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Bottroper Skandal
Amtsapothekerin: Zyto-Apotheke wurde jahrelang nicht kontrolliert
Im Prozess um den Bottroper Zyto-Apotheker Peter S. sagte am gestrigen Mittwoch die zuständige Amtsapothekerin aus. „Rückblickend“ sei festgestellt worden, dass die Polizei einen Vermerk zu einem früheren Ermittlungsverfahren auch wegen unterdosierter Mittel geschickt hatte, erklärte die Apothekerin. Die Amtsapothekerin erklärte zudem, von 2012 bis 2015 keine Inspektionen in Apotheken durchgeführt zu haben und begründete dies mit der Änderung der Apothekenbetriebsordnung.
Die Vernehmung der Amtsapothekerin Hanneline L. vor dem Landgericht Essen war von vielen Prozessbeobachtern mit Spannung erwartet worden: L. war in den vergangenen Jahren für die Überwachung der Bottroper Zyto-Apotheke zuständig, in der der Apotheker Peter S. laut Anklage in vielen Fällen Krebsmittel unterdosiert, diese unter unhygienischen Bedingungen hergestellt und gegen Dokumentationsvorschriften verstoßen haben soll.
Doch zu Beginn des Verhandlungstages gab es eine Überraschung: Ein als Zeugenbeistand auftretender Anwalt erklärte vor Gericht, der Amtsapothekerin stehe ein umfassendes Zeugnisverweigerungsrecht zu, da sie sich durch ungünstige Antworten selber belasten könne. Der Anwalt stützte dies auf Auskunftsersuchen eines Nebenklagevertreters an den Kreis Bottrop, in dem dieser Informationen zu Kontrollen, der Rolle von L. sowie Zuwendungen des Angeklagten an sie angefordert hatte – und mögliche Amtspflichtverletzungen und Schadensersatzansprüche erwähnte.
„Ich finde das eine Frechheit, was der Anwalt hier macht“, erklärte der Nebenklagevertreter Markus Goldbach vor Gericht. Als Aufsichtsperson sei sie ja „gerade für die Einhaltung des Rechts zuständig“, erklärte er – daher bestände höchstens bei einzelnen Fragen ein Auskunftsverweigerungsrecht, doch könne es kein generelles Zeugnisverweigerungsrecht geben. „Das kann natürlich auch nicht sein“, stimmte ihm ein Kollege bei – und während die Verteidigung hier widersprach entschied der Vorsitzende Richter Johannes Hidding, dass L. aussagen müsse. Im Moment gebe es nach Aktenlage „gar keine Anhaltspunkte dafür, dass überhaupt etwas schiefgelaufen ist“, sagte Hidding.
Viel Kontakt mit dem Zyto-Apotheker
Die Apothekerin erklärte daraufhin zunächst, welches Gesetz für welchen Bereich der Apothekenüberwachung zuständig ist – und wie ihre Arbeit aussieht. Sie sei mit einer Kollegin, drei PTAs und drei Verwaltungsmitarbeitern für die Aufsicht von gut 250 Apotheken in Recklinghausen, Bottrop und Gelsenkirchen zuständig, erklärte L., wobei mehrere Mitarbeiter nur Teilzeit arbeiten würden. Früher habe es in den drei Städten fünf Zyto-Apotheken gegeben – nach der Schließung des Reinraumlabors von Peter S. sind es noch vier.
Mit S. habe sie viel Kontakt gehabt, erklärte die Amtsapothekerin – auch da dieser in der Heimversorgung tätig war und seine Offizin erweitern wollte. Doch Schwerpunkt der Vernehmung blieb die Zyto-Herstellung: Der Richter fragte L. insbesondere zum Zeitraum der Jahre 2012 bis 2016, auf die sich aufgrund von Verjährungsfristen die Anklage bezieht. „Im Jahr 2012 kam die neue Apothekenbetriebsordnung“, erklärte die Amtsapothekerin, es habe „sehr viele neue Regelungen“ gegeben. So etwa § 35, in dem zum ersten Mal die Herstellung von Parenteralia in der Verordnung geregelt wurde. Die Regelungen „mit Leben zu füllen war nicht ganz so einfach“, erklärte L. – sowohl für Apotheker wie die Aufsichtsbehörden.
So war offenbar lange unklar, welche Regelungen heranzuziehen seien. „Ich kann keinen Industriestandard in einer Apotheke fordern“, sagte die Amtsapothekerin, „die Vorgaben waren nicht so genau“. Erst ein Schreiben der Länderarbeitsgruppe Arzneimittel-, Apotheken-, Transfusions- und Betäubungsmittelwesen (AG AATB) habe im Februar 2012 erste Fragen geklärt, in einem Fragenpapier seien im Frühjahr 2014 weitere Details geregelt worden. Die Amtsapotheker hätten dieses Schreiben als verbindlichen „Erlass“ angesehen, doch habe es für eine genauere Regelung der Kontrollen noch nicht ausgereicht, sagte L.
