr erstmalig am örtlichen Bornkindl-Markt teil. „Wir werden Seifen und Kerzen live herstellen“, sagt die Chefin und verdeutlicht, dass davon auch Fotos bei Facebook veröffentlicht werden.

Aus der Reihe „Die Besonderen“:

DAZ.online-Serie „Die Besonderen“

Ein Apotheker mit innovativem Digitalisierungs-Konzept

Serie: Die Besonderen — Heinrich Rothdauscher

Dr. Heinrich Rothdauscher: Apotheker & Abenteurer im 19. Jahrhundert

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Michael Sudahl, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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