- DAZ.online
- News
- Pharmazie
- Pharmakologie-Experte rä...
Zu Beginn dieses Jahres ist die neue verschreibungspflichtige Abnehmpille Mysimba® auf den deutschen Markt gekommen. Die beiden Wirkstoffe Naltrexon und Bupropion sollen eine Appetitminderung bewirken, die jedoch durch gefährliche Nebenwirkungen erkauft wird. Der Ernährungsexperte und klinische Pharmakologe Professor Martin Smollich rät von der Verwendung entschieden ab.
Einige Abnehmwillige würden nach jahre- bis jahrzehntelanger erfolgloser Diät-Tortur nach jedem Strohhalm greifen. Die neue verschreibungspflichtige Abnehmpille Mysimba® mit den Wirkstoffen Naltrexon und Bupropion stellt jedoch keinen Hoffnungsschimmer für die Betroffenen dar, sondern gefährdet die Gesundheit. Zu diesem Schluss kommt Martin Smollich, Professor für Klinische Pharmakologie und Pharmakonutrition an der Praxishochschule Rheine, in seiner Analyse. Das Fazit in seinem aktuellen Beitrag im Fachblog „Ernährungs Medizin Blog“ über die neue Diätpille lautet entschieden: „Finger weg“. Sein Urteil begründet er schlüssig anhand des zweifelhaften Nutzen-Risiko-Profils der Wirkstoffkombination.
Appetitminderung durch Übelkeit
Smollich erläutert in seinem Blog, dass sich die appetitzügelnde Wirkung von Mysimba® im Grunde genommen aus der gemeinsamen Nebenwirkung seiner Einzelkomponenten ableitet. Die beiden Einzelwirkstoffe sind nämlich bereits aus anderen Anwendungsgebieten bekannt.
So wird der Katecholamin-Reuptake Inhibitor Burpropion sowohl zur Raucherentwöhnung als auch als Antidepressivum eingesetzt. Da in der Vergangenheit Krampfanfälle unter Burpropion auftraten, ist die Substanz für Epileptiker kontraindiziert. Zu den bekannten Nebenwirkungen gehört neben Angstzuständen, Schlaflosigkeit, Tinnitus, Bauchschmerzen, Hautausschlag, Fieber, allgemeiner Schwäche und Blutdrucksteigerungen eben auch Appetitminderung.
Auch der Opioid-Antagonist Naltrexon, der für den Opiat- und Alkoholentzug zugelassen ist, mindert als Nebenwirkung den Appetit. Zu den weiteren bekannten unerwünschten Wirkungen gehören Schlaf- und Affektstörungen, Herzrasen, Herzrhythmusstörungen, Brust-, Gelenk- und Kopfschmerzen, Impotenz, allgemeiner Schwäche, Schüttelfrost und Hautausschläge.
In der Kombination verursachen die beiden Substanzen laut der Fachinformation von Mysimba® als sehr häufige Nebenwirkung, also in mindestens zehn Prozent der Fälle, Bauchschmerzen, Übelkeit und Erbrechen. Da ist es für den klinischen Pharmazeuten Smollich nicht verwunderlich, wenn den Patienten der Appetit vergeht. Zu den sehr häufigen Nebenwirkungen zählen auch Kopfschmerzen, innere Unruhe und Muskelschmerzen.
Blutdrucksteigerndes Medikament für Bluthochdruck-Patienten?
Die Liste der Nebenwirkungen in der Fachinformation ist
insgesamt sehr lang. Im Hinblick auf die eigentliche Zulassung fallen zudem die
kardialen Nebenwirkungen wie beispielsweise Herzrasen und Steigerung des
Blutdrucks auf, die auch von den Einzelsubstanzen bekannt sind. Denn Mysimba® ist
grundsätzlich ab einem Body-Mass-Index (BMI) von 30 kg/m2 zugelassen, wenn jedoch zusätzlich
eine Begleiterkrankung wie beispielsweise Hypertonie dazu kommt, bereits ab einem
BMI von 27 kg/m2. Und im Hinblick auf das Nebenwirkungsprofil ist es
aus Sicht von Smollich absurd, einem Hypertonie-Patienten ein potenziell blutdrucksteigerndes
Mittel zu verordnen. Denn das Risiko steht aus seiner Sicht im keinen
Verhältnis zu dem moderaten Nutzen. Und gerade bei Abnehmpillen ist die Nutzen-Risiko-Abwägung sorgfältig zu betrachten. Nicht umsonst sind in der Vergangenheit wegen schwerer Nebenwirkungen mehrere Appetitzügler wie beispielsweise Sibutramin oder Rimonabant vom Markt verschwunden.
Darüber hinaus bemängelt Smollich, dass sich die Indikation von Mysimba® nicht auf das Lebensalter bezieht. So liegt in der Altersgruppe ab 45 Jahren der wünschenswerte BMI zwischen 22 bis 27 kg/m² . Ein BMI von 27 kg/m2 fällt somit noch in den Normbereich.
Wirksamkeit nicht überzeugend
Smollich hat in seinem Blog auch die Studienlage zur Wirksamkeit ausgewertet. Insgesamt liegen vier doppelblind-randomisierte Studien für die Wirkstoffkombination vor. Für den Pharmakologen ist auffällig, dass von den Patienten weniger als ein Prozent kardiovaskuläre Vorerkrankungen aufwiesen – das betrachtet er nicht als repräsentatives Kollektiv. Zudem: In den vier Studien betrug der Gewichtsverlust durch Mysimba® zwischen fünf und neun Prozent – im Vergleich nahmen die Studienteilnehmer durch Placebo zwischen ein und fünf Prozent ihres Körpergewichts ab. Die von der amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA geforderte Mindestdifferenz von 5 Prozent zwischen Wirkstoff- und Placebo-Gruppe wurde damit in keiner der vier Studien erreicht.
Sowohl die amerikanische als auch die europäische Zulassungsbehörde haben den Hersteller Orexigen zu weiteren Sicherheitsstudien verpflichtet. Deren Ergebnisse werden frühestens 2022 erwartet. Es liegen auch noch keine Informationen über einen möglichen Einfluss auf die Sterblichkeit vor. Dies ist dem Laien jedoch nicht bewusst. Smollich hofft, dass zumindest der hohe Preis die Abnehmwilligen abschreckt. Denn mit monatlichen Therapiekosten von 124 Euro ist Mysimba® das zweitteuerste Abnehmittel noch vor Orlistat, das derzeit monatlich 98 Euro kostet.
0 Kommentare
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.