Über Jahre keine Inspektionen?
Auf die Frage des Nebenklage-Vertreters Goldbach, ob es von 2012 bis 2015 dann überhaupt Inspektionen in Apotheken gegeben habe, antwortete L. „Nein. Ich bin mir ziemlich sicher: Nein.“ So habe sie auch das Zyto-Labor von S. ab 2011 nicht kontrolliert. Hätte man es nach den neuen Regeln geprüft, hätte man „nur Mängel“ gefunden, erklärte die Amtsapothekerin: Schon baulich habe das Labor nicht den Anforderungen entsprochen.
Offenbar um zumindest zukünftig den Anforderungen zu genügen, reichte S. im Januar 2015 Unterlagen für ein neues Reinraumlabor ein, das er im Keller in Räumlichkeiten auf der gegenüberliegenden Straßenseite einrichten wollte. „Er hat das dann aus meiner Sicht unheimlich schnell realisiert“, sagte L. Im Juli habe sie schon die Aufforderung vom Bauamt erhalten, eine Stellungnahme zu erstellen, im Dezember hätten Fachfirmen bereits die Mikrobiologie und Lufttechnik getestet. „Das ganze Jahr über habe ich kontinuierlich von ihm Unterlagen dazu erhalten“, sagte die Amtsapothekerin, die sie auch an die Bezirksregierung weitergeleitet hätte. Sie hätten dem Apotheker Anmerkungen und Korrekturen zurückgeschickt.
Am 19. Januar 2016 seien diese Räumlichkeiten im Zuge einer Begehung – wiederum zusammen mit der Bezirksregierung – offiziell zu Apothekenbetriebsräumen geworden, sagte L. Sowohl von ihr als auch der Bezirksregierung seien einige Mängel vorgebracht worden – doch auch drei wesentliche Probleme habe S. schnell abgestellt: Das Bekleidungskonzept sei zwar schlüssig gewesen, aber im Qualitätsmanagementsystem nicht ausreichend genau beschrieben worden, auch seien Reinigungsmittel nicht steril gewesen. Außerdem habe es Probleme mit den Herstellungsprotokollen gegeben, erklärte L. – „da fehlten noch Sachen“, erklärte sie zunächst allgemein. Auf Nachfrage sagte die Amtsapothekerin, nicht alle nötigen Angaben seien protokolliert worden. Doch innerhalb weniger Tage meldete S., die Mängel seien behoben – woraufhin L. ohne weitere Besichtigung den Betrieb freigab.
Besuch eines PTA-Ausbilders
Auf die Frage, ob es Beschwerden von dritter Seite über die Apotheke gab, überlegte die Amtsapothekerin lange. Es habe nach einer Beanstandung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) einmal eine Anhörung zu einem Thalidomid-Rezept gegeben, erklärte sie dann, bei dem bei einem Durschlag ein Kreuz gefehlt hätte – doch habe S. hier keine Schuld getroffen. Erst auf direkte Konfrontation erklärte sie, dass sie im April 2016 von einem Mitarbeiter der PTA-Schule Castrop-Brauxel besucht worden sei, der sie darauf aufmerksam machen wollte, dass Zytostatika-Anbrüche in der Apotheke von Peter S. zu lange verwendet worden seien. Ein Kollege wie auch sie hätten dem Herrn jedoch erklärt, dass dies bundesweit so gemacht werde – und das Vorgehen unbedenklich sei, erklärte L. vor Gericht.
Auf Nachfrage des Vorsitzenden Richters erläuterte sie auch, wie sie von den Vorwürfen gegen S. gehört habe: Ende September habe ein Mitarbeiter der Kriminalpolizei sie persönlich sprechen wollen und von der zunächst anonymen Anzeige des Whistleblowers Martin Porwoll berichtet, nach der S. Zytostatika unterdosieren würde. Es sei Wert darauf gelegt worden, dass möglichst wenige Personen von den Ermittlungen erfahren, damit S. nicht vorgewarnt wird, erklärte L. – sie sei gebeten worden, nicht einmal die Rechtsabteilung der Stadt Bottrop zu informieren. Bei der Razzia und Inhaftierung von S. am 29. November 2016 habe sie insbesondere dafür sorgen sollen, dass die Ermittlungskräften im Reinraumlabor keinen Schaden erleiden. Außerdem habe sie die Anordnung getroffen, „dass das ab sofort geschlossen ist“, sagte L. Der Vater von S. sei als vertretender Leiter bestimmt und die Zyto-Versorgung über eine andere Apotheke organisiert worden.
