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Prozess um mögliche BMG-„Spionage“
„Datendiebstahl ist ja keine Kleinigkeit“
Im Prozess gegen den früheren ABDA-Pressesprecher Thomas Bellartz und den IT-Techniker Christoph H. sagten am heutigen Freitag die Phagro-Geschäftsführerin Bernadette Sickendiek sowie ein Referatsleiter des Bundesgesundheitsministeriums aus. Das Gericht diskutierte unter anderem über die Motivlage des Informanten, der das Ministerium über mögliche „Abflüsse“ aufmerksam gemacht hat. Der Prozess könnte sich noch bis in den Juli verzögern.
Am heutigen Freitag war erneut die Geschäftsführerin des Großhandel-Verbands Phagro, Bernadette Sickendiek, geladen, die – anders als bei einer ersten Vernehmung – mit einer Anwältin als Zeugenbeistand bei Gericht erschien. Nachdem Bellartz' Verteidiger ihre erste Aussage kritisiert hatte, klärte der Vorsitzende Richter Frau Sickendiek darüber auf, dass sie die Aussage verweigern könnte, um sich nicht selbst zu belasten – „für den Fall das es so ist“, dass sie zuvor vorsätzlich falsche Aussagen gemacht hat. Leicht klären ließ sich Verwirrung um einen Termin im August 2010 im Bundesgesundheitsministerium (BMG): Dieses war zunächst für den 3. August geplant, wurde später jedoch auf den Folgetag verschoben – was sich anhand einer Reisekostenabrechnung nun nachvollziehen ließ.
„Datenklau“-Verfahren
Bellartz-Prozess
Bezüglich der in der vorherigen Vernehmung unerwartet angesprochenen Kartellrechtsverfahren erklärte die Phagro-Geschäftsführerin, dass sie nicht gedacht habe, dass sie über ihr bekannte Presseberichte aussagen müsste: Sie hatte nur ein Verfahren in den 1980er Jahren erwähnt, nicht aber weitere nach der Jahrtausendwende. Beruflich habe sie mit den Ermittlungen der Wettbewerbsbehörden nichts zu tun gehabt, erklärte sie heute.
Sickendiek: Keine offene Rechnung mit Bellartz
Sickendiek bestritt auch, eine offene Rechnung mit Herrn Bellartz zu haben. Ohnehin sei sie nicht nachtragend – und Bellartz „als Person nicht wichtig genug“. Die Phagro-Vertreterin stellte klar, dass sie neben einem Verfahren Ende der 1980er Jahre auch über Verfahren vor gut zwölf Jahren sowie über derzeit laufende Ermittlungen des Bundeskartellamts aus der Presse erfahren hat. „Aus eigener Wahrnehmung“ könne sie zu diesen Verfahren nichts sagen, erklärte Sickendiek. Der von der Verteidigung hergestellte Zusammenhang, sie habe sich wegen kritischer Berichterstattung auch des Apotheke-Adhoc-Chefredakteurs Alexander Müller rächen wollen, sei „abstrus“, erklärte die Phagro-Geschäftsführerin: Sie habe keinen Anlass, jemand anzuschwärzen. Das Gericht lud Müller für kommenden Freitag als Zeugen – und schloss ihn daher als Prozessbeobachter aus.
Polizei beschlagnahmt Ordner beim Phagro
Der Verteidiger von Bellartz befragte Sickendiek näher zu Telefonaten mit BMG-Mitarbeitern – und zu einem Ordner, den der Phagro kürzlich wiedergefunden hat. In diesem soll sich auch ein unautorisierter Entwurf der Apothekenbetriebsordnung befinden. Etwas Dramatik kam im Gerichtssaal auf, als das Gericht bekanntgab, einen Polizisten zum Phagro geschickt zu haben, um den Ordner in Gewahrsam zu nehmen. „Der Beamte ist schon unterwegs“, erklärte der Staatsanwalt, der eine gute Stunde später den Ordner entgegennahm.
BMG-IT-Chef mit vagen Erinnerungen
Als zweiter Zeuge war der Leiter des Referats für Informationstechnik des BMG, Günther G., geladen. Er hat nach eigener Aussage „unzählige Telefonate“ mit dem Informanten geführt, der das Ministerium darauf aufmerksam machte, „dass jemand Daten von uns abfließen lässt“ und für jeweils einige hundert Euro Vermerke aus der Leitung des Ministeriums „zur Verfügung“ stellt. Zu den Telefonaten hatte er sich jeweils ausführliche handschriftliche Notizen gemacht – „aus gutem Grund“ habe er die elektronische Kommunikation damals eingestellt.
Allerdings hatte er seine Notizen weder dabei, noch hatte er sie erneut angesehen – auch erinnerte er sich kaum noch an die Vorgänge. So erklärte er, es sei seines Erachtens vom Informanten nicht genannt worden, an wen die Daten geflossen seien – es stehe im Raum „so ein Apothekerverband ABDA“, erklärte der Vorsitzende Richter. Später las er dem Zeugen aus dessen eigener polizeilichen Vernehmung vor, dass schon im ersten Telefonat die Weitergabe an Bellartz und die ABDA genannt worden sei. Auch an einen Vorfall, dass das komplette E-Mail-Postfach eines BMG-Staatssekretärs gelöscht wurde, erinnerte sich der Zeuge nicht mehr. „Wenn ich das damals gesagt habe, wird das stimmen“, erklärte er.
Welche Motive hatte der anonyme Anrufer?
Längere Diskussionen gab es um die Frage, aus welcher Motivlage der Informant – es stellte sich später heraus, dass es sich um den Partner der früheren Ehefrau des IT-Technikers Christoph H. handelte – heraus gehandelt hat. Der BMG-Referatsleiter erwähnte zunächst, dass es Verwerfungen in der Beziehung zwischen H. und seiner früheren Frau gegeben habe, die laut dem Informanten auch von Gewalt bedroht worden sei – es war sogar von einer Axt die Rede. „Ich nehme an, dass das das Hauptmotiv war“, erklärte G. Allerdings habe der Informant sicherlich auch die nun von der Staatsanwaltschaft zur Anklage gebrachten Taten aufdecken wollen, erklärte der BMG-Referatsleiter. „Datenklau ist ja keine Kleinigkeit“, hatte er den Informanten schon in einer früheren Vernehmung zitiert. Dass er sich mit dem Informanten über private Dinge unterhalten habe, habe auch dem Zweck gedient, Vertrauen aufzubauen, erklärte G.
Der Prozess könnte sich noch deutlich verzögern, erklärte am Ende der Vorsitzende Richter: Bislang sind Termine im April angedacht, nun könnte es vielleicht bis zum Juli gehen. Demnächst will die Kammer in einem Rechtsgespräch den Verfahrensbeteiligten eine juristische Einschätzung der Prozesslage geben.
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