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Korruptionsprozess in Berlin
Kritische Apotheken-Geschenke an die Charité
Korruption oder nur Naivität und Menschenfreundlichkeit? Vergangene Woche startete vor dem Landgericht Berlin ein Strafprozess gegen einen früheren Oberarzt an der onkologischen Fachambulanz der Charité und eine Apothekerin. Die Staatsanwaltschaft wirft den beiden Bestechung und Bestechlichkeit im besonders schweren Fall vor. Der Arzt soll der Apothekerin Rezepte zugewiesen und dafür im Gegenzug hochwertige elektronische Geräte erhalten haben.
Korruption im Gesundheitswesen ist erst seit Juni 2016 für grundsätzlich alle Heilberufler strafbar. Zwar gibt es die Tatbestände der Bestechung und Bestechlichkeit schon lange im Strafgesetzbuch. Erfüllt werden konnten und können diese jedoch nur, wenn einer der Heilberufler ein „Amtsträger“ oder ein im „öffentlichen Dienst besonders Verpflichteter“ ist – zum Beispiel ein Klinikarzt. Tatsächlich scheint sich auch das Bewusstsein für Korruption im Gesundheitswesen erst zu entwickeln, seit der Gesetzgeber sich daran gemacht hat, die 2012 vom Bundesgerichtshof ausgemachte Strafbarkeitslücke zu schließen. Das zeigt ein Fall, der derzeit vor dem Landgericht Berlin verhandelt wird.
Die Anklage: Computer gegen Rezepte
Angeklagt sind eine Apothekerin und ein früher bei der Charité angestellter Oberarzt. Ihnen legt die Staatsanwaltschaft besonders schwere Bestechlichkeit und Bestechung in 14 Fällen zur Last. Zwischen März 2009 und Februar 2012 soll der Angeklagte Prof. Dr. R. (60) die in seinem Geschäftsbereich angefallenen Rezepte für bestimmte Krebspräparate in großem Umfang der Berliner Apotheke der Angeklagten Monika L. (67) zugewiesen haben. Im Gegenzug habe er von der Apothekerin hochwertige elektronische Geräte im Gesamtwert von knapp 30.000 Euro erhalten: darunter Drucker, PCs, Laptops, Scanner, Faxgeräte. Sie sollten vordergründig dem Uniklinikum als Drittmittel zugutekommen. Den Angeklagten soll aber bewusst gewesen sein, dass sie damit gegen elementare Korruptionspräventionsregelungen des Uniklinikums verstießen. Gegenüber der Verwaltung des Klinikums soll Prof. R. die Herkunft der Geräte verschwiegen haben. Er habe sie als Schenkung zur Verfügung gestellt und der Apothekerin selbst persönliche Spendenbescheinigungen ausgestellt, heißt es in der Anklage. Diese Spenden setzte die Angeklagte dann als Betriebsausgaben steuerlich ab. Das Umsatzvolumen der mutmaßlich zugewiesenen Rezepte variiert in den beiden Anklageschriften. Einmal ist von 3,7 Millionen Euro die Rede, was einem Rohertrag für die Apotheke von 400.000 Euro entspreche. Das andere Mal sind es 3,1 Millionen Euro und es wird ein Schaden von rund 625.700 Euro für drei Ersatzkassen beziffert.
Apothekerin: Nur Geschenke
Die Apothekerin ließ sich gleich am ersten Prozesstag zur Sache ein und schilderte, dass sie mit der Charité eine lange Geschichte verbinde. Sie habe dort schon Anfang der 1970er Jahre ihr Pharmaziepraktikum absolviert. 1992 eröffnete sie ihre Apotheke in Berlin, 1996 stieg sie ins Zyto-Geschäft ein. Schon damals sein eine geschäftliche Beziehung zur Onkologie-Ambulanz entstanden: Die Krankenschwestern riefen an, wenn sie bestimmte Arzneimittel brauchten und die Apothekerin schickte diese per Kurier. 2006 richtete sie dann in der Ambulanz ein Notfalldepot mit wichtigen Fertigarzneimitteln für Krebspatienten ein. Doch die Verbindung ist nicht nur beruflicher Art: Ihr krebskranker Vater und sie selbst wurden später in der Charité behandelt.