Dann beschrieb die Amtsapothekerin, welches Bild sich ihr bot: „In der Apotheke waren sehr viele Substanzen, im Lagerraum war alles sehr, sehr gefüllt“, erklärte L. zu ihren Eindrücken von der Razzia. Im Kühlschrank seien Anbrüche nicht mit den Anbruchzeiten gekennzeichnet gewesen. Außerdem sei ein weiterer Raum vorgefunden worden, den sie nicht kannte – kein offizieller Apothekenbetriebsraum. In diesem Raum seien die Dokumentation und auch Arzneimittel gelagert worden, sagte die Amtsapothekerin. „Ich war überrascht.“
„Ich habe nirgendwo Zytostatika-Proben gezogen“
Ein Nebenklagevertreter fragte nach, ob es zulässig gewesen sei, dass ein onkologisches Fertigarzneimittel – das abgelaufen sein soll – noch nach der Schließung des Reinraumlabors verkauft wurde, was L. bejahte. Der Anwalt brachte ins Spiel, dass es womöglich „gewerbsmäßigen Bandenbetrug“ zwischen S. und seinen beiden Eltern gegeben habe – brachte hierfür aber keinerlei Belege vor.
Mehrere Nebenklagevertreter fragten L., ob nicht die Möglichkeit bestanden hätte, Proben zu ziehen. „Ich habe nirgendwo Zytostatika-Proben gezogen“, erklärte die Amtsapothekerin – auch da nach ihrem Kenntnisstand in Deutschland kein Labor existiert hätte, das diese hätte untersuchen können. „Das Proben-Ziehen von Zytostatika ist insgesamt problematisch – sie nehmen damit einem Patienten eine Therapie“, sagte sie, da ein Infusionsbeutel verloren ginge. „Mir ist nicht bekannt, dass in ganz Deutschland so etwas gemacht wird.“ Auch alternative Untersuchungen habe sie nicht vornehmen müssen. „Es gibt keinen Zwang, dass ich etwas analysieren lassen muss“, erklärte die Amtsapothekerin. Stattdessen habe sie mit S. viele Details „Punkt für Punkt besprochen“ – auch das sei „eine Form der Überwachung“.
In dem AATB-Schreiben vom März 2014 sei geregelt worden, dass Zyto-Apotheken nur angekündigt kontrolliert werden sollten – für unangekündigte Kontrollen habe sie keinen Anlass gehabt. Die Begehungen seien immer zusammen mit S. erfolgt, da die Anwesenheit des Apothekenleiters erwünscht sei – so dass sie nicht die Gelegenheit zum vertraulichen Gespräch mit Mitarbeitern ergeben hätte.
Vermerk über früheres Verfahren wurde „rückblickend“ entdeckt
Ein weiterer Nebenklagevertreter fragte die Amtsapothekerin zu einer früheren Anzeige aus dem Jahr 2013 gegen S., bei der auch Vorwürfe der Niedrigdosierung, der Verwendung abgelaufener Wirkstoffe wie auch von Steuerdelikten erhoben seien. Wusste sie hiervon? „Wir haben jetzt rückblickend festgestellt, dass es einen Vermerk gibt und eine Anfrage der Polizei, die das sein könnte“, erklärte L. Diese sei zur Kreisverwaltung Recklinghausen gegangen – zu einem Kollegen und ihr. Doch offenbar führte dies nicht zu weiteren Kontrollen oder Überprüfungen. Die Ermittlungen wurden damals relativ schnell wieder eingestellt.
Die Verteidiger von S. richteten nur wenige Fragen an die Amtsapothekerin. Die Einrichtung des neuen Labors von S. sei so hochwertig gewesen, dass man damit auch eine Herstellungserlaubnis hätte bekommen können, erklärte L. Auf die Frage, warum es geschlossen wurde, sagte die Amtsapothekerin „zum Schutz der Bevölkerung“ – aufgrund des Verdachts von Unterdosierungen.
Der Apotheker selber schweigt bislang zu den Vorwürfen gegen ihn. Am heutigen Donnerstag sollen zwei Krankenkassen-Mitarbeiter zu Rezeptabrechnungen aussagen, in der kommenden Woche will das Gericht weitere frühere Mitarbeiter von Peter S. hören.
2 Kommentare
Zyto Apotheke
von Alexander Zeitler am 02.02.2018 um 4:17 Uhr
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Schockierend
von Pavel am 01.02.2018 um 15:50 Uhr
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