Kein Zusammenhang zwischen Geschenken und Rezepten?
Im Zuge der engen Beziehungen fiel der Apothekerin die schlechte technische Ausstattung der Ambulanz auf. So habe man dort keine Rezepte ausdrucken können, weil ein Drucker fehlte. Da ihr Sohn ein Elektronikgeschäft besitzt, bot sie Hilfe an. Der Sohn lieferte die diversen technischen Geräte. Diese späteren Geschenke sollen allerdings in keinem Zusammenhang mit der Zusammenarbeit gestanden haben. Die Pharmazeutin bekam für jede Schenkung eine Steuerbescheinigung, die sie beim Finanzamt einreichte. Die Angeklagte war überzeugt, dass alles seine Richtigkeit hatte. Doch die Spendenbescheinigungen weckten schließlich den Argwohn eines Finanzbeamten, der sodann die Ermittlungen ins Rollen brachte.
„Ich habe naiv gehandelt“
Am zweiten Prozesstag redete dann der Arzt: „Heute ist mir bewusst, dass ich damals naiv gehandelt habe“, begann er seine Einlassung. Er hätte sich nicht auf die Spenden einlassen dürfen. Doch zu diesem Zeitpunkt sei ihm das nicht klar gewesen. Auch er verwies darauf, dass die Apotheke und die Ambulanz schon seit langem miteinander verbunden gewesen waren – auch schon bevor er dort im Jahr 2000 Oberarzt wurde und 2006 das Notfalldepot eingerichtet wurde. Er betonte, dass aber niemals Patienten an die Apotheke der Mitangeklagten verwiesen worden seien. Auch habe die Apotheke nie Zytostatika für die Ambulanz hergestellt. Es sei immer nur um Fertigarzneimittel gegangen. Etwa solche zur Begleitmedikation einer Chemotherapie oder aber onkologische oral anzuwendende Fertigarzneimittel. Das entsprechende Depot hätten die Krankenschwestern verwaltet. Sinn dieses Depots sei gewesen, Nachteile und Verzögerungen für Patienten zu vermeiden, indem man die Medikamente direkt zur Hand hatte. Mit diesem Vorgehen habe man auch nicht die Krankenhausapotheke umgangen. Diese habe zu diesem Zeitpunkt den ambulanten Klinikbereich gar nicht beliefern dürften, betonte der Mediziner. Mittlerweile hat sich das allerdings geändert.
Katastrophale technische Ausstattung
Der Arzt betonte, dass die elektronischen Geräte erst viel später zum Thema wurden – 2008. Einen Zusammenhang zwischen dem Notfalldepot und der geschenkten technischen Ausstattung streitet auch er ab. Die Ausstattung der Ambulanz sei damals „katastrophal“ gewesen, nicht einmal mehr Quartalsabrechnungen habe man mit der Software geschafft. „Mir ging es nur um eine bessere Ausstattung durch dringend nötige Sachspenden“, so R. Er habe sich nie persönlich bereichern wollen. Und auch Frau L. habe sich von ihren Geschenken keine Gegenleistung erhofft. R. stellte sodann Inventarisierungsanträge, um die Geräte ins Eigentum der Charité zu überführen. Die Drittmittelsatzung habe er nie gelesen. Er habe keine Regeln umgehen wollen, beteuerte er. Es habe nur ein Formular gegeben, das er ausfüllte. Er habe geglaubt, in seiner Position dürfe er so handeln wie er es tat. „Das war ein schwerer Fehler, den ich heute bereue“.
Zeugen stützen Aussagen der Angeklagten
Die ersten Zeugenvernehmungen stützen die Einlassungen der Angeklagten. Ausführlich berichtete etwa der frühere Stellvertreter der angeklagten Apothekerin. Er beschrieb seine damalige Chefin – er war bei ihr beschäftigt, bis sie 2016 ihre Apotheke aufgab – als engagierte Pharmazeutin, die vor ihrer Zeit in der Offizin auch klinisch tätig war und damit Ärzte ebenso wie Patienten beriet. Der Einstieg in die Zyto-Herstellung im Jahr 1996 sei damals lukrativ gewesen – nicht jedoch die Vorhaltung des Notfalldepots in der Charité-Ambulanz. Schließlich war 2004 die Arzneimittelpreisverordnung umgestellt worden – und Hochpreiser waren damit für Apotheken zum Risiko geworden. Es seien „humanistische Gründe“ gewesen, die seine Chefin das Notfalldepot unterhalten ließen, erklärte der Zeuge. 2006 sei sie selbst erkrankt und er habe sie vertreten. Vielleicht auch wegen ihrer eigenen Erkrankung habe sie am Notfalldepot festgehalten. Etwa 2014 lief es dann jedoch aus, warum genau, sei ihm jedoch nicht bekannt. Was die Schenkungen betrifft, so erinnert sich der Apotheker lediglich an einen PC und einen Rezeptdrucker, den seine Chefin der Ambulanz zukommen ließ. „Das schien mir auch logisch“ – die Rezepte mussten gerade bei den Hochpreisern stimmen und möglichst ohne Verzögerung in der Apotheke ankommen. Die Patientenzuzahlungen habe die Apotheke auch oft nicht beitreiben können. Die Patienten aus der Ambulanz kamen ohnehin nicht in die Apotheke. Dafür haben nach dem Bekanntwerden der Vorwürfe die Krankenkassen zu retaxieren begonnen. Mehrere 100.000 Euro hätten sie zurückgefordert – und seine Chefin habe einiges zurückgezahlt, so der Zeuge.
Compliance-Struktur erst später entwickelt
Als weitere Zeuginnen sagten die Abteilungsleiterin Finanzen und Rechnungswesen der Charité sowie eine Angestellte der für die Inventarisierung zuständigen Tochterfirma der Charité aus. Sie schilderten, wie Gegenstände zum „Inventar“, mithin zum Eigentum der Klinik werden – und auf welche Weise private Geräte von Mitarbeitern inventarisiert werden, damit sie ans Netz der Charité angeschlossen werden können. Grob lassen sich ihre Aussagen so zusammenfassen: Wenn früher ein Mitarbeiter eine Schenkung inventarisieren wollte, geschah dies ohne weitere Nachfrage, woher das Gerät stammt. Heute hingegen gibt es eine detaillierte Verfahrensanweisung – 2012 die erste, 2016 wurde sie konkretisiert. Erst zu dieser Zeit habe sich eine Compliance-Struktur entwickelt, schilderte die Charité-Abtteilungsleiterin. Heute wäre ein Fall wie der der Apotheken-Geschenke nicht mehr möglich, ist sie überzeugt. Sie schilderte zudem den Unterschied zu Drittmitteln und Spenden. Während erste für bestimmte Projekte seien, seien Spenden nicht zweckbezogen. Und die von der Staatsanwaltschaft ins Spiel gebrachte Drittmittelsatzung der Klinik regle Schenkungen, die mit Sachspenden gleichzusetzen seien, gar nicht.
Nächste Woche wird der Prozess mit weiteren Zeugenbefragungen
fortgesetzt. Derzeit sind fünf weitere Termine bis Mitte März anberaumt. Man
darf gespannt sein, wie das Gericht die Einlassungen wertet. Hatten all die Geschenke wirklich keinen Hintergedanken? Für den
besonders schweren Fall, der hier angeklagt ist, droht übrigens eine Freiheitsstrafe von
einem bis zu zehn Jahren. In einem minderschweren Fall wäre auch eine Geldstrafe möglich.
1 Kommentar
Compliance strukturen etc.
von Dr. Matthias David Vogelsgesang am 19.02.2018 um 14:54 Uhr
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